WM-Qualifikation
Neuer Hauptdarsteller, Aussenseiter-Fussball, Druck auf Xhaka und Shaqiri: Unsere sechs Erkenntnisse nach dem Italien-Spiel

Das 0:0 in der WM-Qualifikation liefert einige Indizen, wie Murat Yakin als Nationaltrainer funktioniert. Nach der starken Schweizer Leistung trotz vieler Absenzen lautet eine Frage: Geht es wirklich auch ohne Granit Xhaka und Xherdan Shaqiri?

Etienne Wuillemin und Christian Brägger
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Fabian Frei – plötzlich unverzichtbar?

Fabian Frei rechtfertigt Trainer Yakins Vertrauen und zeigt eine solide Partie.

Fabian Frei rechtfertigt Trainer Yakins Vertrauen und zeigt eine solide Partie.

Urs Lindt / freshfocus

Vieles drehte sich nach diesem 0:0 um einen Namen: Fabian Frei. An der EM noch Zuschauer, der die Schweizer Spiele im Nati-Trikot vor dem TV verfolgte, wurde Frei über Nacht plötzlich zum Hauptdarsteller. Mit seiner Ruhe, seiner Passsicherheit und seinem feinen Gespür für das Spiel gelang es ihm, der Schweiz viel Stabilität zu verleihen. Nun ist es nicht so, dass man dies Frei nicht zutrauen würde. Aber dass ihm das auf Anhieb und praktisch ohne Angewöhnungszeit gelang, ist schon bemerkenswert. Schliesslich wurde der mittlerweile 32-jährige Frei letztmals im März 2018 in die Nati berufen – für ein paar Testspielminuten gegen Griechenland und Panama.

Interessant am Beispiel Frei ist auch, dass es ganz gut zeigt, wie Murat Yakin als Trainer funktioniert. Er scheut sich nicht vor mutigen Entscheiden. Wenn er überzeugt ist davon, dass Frei die Rolle des Stabilisators am besten ausüben kann, weil Xhaka coronabedingt und Freuler wegen einer Sperre fehlen, dann tut er es einfach. Dass Frei «nur» in der Super League spielt und einen Legionär aus der Bundesliga wie Zakaria, der eigentlich höher steht in der Hierarchie, überholt – egal! Für Yakin ist es auch unerheblich, wie die Lage in zwei Monaten oder einem Jahr aussieht. Hauptsache, er findet den Spieler, der in der momentanen Verfassung die angedachte Rolle am besten ausführen kann, und das war Fabian Frei.

Dass Frei nun plötzlich langfristig zum Schlüsselspieler wird, ist trotzdem eher unwahrscheinlich. Im Moment tut er diesem Team aber alleweil gut, und das ist die Hauptsache.

Die Nati als Aufbauhilfe

Jean-Christophe Bott / KEYSTONE

Neu ist das nicht. Die Nationalmannschaft ist ein Hort, der den Schweizern gut tut, ein Kraftspender sozusagen. Sommer beispielsweise ist im Klub mit Gladbach zwar gut aus dem Starthaus gekommen, doch beim zweiten Tor fädelte er bereits ein und musste heftige Kritik einstecken. Schär hat oftmals in der Nati Trost gefunden, wenn es ihm im Klub (Hoffenheim, La Coruna) nicht so lief. Shaqiri sowieso, Rodriguez gar wurde durch die Nati irgendwie gefühlt in der Fussballkarriere gehalten in der vergangenen Saison, die ihm im Klub bei Torino so missriet.

Auch bei Yakin scheint dieser Fakt nicht anders, Seferovic kommt nun in der Nati in den Rhythmus, Zuber ebenfalls. Letztlich ist das ein gutes Zeichen: Das Standing im Klub sagt nichts oder nur wenig auf die Leistungsfähigkeit im Schweizer Dress aus. Und doch gibt es natürlich Anhaltspunkte, sonst hätte Yakin im Mittelfeld gegen diese Italiener, die gerade auch dort Topleute vorweisen, nicht auf die Schweizer gesetzt, die bereits im Rhythmus sind.

Haris Seferovic gegen Leonardo Bonucci.

Haris Seferovic gegen Leonardo Bonucci.

Urs Lindt / freshfocus

Ein bisschen Aussenseiter-Fussball

Mit Yakin an der Seitenlinie findet auch eine neue Attitüde Einkehr in den Kreis der Nationalmannschaft. Während Petkovic sogar Gegner wie Spanien oder Deutschland oder Italien dominieren wollte und Positivität forderte, sieht Yakin das ganze ungleich pragmatischer. Er analysiert den Gegner, er analysiert den Trainer des Gegners, und dann handelt er nach seinem Gefühl, fordert aber zuerst eine starke Defensive, viel Laufbereitschaft, viel Taktik, und während dem Spiel, das er liest, greift er korrigierend ein. Vor allem ist er dem Aussenseiterfussball nicht abgeneigt. «Wir waren beim Erstellen unserer Formation sehr kreativ», sagte er.

Yakin beobachtet von der Seitenlinie und greift korrigierend ein.

Yakin beobachtet von der Seitenlinie und greift korrigierend ein.

Jean-Christophe Bott / KEYSTONE

Da stört es ihn auch nicht, wenn es nicht immer so schön anzuschauen ist. Wenn der Ball mal weggeschlagen wird. Selbst wenn Sommer beim Aufbau schon die eine oder andere kritische Angriffsauslösung wählte, als er vom Gegner bedrängte Verteidiger anspielte. Aber Sommer darf das, solange nichts passiert wie einmal in der Nations League gegen Spanien. Bodenständiger Fussball tut der Mannschaft auch deswegen gut, weil er irgendwie ehrlicher und auf die Schweiz zugeschnittener erscheint. Doch schliesslich ist es wohl so: Auch die auf Dominanz ausgerichtete Spielweise hatte seinen Reiz und vor allem seine Attraktivität unter Petkovic, sonst wäre dieses EM-Achtelfinal gegen Frankreich, dieser Schlagabtausch, gar nie zustande gekommen.

Interessant wird nun, wie sich die Schweizer in Nordirland präsentieren. Es wird ein ganz anderes Spiel, das hat auch Yakin bereits erwähnt. Ein Spiel, das die Schweizer gestalten und vor allem gewinnen müssen. Schliesslich wollen sie sich die Möglichkeit des Gruppensiegs aufrecht erhalten.

So viel Super-League wie selten

Nein, Petkovic war kein grosser Fan der Super League, zumindest stellte er fast nie so auf. Auch der kroatischen Liga, wo Gavranovic lange gut spielte und dennoch in der Nati einen schwierigen Stand hatte, war der ehemalige Nationaltrainer wenig gewogen.

Unter Yakin hat sich diesbezüglich der Wind gedreht, natürlich auch wegen der zahlreichen «Unpässlichkeiten» etablierter Spieler. Doch Yakin kennt die Schweizer Ligen wie seine Westentasche, vor allem kennt er den FC Basel gut und weiss auch, wie sich die Young Boys an der Spitze und im internationalen Wettbewerb verhalten. Und damit weiss er genau, was er von Spielern wie Aebischer, Frei, Garcia und Fassnacht bekommt, wenn er sie bringt. Sie sind keine Trouvaillen, aber sie verkörpern Solidität und strahlen doch eine gewisse internationale Routine aus.

Yakin im Gespräch mit Silvan Widmer, Michel Aebischer, Fabian Frei und Renato Steffen.

Yakin im Gespräch mit Silvan Widmer, Michel Aebischer, Fabian Frei und Renato Steffen.

Jean-Christophe Bott / KEYSTONE

Man muss wohl weit zurückschauen, bis man nur schon zwei Spieler aus der Super League in der Startformation eines Pflichtspiels sieht. Und doch muss man konstatieren: Auch unter Petkovic hatten sich die Profis der Super League zuletzt etwas näher an die Nati gespielt als zu Beginn von dessen siebenjähriger Amtszeit.

Die System-Frage: Yakins Liebe für die Viererkette

Die Frage nach dem System im Schweizer Spiel wurde im Vorfeld dieser WM-Qualifikationstage viel diskutiert. Und tatsächlich: Yakin setzte gegen Italien auf eine klare Viererkette, anders als Petkovic noch während der EM, wo sich Fünferkette und Viererkette während der verschiedenen Phasen des Spiels abwechselten. Der Stabilität des Teams hat die Massnahme bestimmt geholfen. Auch, weil die Schweiz in diesem System über einen zusätzlichen Akteur im Mittelfeld verfügt. Die Folge: Mehr eigene Schlagkraft, weniger Freiheiten (und Überzahl-Momente) für den Gegner. Interessant zudem: Die Innenverteidiger Akanji und Elvedi wechselten die Seiten, neu verteidigt Akanji halbrechts und Elvedi halblinks.

Braucht es Xhaka und Shaqiri noch?

Die Frage ist natürlich polemisch. Und darum braucht es auch eine dezidierte Antwort: Ja, die Schweizer Nati braucht unbedingt einen Captain Granit Xhaka und einen Spielgestalter Xherdan Shaqiri. Die beiden bringen noch immer (und wohl noch einige Jahre) so viel Qualität ins Schweizer Spiel, dass ein Verzicht auf sie töricht wäre. Nur: Der Leistungsdruck auf sie wird natürlich erhöht, wenn die Schweiz gegen Italien mit einem Mittelfeld bestehend aus Sow, Aebischer und Frei zeigt, dass es auch ohne Xhaka/Shaqiri geht. So werden die beiden Abwesenden auch wissen: Wir müssen weiter dieselbe Einsatzbereitschaft zeigen – denn die Alternativen wären vorhanden.

Captain Granit Xhaka wurde im Vorfeld positiv auf das Coronavirus getestet und fällt aus.

Captain Granit Xhaka wurde im Vorfeld positiv auf das Coronavirus getestet und fällt aus.

Gian Ehrenzeller / KEYSTONE