Nationalmannschaft
Wenn die Muskulatur zwickt und streikt: Was es mit Shaqiris Verletzung auf sich hat

Im Oktober verletzte sich Xherdan Shaqiri im Spiel gegen Swansea. Schon wieder! Bereits im Sommer litt er an Wadenverletzung einer Verletzung. Ist der wirblige Offensivspieler besonders anfällig auf Verletzungen?

Markus Brütsch
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Shaqiri muss verletzt pausieren.

Shaqiri muss verletzt pausieren.

Keystone

Nicht schon wieder! So dürften im Britannia Stadium viele gedacht haben, als Xherdan Shaqiri nach 26 Minuten vom Rasen humpelte und in der Kabine verschwand. Am Ende siegte Stoke City gegen Swansea zwar 3:1, doch das neuerliche Out des Schweizer Nationalspielers war für die Potters ein Schock. Denn als Shaqiri früh in der Saison wegen einer Wadenverletzung ausgefallen war, hatte Stoke vier Mal verloren. Als er wieder da war, nie mehr. So war es für Trainer Mark Hughes ein harter Schlag, als die Diagnose von Shaqiris erneuter Verletzung feststand: Zerrung der hinteren Oberschenkelmuskulatur.

Auch Vladimir Petkovic war alles andere als erfreut, als er zur Kenntnis nehmen musste, dass der Schütze des schönsten EM-Tores im vierten WM-Qualifikationsspiel gegen die Färöer fehlen würde. «Diese Verletzungen sind eine Gefahr für seine Karriere», sprach der Schweizer Nationalcoach zu Beginn des Vorbereitungstrainingslagers in Lugano Klartext. «Shaqiri muss in der Prävention noch mehr tun.»

Der Laie stutzte und fragte sich: Warum investieren die Klubs Millionen in ihre Spieler, vernachlässigen aber bei ihrem teuren Personal die Prävention von Muskelverletzungen?
Wäre dies doch bloss so einfach.

In diesen Wochen ist selbst der Dortmunder Trainer Thomas Tuchel wiederholt fast verzweifelt. Zwischenzeitlich haben ihm zehn Profis gefehlt, viele davon wegen Muskelverletzungen. Dabei gilt der Jungtrainer als Experte, wenn es um Trainings- und Belastungssteuerung geht. Die Sache ist verzwickt.

30 Prozent aller Verletzungen im Fussball betreffen die Muskeln. Meistens werden sie ohne gegnerische Einwirkungen erlitten. Ein Liedchen dazu hat auch der FC Basel in der letzten Saison gesungen. Doch seit der Klub im Sommer mit dem anerkannten Fachmann Werner Leuthard einen neuen Leiter Fitness engagiert hat, sind die Klagen verstummt.

«Muskelverletzungen lassen sich nie ganz verhindern, aber man kann das Risiko vermindern», sagt denn auch Markus Tschopp. Der 46-Jährige ist der Leistungsdiagnostiker der Schweizer Nati und seit 2004 dabei. Er kennt die Akte «Shaqiri» genau, zumal der Schweizerische Fussballverband mit den Klubs der Nationalspieler zunehmend einen guten Gedanken- und Datenaustausch pflegt − auch mit Stoke City.

Mit dem vom früheren FCB-Trainer Thorsten Fink sowie von italienischen und englischen Medien erhobenen Vorwurf, Shaqiri habe drei oder vier Kilo zu viel auf den Rippen, kann Tschopp nichts anfangen. «Shaqiri hat kein Übergewicht. Der Fettanteil ist nicht überhöht», so der Experte. «Aber er hat eine speziell grosse Muskelmasse.»

Ist dies also das Problem? Sind Akteure mit dieser Konstitution besonders gefährdet, Muskelverletzungen zu erleiden? «Es gibt keine wissenschaftlichen Erkenntnisse, dass ein bestimmter Muskulaturtyp anfälliger für Verletzungen ist als ein anderer», sagt Tschopp. «Aber schnellkräftige Spieler wie Shaqiri können eine höhere Muskelspannung aufbauen und machen daher häufiger explosive Bewegungen, die zu Verletzungen führen können.»

Auf die Dosierung kommt es an

Selbst wenn gemäss Tschopp jede Verletzung das Risiko erhöht, dass sich der Spieler an dieser Stelle erneut verletzt und Shaqiri damit ein Handicap trägt, braucht der Offensivspieler den Kopf nicht in den Sand zu stecken. Trotz seiner Spielweise − entweder er steht oder er sprintet − muss er sich nicht damit abfinden, immer mal wieder verletzt zu sein. Denn es gibt Hoffnung.

Tschopp sagt: «Neue Untersuchungen zeigen, dass die Veränderung der Belastung bei Verletzungen eine wichtige Rolle spielt.» Man hört oft Trainer jammern, sie könnten angesichts der vielen Spiele gar nicht mehr richtig trainieren. Wird dann aber zwecks Schonung zu wenig trainiert und der Muskel nicht belastbar genug gehalten, erhöht sich die Verletzungsgefahr beim nächsten Spiel und dem zu abrupten Belastungsanstieg. «Dies richtig zu dosieren, ist die Kunst», sagt Tschopp.

Zurück zur Forderung von Petkovic nach mehr Prävention. Was muss jetzt im Fall Shaqiri geschehen? «Zuerst einmal muss er bei Stoke optimal an seine maximale Belastbarkeit herangeführt werden, an seine spezielle Spielweise mit der hohen Beschleunigung», sagt Tschopp. «Und neben dem Training muss er gezielt präventive Übungen für die hintere Oberschenkelmuskulatur machen.» Aber Leistungsdiagnostiker Tschopp ist sich auch bewusst: Ohne Eigenverantwortung des Spielers werden viele Massnahmen zu Makulatur.