Curling
Weltmeisterin Silvana Tirinzoni: «Wir sind noch nicht am Ziel»

Im Team der Schweizer Weltmeisterinnen haben sich zwei Alphatiere gefunden. Alina Pätz und Silvana Tirinzoni konnten ihre Ansprüche auf die Position des Skip zusammen klären.

Rainer Sommerhalder
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Silvana Tirinzoni (M.) jubelt mit Esther Neuenschwander und Melanie Barbezat.

Silvana Tirinzoni (M.) jubelt mit Esther Neuenschwander und Melanie Barbezat.

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Beim Curling ist der Skip in der Regel der Chef. Er bestimmt die Strategie auf dem Eis. Er spielt die entscheidenden zwei Steine. Was, wenn auf einmal zwei dieser Alphatiere in einem Team Platz finden müssen? Kann das gut gehen?

Diese Frage haben sich die frisch gekürten Weltmeisterinnen Silvana Tirinzoni und Alina Pätz im letzten Frühling auch gestellt. Damals trafen sich die beiden langjährigen Kontrahentinnen zum ersten Mal zu einem intensiven Sondierungsgespräch über eine gemeinsame Zukunft.

Die 39-jährige Tirinzoni seit Jahren Skip beim CC Aarau, die zehn Jahre jüngere Pätz als Skip bereits einmal Weltmeisterin mit Baden Regio. Doch anstatt ein Gerangel um die nominelle Führungsposition im neu formierten Team, herrschte von Beginn weg grosse Harmonie. Der Lohn dafür: EM-Silber im Herbst und WM-Gold vorgestern Sonntag.

Teammitglied Esther Neuenschwander ist seit 2003 Weggefährtin von Tirinzoni. Sie hat alle Höhen und Tiefen des lange als mental schwach angesehenen Skips miterlebt. Zur veränderten Chemie im Team sagt sie: «Der Prozess schien im Vorfeld eine grosse Herausforderung, ist in der Praxis aber unspektakulär einfach verlaufen.» Er erinnere sie an eine frische Beziehung: «Am Anfang bist du einfach nur verliebt».

Die geteilte Verantwortung

Ein Grund für diese für alle Beteiligten viel schneller als erwartet verlaufene Integration war, dass die beiden Alphatiere Tirinzoni und Pätz – anstatt Ansprüche zu stellen – bereit waren, einen Schritt zurückzumachen. «In unserem Gespräch haben Alina und ich dem Gegenüber anerboten, die Rolle als Skip zu übernehmen», verrät Tirinzoni.

Daraus geworden ist schliesslich die Aufteilung der Verantwortung. Silvana Tirinzoni ist Skip und bestimmt die Strategie, Alina Pätz spielt die letzten zwei Steine. Es ist das erste Mal überhaupt in der Karriere, dass Tirinzoni diese Verantwortung abgibt. «Es ist Teil unseres Erfolgsgeheimnisses, dass wir beide Verantwortung abgeben wollten», sagt sie. «Schliesslich kann der Job als Skip eine extreme Belastung sein.»

Auch für die 39-Jährige war die Frage nach der Harmonie die grosse Unbekannte: «Passen Alina und ich überhaupt zusammen?» Sie seien beide sehr ehrgeizig, aber eben auch sehr teamorientiert. Und die Stimmung im Team sei von Beginn weg ansteckend gewesen. «Mir fehlte nach den Olympischen Spielen ein wenig die Motivation. Aber das war schnell vorbei, als wir im Juni wieder zu trainieren begannen. Die Energie der Mitspielerinnen hat mich sofort angesteckt.»

Das Training wurde in der neuen Besetzung punkto Umfang und Intensität noch einmal gesteigert. «Es war auch eine Genugtuung, zu sehen, dass sich im WM-Final die beiden fittesten Equipen gegenüberstanden», sagt Tirinzoni. Sie weist aber auch darauf hin, dass 15 Spiele an acht Tagen aus ihrer Sicht ein grenzwertiges Pensum sei.

Eine offene Kommunikation

Auch Alina Pätz bestätigt, dass das Zusammenwachsen sehr einfach vonstattenging. Die Limmattalerin sieht drei Faktoren, die dafür verantwortlich sind: dasselbe Ziel anzustreben. Den Willen, dafür den gleich grossen Aufwand zu betreiben. Und eine ehrliche, offene Kommunikation im Team.

Das grosse Ziel des Teams ist eine Medaille an den Olympischen Spielen 2022 in Peking. WM-Gold ist auf diesem Weg nicht mehr als ein Zwischenhalt. Und für Silvana Tirinzoni persönlich «eine Befreiung, denn ich wurde als Spielerin angesehen, die entscheidende Partien nicht gewinnt». Das hat die Bankangestellte im WM-Final definitiv widerlegt. Aber sie sagt gleichzeitig: «Ich glaube nicht, dass wir unser Potenzial bereits ausgeschöpft haben.»

Die Harmonie und der Ehrgeiz der neuen Weltmeisterinnen werden auch bei dieser Frage offensichtlich. Alina Pätz sagt, man habe selbst im WM-Final nicht auf dem bestmöglichen Niveau gespielt. Und Esther Neuenschwander erklärt: «Wir sind noch lange nicht am Ziel» Es gebe schliesslich noch EM- und Olympia-Gold auf der Speisekarte. «Und Weltmeister kann man auch zwei- oder dreimal werden.» Wenn das keine Ansage ist.