Sie stammen aus dem gleichen Dorf im Appenzellerland, sind zwischen 45 und 48, treffen sich einmal pro Woche und jassen oder spielen Boule. Pius, Qualitätsmanager, Appenzell. David, Lehrer, Speicher AR. Tobias, Consultant, Zürich. Flavio, Sozialarbeiter, Kirchberg SG. François, Journalist, Windisch.
Pius: Ich verstehe nicht, warum sich in der Schweiz bei jeder Kandidatur Widerstand gegen Olympische Winterspiele regt.
Tobias: Hör mir auf mit Winterspielen. Das ist doch ein Füdlibürger-Event. Winterspiele strahlen nicht global aus. Was wirklich Stil hätte, wären Sommerspiele in der Schweiz.
François: Viel zu gross und viel zu teuer.
Tobias: Wir haben genug Geld. Das belegt allein der Kohäsionsbeitrag von 1,3 Milliarden an die EU-Ostländer,
Pius: Ja, dieses Ost-Sponsoring scheint mir nicht ganz zu Ende gedacht. Wer hilft unseren Bauern künftig bei der Ernte, wenn der Bundesrat im Osten in Bildung und Arbeit investiert?
François: Diese Betrachtungsweise finde ich äusserst polemisch und isoliert.
Pius: Vielleicht. Aber ich sähe es lieber, wenn wir Winterspiele durchführten statt Aufbauhilfe Ost betrieben. Schliesslich macht es mehr Sinn, Winterspiele dort abzuhalten, wo die Infra-
struktur mehrheitlich schon besteht.
David: Meine Worte. Man sollte weltweit sechs Wintersport-Orte definieren, die im Turnus die Spiele durchführen. Und mit den Sommerspielen sollte man genau gleich verfahren. Das wäre nachhaltig.
François: Das halte ich für eine gute Idee. Ihr müsst schon sehen: Die Wertschöpfung solcher Mega-Events ist bescheiden. Südafrika boomt nach der Fussball-WM 2010 ebenso wenig wie Brasilien, wo die WM 2014 und die Sommerspiele 2016 stattgefunden haben.
Tobias: Ihr denkt zu klein. Die Schweiz braucht einen Event, von dem man noch in 100 Jahren spricht.
François: Platte PR-Rhetorik. Erstens lebst du dann nicht mehr. Zweitens: An welchen Event
vor 100 Jahren erinnerst du dich?
David: Oder wir gehen mit den Olympischen Spielen auf den Mond. Das schliesst zumindest den Gigantismus schon mal aus.
Tobias: Quatsch. Einigen wir uns auf eine Fussball-WM in der Schweiz.
François: Absurd.
Tobias: Nein, überhaupt nicht.
François: Doch. Als ein in Zürich Assimilierter ist dir vielleicht nicht mehr bewusst, dass in unserem Land nicht alles «big» ist. Erst recht nicht die Fussballstadien. Selbst der Letzigrund mit seinen 30 000 Plätzen ist zu gross für «Little Big City».
Tobias: Der Slogan wurde schon längst durch «Zürich – World Class» ersetzt.
Pius: Noch schlimmer. Mir schläft jedenfalls das Gesicht ein, wenn im Letzigrund 6000 Zuschauer GC gegen St. Gallen schauen.
Tobias: Was seid ihr für provinzielle Kleinkrämer. Man könnte provisorische Stadien bauen.
David: Natürlich! Man räumt die Ikea-Filialen aus und funktioniert sie temporär in WM-Stadien um.
Tobias: Nein. Hört mir mal zu: Man gibt der ETH den Auftrag, recycelbare Stadien zu entwerfen. Somit kann sich die ETH, ja die ganze Schweiz einmal mehr als Spitzen-Forschungs-und-Technologie-Standort profilieren. Quasi die Welt zu Gast im Silicon Valley Europas. Der Imagegewinn wäre gigantisch.
François: Machst du jetzt einen auf Lobbyist?
Pius: Scheint mir auch so. Aber bevor du die Fussball-WM in die Schweiz holst, solltest du
uns erst noch die Kohäsionsmilliarde als gutes Geschäft verkaufen.