ABB baut Tausende Stromtankstellen

ABB ist schon jetzt die grösste Anbieterin von Schnellladestationen für Elektroautos. Jetzt will sie den Milliardenmarkt im grossen Stil aufrollen. In der Schweiz laufen Gespräche mit Migros und Coop.

Peter Burkhardt
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In 15 Minuten vollgetankt: Ein Kunde lädt an einer Stromtankstelle in Köln sein Elektrofahrzeug auf. Foto: Keystone

In 15 Minuten vollgetankt: Ein Kunde lädt an einer Stromtankstelle in Köln sein Elektrofahrzeug auf. Foto: Keystone

Schweiz am Wochenende

Seit Sommer baut ABB in den Niederlanden das weltgrösste Tanknetz für Elektroautos. An mehr als zweihundert Tankstellen an den Autobahnen können die Kunden künftig innert 15 bis 30 Minuten ihr Elektroauto aufladen. ABB liefert für diese Schnellladestationen die Ladegeräte. Weltweit hat sie bereits rund tausend Stromtankstellen damit ausgerüstet, darunter zweihundert in Estland und hundert in Dänemark.
Nun hat der Industriekonzern Hunger auf mehr. Im nächsten Jahr will er die wirklich grossen Märkte erobern. Oberste Priorität hat China. «Der Markteintritt in China ist für 2014 geplant», sagt Hans Streng, Leiter des Elektro-Tankstellengeschäfts bei ABB. «China wird zum ganz grossen Markt.» Zu den möglichen Anbietern von Stromtankstellen gehören bestehende Tankstellen, Supermärkte und Flughäfen. «Das Volumen ist enorm», so Streng. «Da geht es nicht um Hunderte Ladestationen, sondern um Tausende, oder sogar mehr.»
Die Schadstoffbelastung in den chinesischen Grossstädten hat ein derart alarmierendes Ausmass erreicht, dass die Regierung den Benzinautos den Kampf angesagt hat. Stattdessen fördert sie den Einsatz von Elektrofahrzeugen. In Schanghai erhalten die Käufer von Elektroautos neuerdings grosszügige Subventionen. Und Peking hat die Anzahl Nummernschilder für Benzinautos auf dem heutigen Niveau eingefroren.
Als Resultat fahren auf den chinesischen Strassen immer mehr Autos, Busse, Velos und Roller, die mit Strom angetrieben werden. Bereits sind Millionen E-Bikes und rund 100 000 Elektroautos unterwegs. «Ihre Zahl wird in wenigen Jahren auf mehrere Millionen anwachsen», sagt Hans Streng.
Gleichzeitig mit China will ABB die grössten europäischen Märkte erobern. In Deutschland, Frankreich und Grossbritannien hat sie bereits vereinzelte Tankstellen für Elektroautos gebaut. Jetzt kommt der eigentliche Markteintritt: «Ab 2014 werden wir die Märkte in Deutschland, Frankreich und Grossbritannien intensiver bearbeiten», sagt Streng. «Dann werden wir dort landesweite Ladestellennetze aufbauen.»
Die Gespräche mit möglichen Anbietern sind am Laufen. Im vergangenen Jahr hat ABB mit dem zweitgrössten deutschen Energieversorger RWE vereinbart, gemeinsam eine Ladeinfrastruktur für Elektroautos aufzubauen.
In den USA steht der Markteinstieg ebenfalls kurz bevor. Vor einem Jahr hat ABB für ihre Schnellladestationen die Zertifizierung für die USA und Kanada erhalten. Die grössten Chancen sieht sie an der Westküste in Kalifornien und Oregon sowie den östlichen Metropolen wie New York und Washington. Die kalifornische Regierung hat die Energiefirma NRG im vergangenen Jahr beauftragt, für 120 Millionen Dollar ein Netz mit mehreren tausend Ladestationen aufzubauen. ABB ist einer der Lieferanten. Bis 2015 will Präsident Barack Obama die USA zum ersten Land mit einer Million Elektroautos machen. Landesweit gibt es bereits 6000 Schnellladestationen. Die Regierung unterstützt den Ausbau des Netzes in 16 Grossstädten mit 115 Millionen Dollar.
Für ABB werde das Geschäft mit Stromtankstellen in den kommenden fünf Jahren zu «einem der wichtigsten Wachstumsfelder», sagt Konzernchef Ulrich Spiesshofer. «Wir werden bald mit einer grösseren Ankündigung kommen.» Nach seiner Prognose wird schon 2018 weltweit jeder zwanzigste neu verkaufte Wagen ein Elektroauto sein. Das entspricht beinahe dem heutigen Marktanteil des Autoherstellers Ford.
Der Massenmarkt ist eben erst am Entstehen. Die 15 Mitgliedsländer der «Electric Vehicles Initiative» der Internationalen Energieagentur haben sich zum Ziel gesetzt, die Zahl der Elektroautos bis zum Jahr 2020 auf 24 Millionen Stück zu steigern, darunter die wichtigsten neun Länder auf 20 Millionen . Einer der Wachstumstreiber ist der steigende Benzinpreis. Gegenüber einer Tankfüllung eines Benzinautos ist die Aufladung eines Elektroautos günstig. Für einen Nissan Lead zum Beispiel kostet sie 2 bis 3 Euros.
Aus Vorsicht vor den Konkurrenten wie General Electric, Schneider Electric, Legrand oder Efacec gibt ABB weder den Umsatz mit den Schnellladestationen noch die Mitarbeiterzahl des Geschäftsbereichs bekannt. Offengelegt wird nur, dass sie die Ladestationen in China, Osteuropa und den USA herstellt. Das aktuelle jährliche Marktpotenzial für ABB betrage «mindestens eine Milliarde Dollar», sagt Streng. Weltweit werde die Ausrüstung von Stromtankstellen in den nächsten fünf bis zehn Jahren sogar zum Multimilliarden-Geschäft.
Den Zugang zum weltweiten Markt hat sich ABB vor zwei Jahren gesichert. Damals übernahm sie Epyon, das niederländische Unternehmen von Hans Streng. Dieses hatte die Technik fürs schnelle Aufladen von Elektroautos mitsamt dazugehöriger Software entwickelt. Die Schnellladestationen, die ABB nun anbieten kann, reduzieren die Ladezeit auf 15 Minuten, während herkömmliche Systeme sechs bis acht Stunden brauchen. Den Deal zog der heutige Konzernchef Ulrich Spiesshofer durch. Er war damals Leiter der Division Industrieautomation und Antriebe von ABB.
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