Aus die Maus

Das deutsche Fernsehen verliert seine grössten Entertainer – und steckt in der Moderatorenkrise.

SaW Redaktion
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Stefan Raab 2000 bei der Vorausscheidung für den Eurovision Song Contest. Foto: Keystone

Stefan Raab 2000 bei der Vorausscheidung für den Eurovision Song Contest. Foto: Keystone

Schweiz am Wochenende

von Ruth Schneeberger
Stefan Raab will nicht mehr. Was in der Nacht zu Donnerstag von ProSieben verkündet und von Raab selbst mit einem leicht nebulösen Zitat gewürzt wurde («Ich habe mich entschlossen, zum Jahresende meine Fernsehschuhe an den Nagel zu hängen»), hat Branchenkenner nicht unbedingt überrascht.
Schon 1998 hatte der Kölner in einem Interview mit Spiegel TV gesagt, er könne sich nicht vorstellen, mit 50 Jahren noch Fernsehen zu machen. Damals war er 32 und gerade auf dem Weg zum grossen Erfolg: umstrittener, aber viel beachteter Viva-Moderator, belangloser, aber erfolgreicher Musikproduzent («Hier kommt die Maus») – und auch bereits auf dem Weg zum Eurovision Song Contest mit Blödelbarde Guildo Horn im Gepäck. Raab sagte damals: «Ich lege es nicht darauf an, ewig bekannt zu bleiben. Wahrscheinlich ziehe ich mich irgendwann zurück.»
Der Zeitpunkt ist jetzt. Raabs Haussender ProSieben habe ihm, so heisst es, eine Vertragsverlängerung angeboten, die er abgelehnt habe – im Jahr vor seinem 50. Geburtstag. Die letzte Verlängerung war 2011, damals berichtete das «Manager Magazin», die Firma Raab TV erhalte von ProSieben einen Fünfjahresvertrag über insgesamt 185 Millionen Euro. Das wären 37 Millionen pro Jahr für die Produktion von Sendungen wie «TV Total» oder «Schlag den Raab». Auch wenn schon sämtliche Produktionskosten inklusive sind: Das sind so die Summen, über die hier verhandelt wird.
Raab hat das Geld offenbar nicht mehr nötig. Von einem bis zu dreistelligen Millionenvermögen wird berichtet. Denn nach Viva kam eben gleich ProSieben, nach Horn trat Raab zur Jahrtausendwende selbst beim Grand Prix an und nach diversen Musik-Castingshows für junge Menschen suchte und fand er zehn Jahre später die europäische Siegerin der Herzen, Lena Meyer-Landrut. Ganz zu schweigen von der Sendezeit, die ihm seit 1999 für sämtliche Wettkampfshows freigehalten wurde, die ihm so einfielen.
Doch Raab ist jetzt eben nicht mehr der Jüngste – und auch nicht mehr der Frechste. Die Zeiten, in denen er von der 16-jährigen Lisa Loch wegen Verhohnepiepelung ihres Namens verklagt wurde und von Musiker Moses Pelham aus ähnlichen Gründen eins auf die Nase bekam, sind vorbei. Die Rolle des Provokateurs im deutschen Fernsehen hat Jan Böhmermann übernommen – ungleich frischer, unerwarteter und auch politischer. Eher wie sein Ziehvater und Raabs einstiger Konkurrent Harald Schmidt, der alte Zyniker, der dem deutschen Fernsehen schon länger schmerzhaft abhandengekommen ist, eben auch intellektueller.
Überhaupt, das Politische war Raabs Sache nicht. Eher die Scherze auf Kosten Schwächerer. Dabei hätte der ehemalige Metzgerlehrling und Jesuitenschüler, selbstbewusst wie er ist, sich des Gegners gern angenommen. 2013 moderierte er mit Anne Will, Maybrit Illner und Peter Klöppel das TV-Duell der Kanzlerkandidaten Merkel und Steinbrück. Und war in der Runde durch seine freche Herangehensweise bei weitem nicht der schlechteste Moderator. Zuvor hatte er mit seiner mal wieder neuen Sendung «Absolute Mehrheit» zu Recht versucht, neuen Wind in den öden deutschen Polit-Talk mit den immergleichen Gästen, Fragen und Antworten zu bringen. Doch die Politik lief Sturm gegen die Vermischung von Politik und Unterhaltung, und die Show floppte. Seitdem stagniert Raabs Karriere. Auch deshalb ist sein Rückzug nachvollziehbar.
Doch nicht Raab, sondern das deutsche Fernsehen hat damit ein Problem mehr. Da ist ja nicht nur die Frage bei ProSiebenSat1: Wie nun die ganze Sendezeit füllen, die frei wird? Auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen hat gerade zwei sehr unbequeme Fragen in Sachen Moderationsgrössen auf dem Tablett.
Eine davon scheint gelöst – wenn auch ungelenk: Ausgerechnet Vorgängerin Anne Will, die vier Jahre zuvor von ihrem Kollegen Jauch nach interner Kritik an ihrem Moderationsstil von dem prestigeträchtigen sonntäglichen Sendeplatz nach dem «Tatort» verdrängt wurde, soll Jauch nach dessen freiwilligem Ausscheiden nun nachfolgen. Da läuft wohl einiges schief hinter den Kulissen.
Ganz zu schweigen von Gottschalk. Seit der einst so beliebte «Tommy» die Moderation von «Wetten, dass ..?» nach dem Unfall von Samuel Koch aufgab und nach einer hysterischen Nachfolgersuche und dem glücklosen Einspringen von Markus Lanz die Sendung nun endlich beerdigt werden darf, ist Thomas Gottschalk auf der Suche nach einem neuen Zuhause. Viele unglückliche Versuche bei RTL zeugen davon – doch die zuletzt bekannt gewordenen Verträge mit dem WDR setzen der Sache die Krone auf: Für seine wegen erwartbar unterirdischer Quoten rasch wieder eingestellte ARD-Vorabendshow «Gottschalk live» soll er trotzdem die gesamte zuvor vereinbarte Summe von 4,6 Millionen Euro erhalten haben, also mindestens 2 Millionen fürs Nichtmoderieren.
«Die Zeit» nennt das «Herdprämie» – und findet, das Publikum könne froh sein, dass Gottschalk dafür nicht auch noch zu Ende moderiert habe. So kann man das natürlich auch sehen.
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