1:12 trennt Katholiken und Reformierte

Katholiken sympathisieren mit der Initiative – Reformierte akzeptieren Lohnspanne von 1:40, wollen aber einen Mindestlohn.

SaW Redaktion
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Die Vertreter der grossen Landeskirchen mischen sich in die Debatte um die 1:12-Initiative ein – und zeigen dabei unterschiedliche Toleranz für Spitzenlöhne. Die Katholiken sind bei der Lohnschere strenger als die Protestanten. Sie hegen grundsätzliche Sympathien für das Anliegen der Juso. Der Präsident der Kommission Justitia et Pax, der sozialethischen Stimme der Bischofskonferenz, begrüsst die durch die Initiative ausgelöste Debatte: «Es geht hier nicht einfach um die Gier der Manager oder den Neid des Rests», sagt Thomas Wallimann-Sasaki. «Es geht um eine fundamentale Gerechtigkeitsdebatte. Es läuft beim Lohn aus dem Ruder – gegen oben wie auch gegen unten.»
1:12 ist nur der Anfang. Bald folgen die Initiativen für einen Mindestlohn, für eine Erbschaftssteuer und für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Alle stellen gemäss Wallimann-Sakasi die Frage: Was ist gerecht, was ein gerechter Lohn? Seine Antwort: «Am unteren Ende der Skala sollte ein gerechter Lohn nicht nur das Überleben garantieren, sondern auch sicherstellen, dass man am gesellschaftlichen Leben teilnehmen kann.» Einen absoluten oder relativen Lohndeckel will er nicht nennen, hält aber fest: «Eine Leitplanke ist der Bundesratslohn.» Also rund 450 000 Franken im Jahr.
Auch Martin Werlen, der Abt des Klosters Einsiedeln, will keine Lohngrenzen bestimmen. Das sei nicht Sache der Kirche, sondern der Sozialpartner. «Aber in der letztjährigen Botschaft zum 1. August haben die Bischöfe klar und eindeutig festgehalten, dass gewisse Lohnexzesse im Widerspruch zur Soziallehre der Kirche stehen», sagt Werlen. «Noch wichtiger als Grenzen nach oben sind Grenzen nach unten. Es ist menschenunwürdig, wenn der Lohn für einen 100-Prozent-Job nicht ausreicht, um sich und die Familie zu ernähren.»
Für die 1:12-Initiative ausgesprochen hat sich der für seinen konservativen Kurs bekannte Churer Bischof Vitus Huonder, wie der «Tages-Anzeiger» vermeldete. In seinem Bistum gilt gar ein Lohnband von 1:2.
Die Reformierten nehmen tendenziell eine grössere Lohnspanne in Kauf. Aus Sicht des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes (SEK) sollten sich die Spitzenlöhne an den Verhältnissen der 1980er-Jahre orientieren. In einem Positionspapier, das sich unter anderem auf Untersuchungen des St. Galler Wirtschaftsethikers Peter Ulrich stützt, folgert der Kirchenbund, dass eine Lohnschere von 1:30 damals in Schweizer Unternehmen das Maximum gewesen sei. «Das öffentliche Vertrauen in den Unternehmen war – zumindest was die Entschädigungen im Spitzenmanagement anging – noch ungebrochen.» In diesem Sinn, sagt SEK-Sprecher Thomas Flügge auf Nachfrage, scheine heute eine Lohnspanne von 1:30 bis 1:40 akzeptabel.
Eine Spanne von 1:40 hält auch der frühere SEK-Präsident Thomas Wipf noch für vertretbar. Er sagt aber: «Das Augenmass ist in Teilen der Wirtschaft verloren gegangen.» Ein gerechter Lohn erschliesse sich in der reformierten Tradition aus zwei Prinzipien: Jede Leistung solle gerecht honoriert werden. Weil aber nicht alle gleich viel leisten könnten, solle jeder so viel erhalten, wie er für ein Leben in Würde brauche.
Die unteren Löhne machen Wipf deshalb mehr Sorgen. Es gebe zu viele Menschen, die trotz einer Arbeitsstelle nicht auf ein genügend grosses Einkommen kämen. «In den von Tieflöhnen betroffenen Branchen sollten wir einen nationalen Mindestlohn deshalb ernsthaft diskutieren.»
Auch der reformierte Pfarrer Martin Dürr, der in Basel das ökumenische Pfarramt für Industrie und Wirtschaft führt, hegt «viel Sympathie» für die Mindestlohn-Initiative der Gewerkschaften und kritisiert Exzesse. «Es gibt Löhne, die sich nicht mehr mit der Leistung begründen lassen. Manche Saläre haben ein Ausmass erreicht, das den sozialen Frieden gefährdet.»
Der Zürcher Grossmünsterpfarrer Christoph Sigrist antwortet auf Fragen zu Lohnexzessen mit einem Satz des Reformators Jean Calvin: «Du darfst kein riesiges Maul sein, das alles gierig in sich hineinfrisst und verschlingt.» Es sei aus reformierter Sicht eindeutig, dass es einen «Aufschrei» gegen jede Art von Wucher brauche – und dazu gehörten auch manche Spitzenlöhne. Dennoch zweifelt Sigrist an der 1:12-Initiative: «Man kann wohl nicht gesetzlich verändern, was eine innere Haltung ist.»
Staatlichen Eingriffen gegen Toplöhne stehen die Kirchenmänner eher zurückhaltend gegenüber. «Ich bin nicht sicher, ob wir das Problem, das vor allem ein moralisches ist, per Gesetz lösen können», sagt Katholik Wallimann-Sasaki. Protestant Wipf ist skeptisch gegenüber einer staatlichen Festsetzung des Lohnschemas, da «die evangelische Wirtschaftsethik ein positives Verhältnis zur sozialen Marktwirtschaft» habe.
Statt gesetzlichen Lohnschranken schlägt der Basler Industriepfarrer Dürr vor, dass Manager ab einer bestimmten Salärhöhe in einem «Seitenwechsel» jährlich eine Woche «am unteren Rand der Gesellschaft» verbringen sollten. «Das würde sie aufrütteln.» Wallimann-Sasaki wiederum will Topverdiener «anders zur Kasse bitten: etwa über höhere, progressiv ansteigende Sozialversicherungsbeiträge».
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