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Es ist die Geschichte eines der grössten Talente, welche die Schweiz je gesehen hat. Aber auch die Geschichte eines Spielers, dessen Weg von Verletzungen, Krankheiten und Missverständnissen gesäumt ist. Diejenige von Luca Cunti.
Luca Cunti galt schon früh als ausserordentlich begabter Spieler. Der Schweizer NHL-Scout Thomas Roost bezeichnete ihn als «das grösste Schweizer Talent aller Zeiten». 18 Jahre alt war er damals.
Doch dann geschah Seltsames: In der Saison 2006/2007 spielte er inklusive zwei Nachwuchs-Nationalmannschaften (U18/U20) für sieben (!) verschiedene Teams – in der NLB für die GCK Lions und Thurgau, in der 1. Liga für Weinfelden und Dübendorf. Und dazu noch für die Elite-Junioren der Lions.
Kurz: Er wurde weitergereicht wie eine heisse Kartoffel. Als ob sich niemand die Finger an ihm, dem bisweilen eigenwilligen Riesentalent, verbrennen möchte. «Ich ging schon früh einen anderen Weg als die jungen Spieler von heute», sagt Luca Cunti. «Solche mit guten Draft-Chancen spielen heutzutage bereits mit 17 Jahren in der NLA oder zumindest eine gute Rolle in der NLB. Ich musste in die 1. Liga, da ich in der NLB keinen Platz bekam. Früher musste man sich als Junger weit hinten anstellen.»
Dabei hatte er damals nur eines im Sinn: «NHL! NHL! NHL! Ich wollte möglichst schnell nach Nordamerika.» Doch in seinem Streben, seinen grossen Traum unter allen Umständen zu verwirklichen, stiess er auf Hindernisse wie zum Beispiel die strengen Richtlinien der College-Liga NCAA.
Die Behörde bestätigte ihm damals erst nach langer Wartezeit, dass er keine Spielberechtigung erhalten würde. Grund waren seine wenigen NLB-Einsätze.
Cunti sagt: «Die kleinen Ziele sind wichtig. Früher waren meine Ziele entweder zu hoch gesteckt oder zu wenig genau definiert. Den Weg via College war vor mir noch niemand gegangen. Ich konnte mich deshalb nicht auf die Erfahrungen anderer stützen.»
Nach seiner Rückkehr in die Schweiz und überstandenem Pfeifferschen Drüsenfieber erbarmte sich 2011 schliesslich sein Stammklub wieder seiner und nahm Luca Cunti in der NLB für die GCK Lions unter Vertrag.
Sein Glück war, dass er mit Simon Schenk einen einflussreichen Fürsprecher innerhalb der Lions-Organisation hatte, in welcher viele Leute nichts mehr mit dem oft missverstandenen Genie zu tun haben wollten.
Sein zweites Glück war schliesslich, dass der aus der NHL gekommene ZSC-Trainer Bob Hartley auf alle Vorgeschichten pfiff, das unglaubliche Talent Cuntis erkannte und ihn, den designierten NLB-Spieler, unbedingt im NLA-Team haben wollte. Unter Hartley avancierte er in Kürze zum dominanten Spieler.
Er war so gut, dass ihn der Meistertrainer im folgenden Sommer mit nach Calgary in die NHL nehmen wollte. Cunti sagte ab: «Weil ich einen Vertrag beim ZSC hatte. Es war meine erste Saison. Da war die Situation eine andere. Die Lions haben mir wahnsinnig viel Wertschätzung entgegengebracht. Und ich dachte: Okay, noch eine Saison tut auch meiner Entwicklung gut.»
Die Kontakte in die NHL zerschlugen sich danach, obwohl Luca Cunti immer besser wurde. Sowohl beim ZSC als auch auf internationaler Ebene. Er war Mitglied der Schweizer «Silberhelden», die an der WM in Stockholm 2013 erst im Final von den Schweden gebremst worden waren.
2013/2014 lieferte er punktemässig seine beste NLA-Saison ab (54 Punkte in 64 Spielen) und feierte mit den ZSC Lions seinen zweiten Meistertitel. Nichts deutete darauf hin, dass Cuntis Weg in der Folge wieder steinig werden sollte.
Die Einsatzzeiten wurden unregelmässig, was sich ungünstig auf die Punktestatistik auswirkte. Gerüchte von gesundheitlichen Problemen machten die Runde – von Gehirnerschütterungen bis zu Herz-Rhythmus-Problemen. Während der aktuellen Saison, unter dem neuen ZSC-Trainerduo Hans Wallson/Lars Johansson, war er zweimal krank.
Doch auch wenn er fit war, musste er immer wieder als überzähliger Spieler auf der Tribüne Platz nehmen. Ein unerhörter Abstieg, ja fast eine Demütigung für einen, der vor nicht einmal drei Jahren an der Schwelle zur NHL stand.
Wie konnte es so weit kommen? Vor Beginn der Saison liess Wallson öffentlich verlauten, dass er es als seine Aufgabe ansehe, Cunti wieder zu einem dominanten Center zu formen. Der Schwede war positiv von dessen Potenzial überrascht.
Als die Saison jedoch begann, gewährte er Cunti nur noch limitierte Eiszeit und entsprechend eine eingeschränkte Rolle auf dem Eis und im Team. Dies, obwohl Cunti vonseiten des Trainers nie eine negative Beurteilung seiner Leistung erhalten hatte: «Wir verstanden uns immer gut. Er war mir gegenüber auch immer positiv, hat mich immer gelobt. Trotzdem musste ich aussetzen. Das war für mich schwer nachvollziehbar.»
Zumal Luca Cunti nicht das Gefühl hat, schlechter zu sein als vor drei Jahren. «Aber wenn man limitierte Eiszeit erhält, dann wird es schwierig, seine beste Leistung zu erbringen.»
Inzwischen hat sich die Situation weiter verkompliziert. Seit feststeht, dass Luca Cunti für die kommenden zwei Saisons bei Lugano unterschrieben hat, fragt man sich eigentlich nur noch, ob der Wechsel ins Tessin noch während der laufenden Meisterschaft oder erst im Sommer über die Bühne geht.
Cunti dazu: «Das liegt nicht an mir, sondern an den Klubs. Für mich ist wichtig, zu wissen, woran ich bin. Wenn ich, wie bislang, nur beschränkte Eiszeit bekomme und mit meinen spielerischen Fähigkeiten allein nicht in die Mannschaft komme, würde ich gerne früher zu Lugano wechseln. Wenn der ZSC mich jedoch spielen lässt, will ich natürlich mit Zürich Meister werden.»
Momentan kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Luca Cunti gefangen ist im Löwenkäfig. Er sagt: «Für jeden Spieler ist es schlimm, wenn er nicht spielen kann. Das Schlimme an meiner Situation ist, dass ich trotz Bemühungen machtlos bin, an der Situation etwas zu ändern.»
Auch für seine Teamkollegen sei die Situation schwierig zu verstehen, denn «viele merken es, fragen, was läuft da, finden es komisch».
Zum Glück hat er in dieser schwierigen Phase seiner Karriere seine Familie. Auch wenn ihm sein 15 Monate altes Töchterchen immer mal wieder den Schlaf raubt, fühlt er sich «ausgeglichener und glücklicher als je zuvor. Die Familie gibt mir Halt. Ohne meine Frauen hätte ich mehr Mühe, das Ganze zu verdauen», betont Cunti, der zu der Sorte Mensch gehört, die sich zu viele Gedanken macht.
Apropos Gedanken: Cuntis Traum, dereinst in der NHL zu spielen, existiert immer noch: «Ich wäre gerne dort, hätte es gerne geschafft. Aber ich bin erst 27. Theoretisch ist die Chance noch da. Aber jetzt habe ich auch andere Dinge als die NHL im Kopf.» Zum Beispiel, einfach mal wieder Eishockey spielen zu dürfen.