Erfolgstrainer Beat Tschuor hat mit seinem Team bei den Winterspielen in China sieben Medaillen gewonnen. Wie führt der 53-jährige Bündner diese Gruppe von Alphatieren?
Manchmal entscheiden Dinge über Erfolg und Misserfolg, die man weder sieht noch hört. Schön ruhig ist es bereits seit geraumer Zeit in diesem sportlichen Labor der Hochbegabten. Das Schweizer Weltcupteam der Frauen glänzt mit Leistung auf der Piste und kaum mehr mit Kontroversen in der Öffentlichkeit. Das war nicht immer so und hat viel mit Cheftrainer Beat Tschuor zu tun.
Wenn Michelle Gisin nach ihrem Olympiasieg in der Kombination am TV die Selektion für die Abfahrt kritisiert und damit ihren Chef angreift, dann sorgt dies zwar medial für einige Zwischentöne, aber teamintern längst nicht mehr für anhaltendes Donnergrollen. «Wir haben das rasch und unkompliziert auf Augenhöhe ausdiskutiert», sagt ein entspannter Beat Tschuor im Zielgelände der Weltcuprennen in Lenzerheide.
Der 53-jährige Bündner sieht sich immer wieder in der Rolle des Personalchefs. Er organisiert, unterstützt, lenkt. Und manchmal muss er auch entscheiden. Zum Beispiel, welche vier Fahrerinnen bei Olympia das Abfahrtsrennen bestreiten. «Meine Rolle kann auch unangenehm sein», sagt er.
Dass Selektionen immer auch eine emotionale Komponente beinhalten, lässt sich nicht verhindern. Erst recht nicht in einem Team mit drei Olympiasiegerinnen, sieben potenziellen Siegfahrerinnen im Weltcup und insgesamt 34 Athletinnen, die in Welt- und Europacup um FIS-Punkte kämpfen. Dazu kommt ein Betreuungsteam mit 36 Personen. «Jeder Trainer ist für sich ein Leader und jede Siegfahrerin ein Alphatier», sagt Tschuor. «Und das muss man als Verantwortlicher eben auch zulassen können. Es ist ein Balanceakt zwischen gerecht sein und entfalten lassen.»
Als der Bündner im Sommer 2018 vom Nachwuchschef zum Cheftrainer befördert wurde, trat er als Nachfolger von Hans Flatscher in grosse Fussstapfen. «Ich musste mir das Vertrauen hart erarbeiten», sagt der dreifache Familienvater aus Obersaxen. Anstatt mit jungen Talenten hatte er es jetzt mit den Besten der Besten zu tun. Vier Jahre später geniesst Tschuor rundherum eine grosse Akzeptanz. «Ich musste zwei Jahre Vertrauen aufbauen, bis ich die Gruppentrainer auf meiner Seite hatte.»
Sein Erfolgsrezept? Einerseits hat der Bündner ein sehr gutes Händchen, wie er die Teams rund um die Fahrerinnen zusammenstellt. «Da vertraue ich meistens auf mein Bauchgefühl», sagt Tschuor. Entstanden ist viel Harmonie, gepaart mit einer grossen Leidenschaft, gemeinsam Erfolg zu haben.
Dazu gibt der Chef seinen Trainern viel Vertrauen und Mitbestimmung. Und mit seiner besonnenen Art und der Gelassenheit, die er ausstrahlt, werden Diskussionen mit Konfliktpotenzial unaufgeregt und intern gelöst.
Der 53-Jährige gibt das Lob an den Arbeitgeber weiter. Der Verband schaffe Rahmenbedingungen - auch in finanzieller Art - mit denen sich hervorragend arbeiten lasse. Tschuor war in seiner langen Karriere bei Swiss Ski nicht immer derart gern gesehen wie heute. Ab 2004 war er fünf Jahre lang Disziplinenchef der Slalomfrauen. Dann kam vom neuen Cheftrainer die Entlassung aus heiterem Himmel. Nach einem Abstecher als Skischulleiter in Obersaxen kehrte er 2013 zurück, zuerst zwei Jahre lang als Männertrainer im Riesenslalom.
Tschuor sieht das Frauenteam auch für die Zukunft gut aufgestellt. «Medien, die von fehlender Breite schreiben, haben nicht gut recherchiert. Wir haben viele Fahrerinnen mit Potenzial und die Erfahrung zeigt, dass sich ein Talent nicht per se über das Alter definieren lässt. Viele Fahrerinnen benötigen Zeit, um sich zu entwickeln.»
Der Architekt der Olympiaerfolge wird Swiss Ski wohl weiterhin erhalten bleiben, selbst wenn das Familienleben durch den Job immer wieder mal an den Anschlag kommt. Nach Peking war Tschuor erst 36 Stunden zuhause. Aber immerhin sieht es so aus, als würde er auch in Zukunft auf seine Topshots zählen können. Lara Gut-Behrami tönte am Freitag in Lenzerheide an, dass sie die Fortsetzung ihrer Karriere plane.