ANWÄLTE GEHEN AUF KÜSNACHTER SCHULE LOS

Die Schulleitung in Küsnacht ZH ist empört über die Attacke der Verteidigung und legt eine von Schülern und Eltern unterschriebene Vereinbarung vor.

SaW Redaktion
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VON SANDRO BROTZ
Es war als Zeugenaussage gedacht und endete in einem Kreuzverhör. Der Schulleiter der Weiterbildungs- und Berufswahlschule Küsnacht (WBK) musste sich vor der Jugendkammer des Landgerichts München unbequemen Fragen stellen, wie Recherchen von «Sonntag» ergaben. Sowohl die Verteidiger der drei Schüler als auch ein Opfer-Vertreter stellten bei seinem Zeugenauftritt ein Thema ins Zentrum: Warum liess er die Schüler ohne Aufsicht in den Ausgang?
Dabei hatten Mike, Benji und Ivan fünf Personen verprügelt und teilweise lebensgefährlich verletzt. Ein 46-jähriger Versicherungskaufmann, der schon am Boden lag, wurde laut Staatsanwaltschaft mehrfach mit den Füssen auf den Kopf getreten. Die 17-jährigen Jugendlichen müssen sich wegen gefährlicher Körperverletzung und versuchten Mordes vor Gericht verantworten. Der Schulleiter hatte an jenem verhängnisvollen Dienstag, dem 30. Juni 2009 die Frist für den Ausgang um eine Stunde bis Mitternacht verlängert. Um 23.35 Uhr kam es am Sendlinger Tor zum «Amoklauf ohne Waffen» (Staatsanwaltschaft).
Dem Schulleiter blieb nach Darstellung von Dritten negativ in Erinnerung, wie sich die Anwälte vor Gericht ihm gegenüber verhielten. Von unzulässigen Fragen und eigentlichen Unterstellungen ist in Küsnacht die Rede. Während der betroffene Pädagoge öffentlich keine Stellung nimmt, bestätigt Schulpräsident Max Heberlein gegenüber dem «Sonntag»: «Das Vorgehen der Verteidigung befremdet mich.» Natürlich könne man heute sagen, so Heberlein, dass es besser gewesen wäre, auf den Ausgang zu verzichten: «Aber im Nachhinein ist es immer einfach, eine Situation anders zu sehen.» Heberlein stellt sich nach wie vor auf den Standpunkt: «Es konnte nicht damit gerechnet werden, dass der Ausgang so enden würde.»
Der «Sonntag» ist im Besitz einer Vereinbarung, die alle Jugendlichen und ihre Eltern vor der Reise nach München unterschreiben mussten. In dem Schreiben, das auch bei den Gerichtsakten liegt, wird von den Schülern «ein tadelloses Benehmen erwartet». Angesichts der Ereignisse wirkt eine Passage heute schon fast grotesk: «Alle halten Mass und vermeiden Konfrontationen, insbesondere auch mit fremden Personen.» Wer nicht danach handle, so hält die Vereinbarung unmissverständlich fest, «wird umgehend nach Hause befördert und besucht das Programm in Küsnacht». Für das Hotel werden zudem «strenge Eingangskontrollen» angekündigt, gleichzeitig aber heisst es auch: «Ein Kinderhütedienst rund um die Uhr ist jedoch ausdrücklich nicht vorgesehen.»
Das Schweigen ihrer Klienten hat den Anwälten bisher nur harte Kritik eingebracht, selbst von Richter Reinhold Baier. Jetzt kommt der neue Versuch, die Schule in ein schlechtes Licht zu rücken. Der Verteidiger des mutmasslichen Haupttäters Mike gibt den Strategiewechsel indirekt zu: «Wenn man 16-Jährige ohne Aufsicht einfach so laufen lässt, stellen sich erziehungsrechtliche Fragen», sagt Christian Bärnreuther. Und dann fügt er hinzu: «Wir durften auf unserer Klassenfahrt auch nicht in den Ausgang und da war ich schon 18.»
Ob die Taktik der Anwälte aufgeht, ist anzuzweifeln. Strafrechtsprofessor Daniel Jositsch ist überzeugt, dass sich die Richter davon nicht beeindrucken lassen: «Jeder ist selbst für das verantwortlich, was er gemacht hat, und nicht die Eltern oder eine Institution. Diese Strategie kann sich als kontraproduktiv herausstellen.»
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