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Jolanda Neff ist in ihrer Sportart die klare Nummer 1 der Welt. Weil sie erst 22-jährig ist, darf sie an der WM nur dank einer Ausnahmebewilligung bei der Elite starten
Eigentlich müsste es Jolanda Neff gar nicht aussprechen, denn ihre Vorfreude ist unübersehbar. «Ich freue mich riesig darauf», sagt sie aber doch und meint die Weltmeisterschaften in Andorra. Soeben hat die 22-Jährige aus dem St. Galler Rheintal zum zweiten Mal den Mountainbike-Gesamtweltcup in der olympischen Disziplin Cross-Country gewonnen. Dass die klare Nummer 1 der Weltrangliste nun erstmals um den WM-Titel bei der Elite kämpfen darf, ist nur dank einer Ausnahmebewilligung des Radsport-Weltverbandes UCI möglich: Gemäss dessen Reglement müsste Neff eigentlich noch in der U23-Kategorie antreten. «Ich bin froh, dass die UCI so entschieden hat», sagt sie. «Im Sinne des Sports ist es das Beste, wenn die Besten gegeneinander antreten.»
Jolanda Neff lässt sich eben nicht so einfach in ein Schema pressen. «Sie ist eine Ausnahmeathletin in jeder Hinsicht», sagt Nationalcoach Edi Telser, der Neff nicht nur ausserordentliches Talent, sondern für ihr Alter auch eine aussergewöhnliche Reife bescheinigt. «Der Erfolg ist eine Sache, aber man muss ihn auch verarbeiten. Damit kann nicht jede junge Athletin umgehen.»
Vielleicht kommt Neff zugute, dass sie schon früh siegen gelernt hat. Als Sechsjährige bestritt sie im Tessin ihr erstes Bikerennen, einen sogenannten Geschicklichkeitsparcours, war sogleich die Schnellste – und kam auf den Geschmack. «Ein Sieg fühlt sich wunderschön an», sagt Neff. «Wenn man einmal gewonnen hat, will man immer wieder.» Das gelang ihr in den Nachwuchskategorien dann auch fast immer, blieb einmal sogar eine ganze Saison ungeschlagen. Selbst in der Elitekategorie brauchte sie keine Angewöhnungszeit. Ihr erstes Weltcuprennen im Frühling 2014 gewann sie gleich – und hat das Trikot der Weltcupleaderin seither nie mehr abgegeben.
Obwohl Neff also die Beste ihres Fachs ist, scheint ihre Leistungsentwicklung noch längst nicht abgeschlossen. Der Konkurrenz muss angst und bange werden, wenn die Ostschweizerin sagt: «Ich habe noch viel Raum nach oben.» Mit 22 hat die amtierende Europameisterin nicht nur punkto Trainingsumfang noch Steigerungspotenzial, sondern auch in Sachen Professionalität. So trainiert Neff bis heute ohne Puls- und Wattmesser – und ist damit eine Exotin unter den Bikeprofis. «Jolanda hat ein extrem gutes Körpergefühl», sagt Nationalcoach Telser. «Darum konnte sie es sich bisher erlauben, auf solche Zusatztools zu verzichten.» Was nicht heisst, dass sie dies auch in Zukunft tun wird. «Ich habe immer gesagt, ich würde dann alles professionell machen, wenn das Elite-Alter erreiche», sagt sie lachend. «Das ist erst im nächsten Jahr so weit.»
Bei allem Ehrgeiz hat sich Neff eine gesunde Beziehung zum Sport bewahrt. Während ihrer Gymnasialzeit trainierte die Athletin, die neben dem Biken auch Hobbys wie Ballett, Gymnastik oder Querflöte pflegte, deutlich weniger als einige Konkurrentinnen. «Ich finde es übertrieben, wenn bereits Junioren das leichteste Velo fahren und vom Wattmesser bis zum Asthma-Spray alles optimieren», sagt sie mit Blick auf übermotivierte Eltern. «Natürlich muss man hart trainieren, aber der Spassfaktor darf doch auch nicht fehlen.»
Der Spassfaktor gehört für Neff auch dazu, wenn sie mal einen Abstecher auf das Rennrad wagt. Im Frühling bestritt sie zwei Weltcuprennen auf der Strasse, und traf dabei einmal mit der sechsköpfigen Spitzengruppe im Ziel ein. Und nach der Bike-WM wird sie Ende September auch noch an der Strassen-WM in Richmond (USA) antreten. «Es wird spannend zu sehen, wie ich mich dort behaupten kann», sagt sie. «Mein Hauptfokus wird aber beim Mountainbike bleiben.»
An der Bike-WM in Andorra geht Neff am Samstag logischerweise als Topfavoritin an den Start – obwohl ihre Vorbereitung nicht optimal verlief. Anfang August konnte sie nach einer Hirnerschütterung kaum richtig trainieren. Am Morgen vor dem Weltcuprennen im kanadischen Mont-Sainte-Anne hatte sie nach einem Schwindelanfall beim Aufstehen mit dem Kopf auf einem Steinboden aufgeschlagen – und gewann das Rennen danach trotzdem. Nach dem Trainingslager auf dem Berninapass, wo sie sich auf die Höhenlage des auf 2000 Metern gelegenen WM-Gebiets vorbereitet hat, ist sie jedoch optimistisch. Fühlt sich Neff unter Druck? «Nein, die Favoritenrolle ist für mich eine Ehre», sagt sie, wieder voller Vorfreude: «Es wäre megacool, wenn ich den Titel gewinnen könnte.»