Weltcup statt Volkslauf
Nur die Profis auf der Loipe: Was dem Engadiner fehlt, wenn die Volksläufer fehlen

Die Norweger gewinnen, Cologna und Fähndrich laufen in die Top Ten, die Rennen bleiben spannend bis zum Schluss – der Weltcup auf der «Engadiner»-Strecke war ein Erfolg. Und dennoch: Ein paar Dinge vermisst der Zuschauer.

Ralf Streule
Drucken
Dario Cologna (mit der Nummer 14) unterwegs in La Punt.

Dario Cologna (mit der Nummer 14) unterwegs in La Punt.

Bild: Mayk Wendt / KEYSTONE

Der Blick aus dem Fenster beim Zmorge verheisst nichts Gutes: Schneefall, Nordwind. «Heute wird keiner traurig sein, wenn er den Skimarathon nicht laufen muss», sagt der Hotelier in Samedan. Er bezieht sich auf die 14'000 Volksläufer, die sich jetzt, am frühen Sonntagmorgen, eigentlich zum Start nach Maloja aufmachen würden – nun aber wohl noch tief schlafen. Auf die Loipe zieht es am diesjährigen «Engadiner» nur jene, die das beruflich machen: Die Weltcupläufer, 62 Frauen und 82 Männer. Die Volksläufer schauen pandemiebedingt zu, vor Ort im Engadin vielleicht, viele aber wohl am TV. Ob sie wirklich gerne verzichten?

Immerhin: Interessant wird es auch ohne Volksläufer und trotz schwieriger Wetterbedingungen und schlechter Sicht. Beide Rennen, sowohl jenes der Frauen über 30 Kilometer ab St.Moritz wie auch jenes der Männer über 50 km auf der Marathonstrecke, sind umkämpft und spannend bis zum Schluss. Neuschnee und Gegenwind helfen mit, dass es im Verfolgungsrennen nicht zu frühen Entscheidungen kommt.

Der Schlussanstieg, ein Zückerli nur für Profis

Im Frauenrennen bildet sich eine Vierergruppe, die Norwegerin Heidi Weng kann sich in der Schlusssteigung absetzen und gewinnt vor der Schwedin Ebba Andersson. Nadine Fähndrich, «Engadiner»-Siegerin 2018, hilft zunächst mit, dass es hinter der Viererspitzengruppe zu einem Zusammschluss kommt, und wird dann zehnte.

Am Rand der Loipe haben sich bereits am frühen Morgen Zuschauergruppen gebildet, an einigen Passagen werden sie trotz Corona erstaunlich gross – nur am Start und im Ziel ist Publikum strikte verboten. Auf einer Anhöhe über dem Zielgelände in S-chanf bringt sich nach dem Frauenrennen dennoch die Treichel-Gruppe des Dario-Cologna-Fanclubs in Position, mit viel Abstand zum Geschehen.

Die Cologna-Fans freut, dass im Männerrennen der grosse Zusammenschluss des Felds im 50-km-Lauf schon nach weniger Kilometern kommt: Alexander Bolschunow lässt sich einholen, rund 50 Läufer sind nun in der Spitzengruppe dabei, Cologna inklusive. Die Entscheidung fällt ebenfalls im Schlussanstieg, einer Zusatzschlaufe, die extra als Zückerli für die Profis präpariert wurde – in einem Bereich, wo Volksläufer längst am Anschlag laufen. Die Norweger Simen Krüger und Hans Christer Holund machen Tempo, hinter ihnen wird der Schwede Jens Burman dritter. Klaebo muss sich mit Platz vier, Bolschunow mit Platz sechs begnügen.

Und Cologna? Er hält im Aufstieg lange mit und wird Neunter. Und landet dort, wo er in dieser Saison so oft schon war: Weit vorne, aber eben doch nicht ganz zuvorderst, in der Schlussphase geschlagen von den endstarken, jüngeren Konkurrenten aus Norwegen oder Russland. Die anderen Schweizer platzieren sich allesamt ausserhalb der Punkteränge – auch Livio Bieler, der sein letztes Weltcup-Rennen bestritt und dies kurzzeitig mit einem Ausreisser feierte und als Vorderster des gesamten Felds in die Kamera winkte.

Am Ende aber wirkt dieser Engadiner, der die Weltcup-Saison beendet, wieder etwas trostlos: Als die Sieger geehrt werden, ist nur ein dünnes Klatschen zu hören. Was für ein Unterschied zur Stimmung, die sonst am Engadiner-Sonntag entsteht, wenn hundert Mal mehr Langläufer ins Ziel laufen.

Schadenfreude muss warten

Die Fernsehzuschauer dürften noch etwas anderes vermisst haben: Die Bilder von ellenlangen Staus vor St. Moritz, oder jene von der Abfahrt im Stazerwald. Wo sonst so herrlich gestürzt wird, war der Weltcup-Pulk heute in wenigen Sekunden vorbeigerauscht. Die Schadenfreude muss bis 2022 warten. Immerhin kommt eine gute Stunde nach Krügers Zieleinlauf noch ein wenig Volkslaufgefühl auf. Der Brasilianer Steve Hiestand läuft mit einer Stunde und 19 Minuten Rückstand in S-chanf ein. Während die ersten Banden bereits weggeräumt werden. Für die Schweizer geht die Saison in zwei Wochen mit den nationalen Meisterschaften in Sedrun zu Ende. Danach gilt: Durchschnaufen, die Saison sortieren. Und dann ins Sommertraining starten. Da können sich Volksläufer ein Beispiel nehmen.