Zehnkampf in Götzis
Simon Ehammer und der Hypnosetrick: So will der Appenzeller Zehnkämpfer Schweizer Leichtathletik-Geschichte schreiben

Die Zehnkämpfer sind die Könige der Leichtathletik. Der 21-jährige Appenzeller Simon Ehammer ist felsenfest davon überzeugt, bei seinem Start in Götzis am Wochenende sowohl den Schweizer Rekord wie auch die Olympia-Limite zu knacken. Auf dem Weg dahin setzt er auch auf die Hilfe eines Sporthypnotiseurs.

Rainer Sommerhalder
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Simon Ehammer ist überzeugt, die Kugel so weit stossen zu können wie noch nie an einem Wettkampf.

Simon Ehammer ist überzeugt, die Kugel so weit stossen zu können wie noch nie an einem Wettkampf.

Darko Vojinovic / AP

Für einen Zehnkämpfer klingt das Wort «Götzis» wie Zuckerwatte in Kinderohren. Im unscheinbaren Vorarlberger Marktort findet seit 1975 das bedeutendste Mehrkampfmeeting der Welt statt. Und im Möslestadion wurde Geschichte geschrieben. Etwa beim epischen Duell zwischen Daley Thompson und Jürgen Hingsen in den Achtzigerjahren, welches der Brite in Götzis zweimal mit Weltrekord für sich entschied. Oder vor genau 20 Jahren, am 27. Mai 2001. Dem Tscheche Roman Sebrle gelang der erste Zehnkampf mit mehr als 9000 Punkten. Seine Bestmarke hielt elf Jahre lang.

Auch für Simon Ehammer versprüht Götzis etwas Magisches. 22 Kilometer Luftlinie sind es zwischen Ehammers Zuhause in Stein und dem Möslestadion. Aber erstmals wird der Appenzell Ausserrhoder an diesem Wochenende als Athlet am Start sein. «Es ist mein bisher grösster Wettkampf», sagt der 21-Jährige, «und die Vorfreude ist riesig».

Ehammer jagt Limite und Rekord

Nicht nur wegen der Konkurrenten. Neun der zehn Besten in der Weltrangliste haben sich angemeldet, unter ihnen auch Götzis-Seriensieger Damian Warner aus Kanada. Einzig der französische Weltrekordhalter Kevin Mayer fehlt auf der Startliste. Ehammer will bei seiner Premiere aber nicht andere bestaunen, sondern selber Teil der Entscheidung sein.

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Seine Zuversicht ist ausgeprägt: «Mein Ziel ist es, nach den ersten drei Disziplinen in Führung zu liegen», kündigt er an. Am Schluss soll nicht nur der Schweizer Uralt-Rekord von Beat Gähwiler aus dem Jahr 1988 (8244 Punkte) fallen, sondern auch die Olympialimite von 8350 Punkten. «Ich bin überzeugt, dass ich dieses Ziel erreichen kann», sagt Ehammer, «ich fühle mich derzeit sehr gut». Einzig das Wetter sei ein unkalkulierbarer Faktor. Die Aussichten stimmen den Appenzeller aber heiter.

Keine Angst vor dem Stab

Das Selbstvertrauen des Junioren-Europameisters von 2019 ist bemerkenswert, denn bei zwei seiner drei letzten Einsätze in der Hallensaison produzierte er einen Nuller im Stabspringen. Doch anstatt zu hadern, legte er den Stab zuerst einmal für zweieinhalb Monate auf die Seite. Stattdessen verarbeitete er diese Blockade mit Hilfe eines Mentaltrainers und eines Sporthypnotiseurs.

«Es war ein schwieriger Moment, weil ich nicht genau wusste, woher die Blockade kam. Ich musste danach dem Kopf Zeit geben. Aber zur Entwicklung eines Zehnkämpfers gehört das Überwinden einer solchen Situation», sagt der Ostschweizer. Er habe keinerlei Bedenken, dass es in Götzis nicht klappen werde. Nervosität oder gar Angst spüre er nicht.

Förderbeitrag von 20 000 Franken für Ehammer

Der Schweizer Leichtathlet des Jahres 2020 ist neu Mitglied im «Team Heinzer» der gemeinnützigen Fritz-Gerber-Stiftung. Diese unterstützt zehn besonders begabte junge Athletinnen und Athleten mit einem jährlichen Förderbeitrag von 20 000 Franken. Gefördert werden unter anderen Skifahrer Marco Odermatt, Leichtathlet Jason Joseph und Schwinger Joel Wicki, jeweils für mindestens drei Jahre. «Die finanzielle Unterstützung der Stiftung hilft mir, mich noch stärker auf den Leistungssport zu fokussieren,» sagt Ehammer. Der Schweizer Spitzenfechter Max Heinzer steht der Fritz-Gerber-Stiftung mit Sitz in Basel mit einem kleinen Teilzeitpensum als Bereichsleiter Sport zur Verfügung. Ziel der Unterstützung ist, dass sich die Sportlerinnen und Sportler auf Trainings und Wettkämpfe konzentrieren können. Heinzer sagt zum neusten Teammitglied: «Simons Leistungen im Mehrkampf sind für sein Alter aussergewöhnlich und deuten sein immenses Potenzial an. Die Unterstützung ist hoffentlich ein weiterer Mosaikstein auf dem Weg zu einer grossen Karriere.» (rs)

Lieber rechnet sich Simon Ehammer aus, was möglich ist. Er spricht von frappanten Fortschritten in den Wurfdisziplinen Kugel, Diskus und Speer. Mit der Verbesserung seiner Bestmarke im Kugelstossen um eineinhalb Meter auf 15.31 m hat er in der Hallensaison schon mal eine Duftmarke gesetzt. Der gelernte Detailhandelsfachmann, der auch nach dem Lehrabschluss und absolvierter Rekrutenschule als Ausgleich jeden Mittwoch in Appenzell in einem Sportgeschäft arbeitet, traut sich auch mit Speer und Diskus neue persönliche Bestleistungen zu.

Noch schneller im Sprint?

Und in seinen starken Disziplinen hat er trotz forciertem Krafttraining nichts eingebüsst. Im Gegenteil. Ehammer weist darauf hin, dass er seine Sprintbestmarke über 60 m in der Halle um 19 Hundertstelsekunden gesenkt hat und fragt sich, welche Schlussfolgerungen dies für seine 100-m-Zeit von 10.50 Sekunden zulässt.

Und der abschliessende 1500-m-Lauf sei ohnehin eine reine Kopfsache. «Wenn es bisher bei mir um etwas ging, hat es stets geklappt. Wenn ich weiss, welche Zeit ich für die Olympialimite laufen muss, dann mache ich das», sagt Simon Ehammer. Als sei ein Zehnkampf die einfachste Sache der Welt.