YB-Sportchef Christoph Spycher spricht derzeit nicht gerne über Fussball. Die Pandemie stimmt ihn nachdenklich.
Gegen das Ende hin biegt das Telefongespräch in Richtung Philosophie ab. Die Frage lautet: Ist die Pandemie vielleicht eine Antwort der Natur auf all die Wunden, die wir Menschen ihr zugefügt haben?
Christoph Spycher weicht ihr nicht aus. Obwohl er sich als Sportchef von Meister YB bequem hinter den sportlichen Aspekten der Corona-Krise verbarrikadieren und Einblicke in sein Seelenleben verweigern könnte. Doch es liegt ihm derzeit nichts ferner, als über die Super League, Geisterspiele und einen möglichen Meister zu sprechen.
Die Berner haben die Zeit seit Montag als Woche der Verarbeitung deklariert. Deshalb läuft der Kontakt zur Mannschaft auf Sparflamme. «Wir haben für die Spieler klare Anlaufstellen definiert. Auch die Klubärzte stehen dafür zur Verfügung», sagt Spycher. Es zahle sich aus, dass YB in den letzten Jahren bei den Profis Vertrauen aufgebaut habe und diese sich gut aufgehoben fühlen, sagt Spycher. «Wir alle müssen das Geschehene und Erlebte sacken lassen und begreifen, in welcher Situation wir sind.»
Auf der Geschäftsstelle herrscht gähnende Leere. Im Stade de Suisse gibt es einzig im Einkaufszentrum Betrieb. Wie alle Mitarbeiter ist auch Spycher im Home-Office tätig. Er sagt: «Es funktioniert gut.» Vom Virus infiziert sei bei YB niemand. Doch es sei wohl eine Frage der Zeit, bis sich dies ändere.
Im Gegensatz zu anderen Klubs haben die Young Boys ihren ausländischen Spielern untersagt, die Schweiz zu verlassen. «Wir wissen ja nicht, ob sie in drei, fünf oder acht Wochen zurückkehren können», sagt Spycher. «Wir haben ihnen gesagt, dass sie sich zwingend an alle Anweisungen des Bundesrats zu halten haben», sagt Spycher. Die Klubführung müsse Leadership zeigen. Beweisen, dass sie für alle Mitarbeiter da sei. Und noch etwas ist Spycher ganz wichtig: «Wir müssen als Klub ein Vorbild sein und die richtigen Signale an die Gesellschaft aussenden. Zeigen, dass wir hinter der Politik der Regierung stehen.»
Spycher mahnt dazu, in der Medienlandschaft cool zu bleiben. Auch im Fussball. Er will die heiss diskutierten Vorgänge bei anderen Klubs explizit nicht kommentieren. Auch nichts zu den fristlosen Entlassungen von neun Spielern beim FC Sion sagen. YB werde seinen Verpflichtungen nachkommen und Ende des Monats würden alle den Lohn auf dem Konto haben, sagt Spycher. «Wir wollen gut zu unseren Mitarbeitern schauen.»
Was die Fitness betrifft, liegt der Lead beim Trainerstab. Irgendwann werde dieser den Spielern sagen, was individuell zu tun sei. «Im Moment haben wir noch die komfortable Situation, in die Natur hinaus zu dürfen», sagt Spycher und appelliert eindringlich an Jung und Alt, die getroffenen Massnahmen zu respektieren. «Es ist riesengrosse Solidarität gefragt.»
Spycher sagt, ihm selber gehe es gut. Er wisse, dass er selbst in dieser Krise privilegiert sei. Schlafen könne er gut, denn seine beiden 9- und 12-jährigen Giele würden ihn angesichts der geschlossenen Schulen ganz schön fordern. «Auch sie müssen Verhaltensregeln akzeptieren. Wissen, dass sie nicht mit zehn anderen auf dem Pausenplatz tschutten dürfen.»
Am Morgen ist Spycher mit dem Velo ausgefahren. Allein, wie er betont. «Um den Kopf zu lüften.» Noch gibt es keine Ausgangssperre, die das untersagen würde. «Damit das so bleibt, sind wir gut beraten, die von den Spezialisten aufgestellten Regeln einzuhalten», sagt Spycher.
Ist das Virus eine Strafe der Natur? So weit will der 42-Jährige nicht gehen. Aber er sagt: «Es regt schon zum Nachdenken an, dass es unser ganzes System ins Wanken bringt.» Ein System, in dem es keine Limiten gebe und man am einen Tag nach Mailand fliege und am nächsten nach Barcelona und dann in die USA. Ein System mit einer schnelllebigen Gesellschaft, in der viele nur noch über die sozialen Medien miteinander kommunizierten und eine Vereinsamung drohe.
«Es ist schwierig, vorauszusagen, welchen Einfluss die Corona-Krise auf unser Leben haben wird. Ob nach ihr wieder ohne Ende gepusht wird, oder ob wegen ihr die Beziehungen zu unseren Mitmenschen einen wichtigeren Stellenwert erhalten», sagt Spycher. «Aber jetzt habe ich einfach einmal ein tiefes Grundvertrauen in die Schweiz. Machen wir das Beste aus dieser schweren Zeit.»