Dem Finanzplatz drohen schwere Zeiten: Es wird Jahre dauern, bis die Kontoinhaber ersetzt sind, die nun von ihren Steuerbehörden strafverfolgt werden. Und die Euro-Schwäche könnte eine neue Finanzkrise auslösen.
VON ALFRED P. HERBERT
«Das beste Börsengeschäft wird die Gründung einer Datenklau-Börse sein», zischt mir ein Banker ins Ohr. «Die ersten Kunden aus Amerika, Frankreich und Deutschland sind bereits aktiv, weitere werden in Kürze folgen.» Ein anderer, sicher mittelbar betroffener Bankdirektor ergänzt zynisch: «Beim Liechtensteiner und beim französischen Datenklau waren es ausländische Angestellte, die sich bei den Bankdaten ihrer Arbeitgeber bedienten.
Und die Gerüchte aus Deutschland wollen auch von einem ausländischen Angestellten als Datendieb des Jahres wissen. Hier wird die Freizügigkeit des Arbeitsplatzes wohl etwas freizügig ausgelegt. Und bereits melden deutsche Stellen nicht ohne Häme, dass ihnen weitere «Tausende von Kundendaten» aus verschiedenen Quellen (!) angeboten werden.
Der französische Finanzminister brüstet sich stolz damit, dass Frankreich die Original-CD der Schweiz retourniert hat. Er betont aber im nächsten Satz, dass die «Nicht-Franzosen-Daten» der CD an befreundete Staaten weitergegeben würden. So sollen vor allem Angaben über Kunden aus den Niederlanden und Belgien betroffen sein.
Der Kreis der Interessenten weitet sich täglich aus. Schon meldet mir ein deutscher Kollege nicht ohne Schadenfreude, dass die gekauften Daten auf alle Seiten bewirtschaftet werden sollen.
Daten, die nicht deutschen Kunden zugeordnet werden können, sollen an ausländische Interessenten verkauft werden. «So werden Synergieeffekte erzielt, und die ganze Operation kostet uns nichts, spült aber einige hundert Millionen Strafsteuern in unsere leeren Kassen.» Kein Wunder, wenn SVP-Nationalrat Ulrich Schlüer die Europäische Union mit spitzer Feder nunmehr als «Europäische Hehler-Union» bezeichnet.
Doch Spass beiseite! Die Banken werden an ihrer empfindlichsten Stelle getroffen. Die Kontoinhaber, die nun zu Hunderten von ihren Steuerbehörden strafverfolgt werden, sind den Banken auf ewige Zeiten verloren. Erstens müssen sie auf zehn Jahre zurück Strafsteuern zahlen. Und zweitens werden sie sich von der betreffenden Bank verabschieden. Das Gros dieser Kunden kam bestenfalls einmal im Jahr in die Schweiz, um sich ein Bild über den Wertschriften- und Kontostand zu verschaffen. Sie sind, und das bestätigen alle Banker, meist bei der Bank mit einer «VV» (Vermögensverwaltungs-Vollmacht) eingetragen. Das heisst, sie lassen die Bank – nach entsprechenden Wünschen und Instruktionen – schalten und walten.
«Das sind die dankbarsten und vor allem die lukrativsten Kunden», sagt ein Banker. «Über die Depots lassen sich ständige Kommissionen erzeugen», gibt er zu. «Diese Goldesel fallen jetzt weg.» Nach einer internen und inoffiziellen Schätzung einer betroffenen Grossbank könnten so 20 Prozent, also ein Fünftel aller «Goldesel», verschwinden. «Es wird mehr als nur ein paar Jahre dauern, diese Ausfälle zu kompensieren», klagt mir mein frustrierter Banker sein Leid.
Das ist auch der Grund, warum Bankaktien in der vergangenen Woche zeitweise richtiggehend abgeschlachtet wurden. Die Durststrecke für die leidenden Bankaktionäre ist nochmals spürbar verlängert worden. Denn gleichzeitig mit dem Datenklau hat sich die ganze Börsenlage verschlechtert. Die von mir wiederholt angekündigte Korrektur ist mit voller Wucht eingefahren. Einiges spricht dafür, dass der Absturz noch grössere Ausmasse annehmen wird. Die in der Krise heruntergefahrenen Lager sind wieder grösstenteils aufgefüllt, und schon harzt es mit weiteren Anschlussaufträgen. Die Exportindustrie strampelt weiter gegen die Unbilden der Währungen.
Und hier liegt die grosse Gefahr einer weiterreichenden Baisse: Die EU ist zu einem Währungsschlamassel verkommen. Von den 16 EU-Ländern im Euro-Verbund ist es gerade noch Finnland, das die Kriterien des Schengen-Abkommens erfüllt. Acht Länder sind bereits auf Tauchstation und die sieben verbleibenden allesamt auf dem Weg dorthin. Bleibt nur zu hoffen, dass sich daraus nicht ein Finanz-Tsunami über die Börsen ergiesst. «Das würde eine gewaltige Finanz- und Börsenkrise auslösen», lasse ich mir aus Kreisen stecken, die der Nationalbank nahestehen. Unerfreuliche Börsentage stehen uns bevor.
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