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Wird ein Sportler im Nachhinein des Dopings überführt, werden ihm seine Medaillen aberkannt und weitergegeben. Die betrogenen Sportler können auf Schadenersatz klagen - mit unterschiedlichem Erfolg. Dario Cologna kennt die Situation des nachträglichen Ruhms.
Es ist ein neues Phänomen im Spitzensport. Dopingsünder werden durch eingefrorene Proben Jahre nach ihrem Vergehen überführt. Von den Betrügern längst als erfolgreich verbuchte Manipulationen werden von Journalisten und Whistleblowern aufgedeckt.
Radstar Lance Armstrong oder die russische Olympiadelegation von Sotschi mit 28 angeklagten Athleten lassen grüssen.
Das war wohl nicht im Sinne des Erfinders. Ende Dezember forderten mehr als 100 Langläufer aus dem Weltcupfeld in einem offenen Brief ein Treffen mit FIS-Präsident Gian Franco Kasper und IOC-Präsident Thomas Bach. Sie kritisierten die unzureichenden Konsequenzen gegenüber den russischen Athleten nach den Enthüllungen durch den McLaren-Report.
Am Rande der Nordisch-WM in Lahti kam es letzte Woche zu diesem Treffen. Pro Nation waren zwei Sportler anwesend. Die russische Delegation schickte ausgerechnet den provisorisch gesperrten Sprinter Alexej Petuchow an die Aussprache. «Wir haben uns zuerst überlegt, ob wir ihn rausschicken wollten», sagt FIS-Präsident Kasper, «aber letztlich war sein Auftritt bedenkenlos. Er hat einfach seine Sicht verteidigt.» Konkrete Beschlüsse gab es am Meeting keine.
Kasper bemängelte, dass viele Athleten unzureichend informiert waren: «Sie dachten, wir würden nichts unternehmen. Wir haben ihnen nun die Fakten geliefert. Etwa, dass die FIS die sechs russischen Langläufer nur zwei Stunden nach dem Entscheid des IOC über die Aufnahme eines Verfahrens gesperrt hat.»
Bei der Eröffnungsfeier der WM der Nordischen in Lahti überreichte Thomas Bach, Präsident des internationalen olympischen Komitees (IOC), dem finnischen Speerwerfer Antti Ruuskanen feierlich die olympische Silbermedaille von London 2012.
Ein ukrainischer Konkurrent war in der Nachkontrolle hängen geblieben. Bislang haben nicht weniger als 106 Medaillen von Peking und London den Besitzer gewechselt.
Edelmetall erhalten die betrogenen Athletinnen und Athleten, auch die Preisgelder werden selbstverständlich bezahlt. Nur die entgangenen Emotionen kann ihnen niemand nachreichen.
Und wie steht es mit dem finanziellen Verlust, mit nicht zustande gekommenen Sponsorings? Was zum Beispiel, wenn der Schweizer Langlauf-Star Dario Cologna dereinst noch zum Weltmeister von Falun 2015 ausgerufen wird, weil sein damaliger Bezwinger Maxim Wylegschanin im Soge des Sotschi-Skandals definitiv als Doper überführt wird?
Cologna kennt die Situation des nachträglichen Ruhms bereits seit dem Sommer 2016. Weil sein grosser Konkurrent, der Norweger Martin Johnsrud Sundby, einen Asthmaspray falsch angewendet hatte, wurde er vom internationalen Sportgerichtshof (CAS) für zwei Monate gesperrt und ihm unter anderem der Gesamtweltcupsieg der Saison 2014/15 entzogen. Cologna profitierte.
«Dario könnte sich überlegen, Sundby wegen entgangener Sponsoringeinnahmen auf Schadenersatz zu verklagen», schlug der Schweizer Langlauf-Chef Hippolyt Kempf bereits damals provokativ vor.
«Das stand für uns nicht zur Diskussion», sagt Colognas Manager Dominik Leu, «auch weil wir die Erfolgschancen als zu gering betrachten.» An dieser Einschätzung wird sich auch im Fall von Wylegschanin nichts ändern.
Gleichwohl profitiert der Schweizer Olympiasieger von der nachträglichen Disqualifikation seines Konkurrenten auch finanziell. 18 775 Franken Preisgeld hat er von der FIS nach dem Sundby-Entscheid erhalten.
Und wohl noch einiges mehr an Erfolgsprämien durch seine Sponsoren. «Sie werden verstehen, dass ich Ihnen keine Zahlen nennen kann», sagt Leu. Er betont aber, dass sämtliche Sponsoren anstandslos bezahlt haben.
Nach dem Sundby-Urteil Geld einfordern könnte auch der Schweizer Skiverband Swiss Ski. Die Verträge mit Verbandssponsoren enthalten leistungsabhängige Zahlungen. CEO Markus Wolf verrät, dass man im Fall Sundby bewusst darauf verzichtet hat, selbst wenn es rechtlich durchsetzbar gewesen wäre.
«Die Mehreinnahmen stehen in keinem Verhältnis zur möglichen Verärgerung, die wir bei unseren Partnern auslösen könnten. Schliesslich hatten sie vor zwei Jahren effektiv auch keinen Mehrwert.» Auch Wolf will keine Zahlen nennen, der Bündner sagt aber: «Finanziell relevant wird es, wenn wir beispielsweise im Nationenklassement der Alpinen einen Rang gewinnen.»
Wolf weist auf einen weiteren heiklen Punkt bei der Schadenersatz-Thematik hin. Biathlet Benjamin Weger verlor vor einem Jahr äusserst knapp seinen Status in der Nationalmannschaft. Die Rückversetzung ins A-Kader ging mit Lohneinbussen und eventuell mit verminderten Sponsoringleistungen einher.
Die nachträgliche Disqualifikation von russischen Athleten im Weltcup könnte dazu führen, dass Wegers Zurückstufung zu Unrecht erfolgte. «Was dann», fragt Wolf, «wer kann dann von wem Schadenersatz einfordern?»
Dem renommierten Schweizer Sportjuristen Stephan Netzle ist kein entschiedener Fall bekannt, in dem ein Athlet Schadenersatz von einem gedopten Konkurrenten verlangte. Auch die FIS sagt, so etwas habe es noch nie gegeben.
Umgekehrt allerdings schon. So hat der belgische Veloprofi Ilja Keisse 2014 vom internationalen Radsportverband UCI 100 000 Euro erstritten, weil er zu Unrecht gesperrt wurde und deshalb Einkommensverluste erlitten habe.
Die deutsche Eisschnellläuferin Claudia Pechstein scheiterte hingegen letztlich mit dem Versuch, eine Verurteilung des CAS vor Zivilgericht anzufechten. Weil sich alle Spitzensportler der Gerichtsbarkeit des CAS unterwerfen, beantragte sie nicht die Aufhebung des Urteils, sondern klagte ebenfalls auf Schadenersatz.
Und in Kürze beginnt in den USA der Prozess der US-Regierung gegen Lance Armstrong. Sie fordert vom Velostar Schadenersatz in der Höhe von 100 Millionen Dollar, weil Armstrong als gedopter Fahrer des Teams US Postal den Bürger letztlich um Steuergelder betrogen habe.
Netzle schätzt die Chancen für eine Schadenersatzklage gegen einen Konkurrenten in der Schweiz als «nahezu aussichtslos ein». Der ehemalige Spitzenruderer sagt, «unsere Rechtsprechung verlangt sehr genaue Beweise für einen tatsächlich erlittenen Schaden oder entgangenen Gewinn. Ohne solche konkreten Beweise würde ich einem Athleten von einer solchen Klage abraten.»
Einige der grössten Dopingskandale der Sportgeschichte: