Am Freitag trifft die Schweiz in Tirana auf Albanien. Im Fokus stehen die Kosovo-Schweizer Xherdan Shaqiri, Granit Xhaka und Valon Behrami. Ein dreitägiger Streifzug durch ihre andere Heimat.
1.Tag: Der Maserati, die Absteige und der «Döttinger»
Erst unmittelbar, bevor das Flugzeug auf der Landebahn in Pristina aufsetzt, taucht es aus der Wolkendecke. «Hallo, ich bin Haxhi.» Breites Grinsen. Freundliche Umarmung. «Und das ist Shpend. Ich kann euch nicht die ganze Zeit begleiten, weil ich zwischendurch arbeiten muss. Aber Shpend und seine Frau Fjolla werden euch überall hinbringen.» Ich steige in Haxhis Mercedes, der schon 350 000 Kilometer auf dem Tacho hat. Der Fotograf in Shpends VW Golf mit 450 000 Kilometern. Ein weisser Maserati ist das erste Auto, das uns bei kaltem Nieselwetter überholt. Es bleibt nicht die einzige Protz-Karre, der wir auf der neuen Autobahn Richtung Suhareka begegnen.
Goldgräberstimmung. Überall werden neue Häuser gebaut. «Die schiessen wie Pilze im Herbst aus dem Boden», sagt Haxhi. Aber noch augenfälliger sind die vielen neuen und überdimensionierten Tankstellen. Es kann vorkommen, dass man auf der Autobahn innerhalb von 500 Metern drei solcher Tankstellenshops passiert. «Vor 14 Jahren war das ganze Land am Boden», erzählt Haxhi (33). Vor 14 Jahren war es auch, als er im Camp Casablanca Arbeit bei der Swisscoy fand. Ohne ein Wort Deutsch zu sprechen. Erst in der Schreinerei und seit vier Jahren als Übersetzer oder «Sprachmittler», wie er es in seinem eigenartigen Mix aus Hoch- und Schweizerdeutsch ausdrückt.
Suhareka ist nichts Schönes. Aber typisch für die meisten anderen Städte und Dörfer im Kosovo. Kein historisches Zentrum. Architektonische Kakofonie. Und die grösste Strasse führt mittendurch. Unschön ist auch das Hotel, in das uns Haxhi bringt. Löcher in den Teppichen, kalte Heizung, zerschlissene Federbetten. Für 15 Euro pro Nacht kann man auch im Kosovo keine Wunder erwarten. «Wasser hat?», fragt Haxhi. Also ist alles gut. Wir bleiben.
Aber nicht lange. Shpend zeigt uns sein Haus, seine Familie und danach Prizren, wo die orthodoxe Kirche noch immer bewacht wird. Doch Prizren gefällt. Weil es lebendig ist und so etwas wie einen historischen Kern hat.
Als wir Haxhi in einem modernen Einkaufszentrum wieder treffen, das innerhalb von zwei Monaten aus dem Boden gestampft wurde, erzählt er: «Das Land lebt von den EU-Geldern und vom Zoll. Um meinen alten Mercedes einzuführen, musste ich 2000 Euro bezahlen. Ausser ein bisschen Landwirtschaft ist unsere Ökonomie am Boden. Dabei hätten wir clevere Leute im Land. Ich kenne einen, der Helikopter und einen anderen, der Motorräder baut. Doch es ist für diese Leute schwierig, im grossen Stil zu produzieren.»
Zurück in Suhareka gehen wir in eine Bar. Ein abendlicher Barbesuch ist fast ausschliesslich Männersache. Auf dem grossen Flachbildfernseher läuft Arsenal gegen Napoli mit Valon Behrami, einem der ihren. «Seid ihr aus Deutschland oder aus der Schweiz?», fragt einer vom Nebentisch in perfektem Hochdeutsch. «Ah, ich habe zwei Jahre im Aargau in Döttingen gewohnt und als Fahrer für eine Möbelfirma gearbeitet.» Zurück in seiner Heimat ist er Buchhalter, fährt Audi A8 und nicht wie in der Schweiz einen holprigen Opel Corsa. «Ein anderes System», meint er dazu. «Jeder Zweite hier lebt auf Pump. Egal, wie hoch die Zinsen sind.» Und wieso gibt es hier so viele Tankstellen? «Weil es mehr registrierte Autos als Einwohner gibt. Auch wenn man nur 200 Meter bis zur nächsten Bar hat, man steigt ins Auto. Oder hast du bis jetzt schon ein Velo auf der Strasse gesehen?» Nein, haben wir nicht. Im Fernseher wird Behrami, der Schweizer Nationalspieler mit kosovarischen Wurzeln eingeblendet. Keiner regt sich. Als ich den Döttinger etwas fragen will, ist er weg. Dafür steht ein frisches Bier vor uns.
2.Tag: Der Journalist, der Freund von Valon Behramis Vater und der Töff-Freak
Haxhi, wie ist euer Verhältnis zu Albanien? «Kosovo und Albanien ist wie Tag und Nacht. Ich reise zwar hin und wieder nach Albanien ans Meer. Aber es ist dort nicht ungefährlich. Denn man kann von Glück reden, wenn man mit dem eigenen Auto wieder zurückkehren kann. Präsident Enver Hoxha war zwar ein Diktator. Aber er hat für Ordnung gesorgt. Jetzt sprechen alle von Demokratie. Aber was ist das für eine Demokratie, in der Hab und Gut nicht sicher sind?». Wir trinken den Kaffee aus und machen uns mit Shpend und Fjolla auf nach Pristina.
Wir begegnen dem ersten Pferdewagen. Fjolla war 2, als ihre Familie in der Nähe von Stuttgart Asyl beantragt hat. Und sie war 12, als sie nach Prizren zurückgekehrt ist. Heute ist sie 26, im achten Monat mit dem zweiten Kind schwanger und arbeitet in der Kantine des Militärcamps von Prizren. Shpend (auf Deutsch der Vogel) ist 31 und seit letztem Jahr arbeitslos, als Camp Casablanca geschlossen wurde.
Über der Senke von Pristina hängt die ätzende Wolke des Braunkohlekraftwerks. «Bis vor zwei, drei Jahren hatten wir nur im Dreistundenrhythmus Strom. Wenn es in Pristina schneit, ist der Schnee schwarz statt weiss», sagt Fjolla. Die muss es wissen. Übersetzt bedeutet ihr Name Schneeflocke.
In Pristina, der 200 000 Einwohner zählenden Hauptstadt, treffen wir Idriz Morina, Journalist der Zeitung «Bota Sot». Eine Dreizimmerwohnung im Stadtzentrum dient als Redaktion. In der Küche arbeiten drei junge Frauen für die Webseite von «Bota Sot». Wir erzählen Morina, dass wir auf der Suche nach den Wurzeln der Schweizer Nationalspieler Xherdan Shaqiri, Valon Behrami und Granit Xhaka sind. Morina greift zum Handy und sagt nach etlichen Anrufen: «Über Xhaka ist fast nichts bekannt, weil die Familie schon früh aus Pristina weggezogen ist. Behrami soll noch Cousinen in Mitrovica haben. Und Familienangehörige von Shaqiri leben in Zheger.»
Herr Morina, sind Shaqiri und Co. Verräter, weil sie für die Schweiz statt für Albanien spielen? «Sie sind Helden, keine Verräter.» Warum wurden sie vor der Partie Schweiz - Albanien so betitelt? «Das war üble Propaganda, die sich nicht mit der Meinung meiner Landsleute deckt.» Was bedeuten Shaqiri und Co. für die Kosovaren?
«Wie gesagt, sie sind Helden. Und sie sind unsere besten Botschafter. Denn unsere Reputation im Ausland war nicht immer die beste. Dabei wird vergessen, dass wir lange für unsere Freiheit kämpfen mussten.» Was bedeutet den Kosovaren die Schweiz? «Die ganze Welt schwärmt von der Schweiz in den höchsten Tönen. Die Schweiz ist wirtschaftlich und politisch das Mass aller Dinge. Wenn die Schweiz im Fussball gewinnt, sind wir alle glücklich. Zwischen der Schweiz und Kosovo besteht wie eine Brüderschaft. Weil jeder hier mindestens ein Familienmitglied in der Schweiz hat. Auch von meiner Familie leben 30 Leute in Ihrem Land.» Was erwartet Shaqiri und Co. am nächsten Freitag beim Spiel in Albanien? «Es wird ein schwieriger Moment für sie. Aber sie sind professionell und stark genug, um mit diesem Druck umzugehen. Und sie werden alles geben, was sie in ihren Herzen, Beinen, Lungen und Köpfen haben, um die Schweiz, den Kosovo und alle Albaner an der Fussball-WM in Brasilien bestens zu vertreten.»
Über eine holprige Landstrasse fahren wir nach Mitrovica, der geteilten Stadt. Ein österreichischer Militärwagen überholt uns. «Weisst Du, was die österreichische Flagge bedeutet?», fragt Shpend. «Ein grosses Minus. Und Ihr habt ein grosses Plus.» Als wir tags darauf an einer psychiatrischen Klinik vorbeifahren, flachst Haxhi. «Das ist die Offiziersschule der Österreicher.» Das Leben mit den Schweizern im Camp hat abgefärbt.
Mitrovica, Behramis Geburtsort, besteht aus zwei Gemeinden, die durch den Fluss Ibar getrennt sind. Nördlich davon die Serben, südlich die Kosovaren. «Ein heisses Pflaster», sagt Shpend. Und Fjolla fühlt sich bei ihrem ersten Besuch in der Stadt, wo es vor fünf Jahren nach der Räumung des von Serben besetzten Gerichtsgebäudes im Nordteil bei gewalttätigen Ausschreitungen etwa 140 Verletzte gab, unwohl. Doch die Militärpräsenz ist überraschend dezent. Auf der Brücke, die die beiden Stadtteile verbindet, stehen bloss vier Fahrzeuge der italienischen Carabinieri, dazu ein VW der kosovarischen Polizei.
«Weisst Du, wo Behramis Familie wohnt?» Shpend ist verwirrt, dass er nach der 15. Frage keine zufriedenstellende Antwort kriegt. «Hier scheint keiner Behrami zu kennen. Oder sie wollen ihn nicht kennen», sagt Shpend resigniert. Doch wir finden ihn – den Helfer. «Behrami war vor drei Jahren hier und hat Trikots gebracht. Aber seine Familie kenne ich nicht.» Wir fahren mit dem Jungen zum Stadion des KF Trepça, wo die Mannschaft der höchsten kosovarischen Liga gerade trainiert. Der Trainer nimmt sich trotzdem kurz Zeit und vermittelt uns einen Mann, der die Behramis gut kennt.
Wir treffen Gani Sejdiu, bekleidet mit einem Traineroberteil des FC Ingolstadt, in einer Bar in Mitrovica. «Ich bin der beste Freund von Valons Vater Ragip», sagt er. «Wir haben bis 1989, als Ragip mit seiner Familie flüchtete, zusammen gearbeitet und Fussball gespielt.» Warum ist Ragip geflüchtet? «Wir hatten ein gutes Leben hier. Doch von einem Tag auf den anderen ist die Stimmung gekippt. Fabriken wurden einfach geschlossen und die Leute ‹verkauft›. Von jeder Familie musste mindestens einer gehen, um seine Leute zu ernähren. Ragip hat uns aber nie vergessen. Noch heute hilft er mir, wenn ich etwas brauche.» Zuletzt, als Gani Sejdiu in Mazedonien sein Fussball-Trainerdiplom absolviert hat.
Sejdiu spricht davon, wie stolz er auf Valon sei, als wäre er sein eigener Sohn. Wie bescheiden und professionell Valon auch als Millionär geblieben sei. Wie vorbildlich sich Valon als Fussballer verhalte. Und er erzählt davon, wie Valon immer wieder für kurze Zeit seine Geburtsstadt besucht, um Geschenke vorbeizubringen. «Die Zuschauer lieben spektakuläre Spieler wie Shaqiri. Aber wir Trainer lieben Spieler wie Valon, weil er strategisch denkt wie ein Trainer.»
Gani Sejdiu, werden Sie am Freitag nach Tirana reisen, um sich das Spiel gegen die Schweiz anzuschauen? «Auf jeden Fall. Denn mit Valon Behrami und Valdet Rama (albanischer Mittelfeldspieler, der für den spanischen Klub Valladolid spielt; die Red.) treffen die Söhne meiner zwei besten Freunde aufeinander. Das wird nicht einfach für die beiden. Denn es ist zu befürchten, dass die albanischen Medien mit dreckigen Geschichten die Stimmung aufheizen werden.» Also ist Behrami kein Verräter? «Ich erzähle Ihnen eine Geschichte. Vergangenen Sommer hat Behrami mit anderen bekannten Fussballern ein Plausch-Spiel in Pristina gemacht. Als ihn ein kleiner Teil des Publikums ausgepfiffen hat und ihn als «Verräter» beschimpft hat, verliess er das Spielfeld. Danach ist die Stimmung gekippt. Ein Grossteil des Publikums hat geschrien: ‹Valon, wir sind mit dir, wir beschützen dich›. Danach kehrte er wieder zurück und keiner hat mehr gegen Valon Stimmung gemacht.»
Gani Sejdiu, wer soll am Freitag gewinnen? «Albanien. Denn die Schweiz qualifiziert sich sowieso für die WM. Aber Albanien braucht im Kampf um Platz zwei dringend Punkte.»
Wir gehen zur Brücke. Shpend ist dabei nicht wohl. Doch er versucht, es so gut wie möglich zu verstecken. Auf der serbischen Seite ist die Brücke durch einen Erdwall verbarrikadiert. Während die Serben ihren Chauvinismus durch ein Fahnenmeer zelebrieren, deutet auf kosovarischer Seite nichts darauf hin, dass hier ein anderes Volk leben soll. «Wir haben Demokratie und glauben an diese», sagt Sejdiu. «Selbst meine serbischen Freunde stören sich an dieser Machtdemonstration. Das einzige Problem im Kosovo ist die Gegend um Mitrovica. Denn drüben herrscht Anarchie. Aber sie werden irgendwann einsehen, dass es Regeln gibt. Und die Regel sieht vor, dass auch der Norden Kosovos zum Kosovo gehört.»
Enver Gallapeni wohnt in Doberdolam, einem kleinen Dorf oberhalb von Suhareka. Es ist kalt, dunkel und still. Doch in seiner Werkstatt brennt noch Licht. «Der Kosovo braucht mehr Leute wie mich. Es gibt zu viele, die den ganzen Tag nur im Café rumhängen», sagt er. Und er hat wohl nicht Unrecht. Gallapeni ist in der internationalen Töffszene ein Begriff. Er kauft zu günstigen Konditionen alte Motorräder, vorzugsweise Harley-Davidson, baut die Motoren aus und konstruiert neue Bikes und verkauft diese in ganz Europa. Drei davon in die Schweiz. Nur drei, wie er sagt, weil die Vorschriften so streng seien. Aber er stellt auch selbst CNC-Fräsen her und will nun aus einem Mercedes-Transporter ein gepanzertes Fahrzeug bauen.
Gallapenis Vater wohnt in Nussbaumen bei Baden. Zwei seiner Brüder in Klingnau. Auch er wäre gerne in die Schweiz gezogen, weil er dort viel bessere Arbeitsbedingungen vorfinden würde. «Aber als mein Vater die Familie nachziehen durfte, war ich schon über 18. Kindern über 18 war es aber nicht möglich, in die Schweiz zu emigrieren.» So bleibt es bis heute bei vereinzelten Besuchen. Dabei sagt er: «Ich liebe die Schweiz. Wenn ich nur ein Jahr lang dort arbeiten könnte, würde ich die besten Bikes der Welt bauen.» Denn im Kosovo sei es schwierig, sich gutes Material zu beschaffen. Gallapeni schwört auf Produkte von Debrunner.
3.Tag: Der General und der Cousin von Shaqiri
Ich verstehe nur, wie Haxhi am Telefon unsere Namen buchstabiert. Alles andere tönt wie eine Mischung aus Englisch, Rumänisch und Ungarisch – also Albanisch. «Um elf können wir einen General der kosovarischen Armee besuchen.» Was in der Schweiz nur mit einem formellen Schriftverkehr möglich ist, erreicht Haxhi mit einem Anruf.
Wir fahren nach Ferizaj, wo die Kosovo Security Force (KSF) ihre Ausbildungsbasis hat. Am Eingang geben wir die Identitätskarten ab, werden aber nicht durchsucht. In der Kaserne riecht es besser als in unserem Hotel. Enver Cikaqi, einer von neun Generälen der KSF, empfängt uns in seinem Büro. Er bedankt sich für den Besuch, erklärt den Zweck des Trainingszentrums, sagt, dass sich hier 71 Ausbildner um 300 Armeeangehörige kümmern, und ist dann bereit für unsere Fragen.
General Cikaqi, was kann der Kosovo von der Schweiz lernen? «Die Schweiz ist ein Vorbild in Sachen Friedensstiftung und internationaler Zusammenarbeit.» Was hat die Schweiz dem Kosovo gebracht? «Sehr viel. Nach dem Krieg war die Infrastruktur zerstört. Das Schweizer wie auch die anderen Kontingente waren uns beim Aufbau von Schulen, Strassen und Krankenhäusern sehr behilflich. Ohne KFOR-Truppen wäre der Kosovo nicht dort, wo er jetzt ist. Wobei wir trotzdem noch einen langen Weg zu gehen haben.» Wo ist der Kosovo in zehn Jahren? «Wir werden ein fester Bestandteil Europas sein. Und wir werden auch Mitglied der Nato sein. Und wir werden keine Visumspflicht mehr haben.» Was bringen Fussballer wie Shaqiri dem Kosovo? «Sehr viel. Sie machen unser Land bekannt. Vielleicht werden diese Fussballer mal für den Kosovo spielen. Aber solange wir von der UN nicht als Staat anerkannt werden, erlauben uns Fifa und Uefa nicht die Teilnahme an internationalen Wettbewerbsspielen.» Warum sind Sie im Kosovo geblieben? «Als drei meiner Brüder nach Deutschland gingen, studierte ich noch. Ich wollte Journalist werden wie Sie. Denn man hat uns gesagt, dass man als Journalist die Welt bereisen kann und dabei auch noch gut verdient. Als ich mit dem Studium fertig war, fragte ich: Wo ist der Job, wo ist das Geld, wo ist die Auslandreise? Aber da war nichts, weil der Kosovo von den Serben besetzt wurde. Also setzte ich auf mein zweites Studium, die Rechtswissenschaften, und machte Karriere im Militär.» Wo liegt das Potenzial der kosovarischen Wirtschaft? «Leider habt ihr das Feld mit den Uhren bereits besetzt. Aber wir haben Bodenschätze und wir haben viel Potenzial im Tourismus und in der Landwirtschaft. Ausserdem sind wir ein Transitland.» Werden Serben und Kosovaren in Mitrovica jemals friedlich zusammenleben? «Davon bin ich überzeugt. Die Destabilisierung ist von Belgrad aus gesteuert. Die serbischstämmigen Kosovaren sind an einer friedlichen Lösung interessiert.»
Stellen Sie sich vor, Sie sind Xherdan Shaqiri. Würden Sie am Freitag in Tirana gegen Albanien antreten? «Die Albaner sind alle vom gleichen Blut, haben in den letzten 50 Jahren aber in zwei verschiedenen Ländern gelebt. Ich würde natürlich antreten. Denn das gehört sich für jeden professionell denkenden Menschen.» Wem drücken Sie für dieses Spiel die Daumen? «Albanien. Trotzdem sage ich: Es wäre nicht korrekt, von Shaqiri und Co. zu erwarten, dass sie für Albanien spielen sollen. Letzte Nacht habe ich Manchester City gegen Bayern München geschaut. Ich war für Bayern, nur wegen Shaqiri. Aber glauben Sie mir: Viele Kosovaren werden für die Schweiz sein. Denn die Schweiz und Kosovo hatten nie Probleme miteinander. Und im Kosovo wird man nie vergessen, wie gross eure Hilfe war. Mit Shaqiri und Co. können wir uns – etwas überspitzt formuliert – für eure Hilfe revanchieren. Haben Sie schon zu Mittag gegessen?» Wir begleiten den General in die Kantine, wo man zwischen je zwei Poulet- und Fischgerichten auswählen kann.
Vorbei an zerstörten Häusern serbischer Bewohner gelangen wir nach Zheger, dem Geburtsort von Xherdan Shaqiri. Ein trostloses Kaff, gebaut entlang einer Strasse ins Nirgendwo. Aber im Gegensatz zu Mitrovica kennt man hier seine Helden. Man zeigt uns den Weg zum Haus der Shaqiris. Shpend steigt aus dem klapprigen Golf, klingelt und kehrt nach fünf Minuten enttäuscht zurück. «Ich habe mit Shaqiris Cousin gesprochen und er hat mir unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass wir abhauen sollen.»
Im Café treffen wir Burhan, der in Pristina Landwirtschaft studiert. Er ist zwei Jahre älter als Shaqiri und erinnert sich mit leuchtenden Augen an die Zeit, als der heutige Bayern-Spieler in den Ferien mit den Jungs vom Dorf auf dem Betonplatz Fussball spielte. «Wenn Xherdan heute irgendwo auf der Welt spielt, schauen sich mindestens 100 Leute aus dem Dorf das Spiel gemeinsam an. Xherdans Glück ist sein Talent. Sein grösstes Glück ist aber, dass er aus Zheger rauskam.» Dass die Bewohner von Zheger wie am Mittwoch bis zur 75. Minute warten müssen, ehe Shaqiri eingewechselt wird, trübt die Heldenverehrung nicht. «Der zwölfte Mann bei Bayern zu sein, ist doch nicht schlecht», sagt Burhan. Und was macht Shaqiri, um das Leben im Dorf zu verbessern? «Er hat versprochen, das nächste Mal Trikots vorbeizubringen. Aber wissen Sie: Hier im Kosovo hilft dir niemand. Hier interessiert keinen, ob du in irgendeinem Bereich Talent hast. Jeder ist auf sich alleine gestellt.»
Zurück im Wagen ist Shpend erstaunlich wortkarg. Was ist los? «Ach, mich bedrückt es, zu sehen, dass einer, der Millionen verdient, seinem Dorf nichts zurückgibt. Er baut eine riesige Villa für seine Familie. Aber er könnte ebenso gut auch in einen neuen Sportplatz oder in eine neue Schule investieren. Schreib das ruhig.» Haxhi sieht es differenzierter. «Shpend hat nicht ganz Unrecht. Aber es ist Zeit, dass wir aufhören, ständig die hohle Hand zu machen. Wir leben schon zu lange allein von Hilfsgeldern. Wenn wir immer nur fordern und nichts leisten, kommen wir nicht weiter.»
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