Triathlon
Warum der vierte Sieg an der Ironman-WM Daniela Ryf einen neuen Glauben schenkt

Daniela Ryf (31) gewinnt zum vierten Mal in Folge den Ironman Hawaii. Längst bewegt sie sich in anderen Sphären – doch sie glaubt, noch Luft nach oben zu haben. Von nun an sind die Männer ihr Richtwert.

Simon Häring
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Daniela Ryf unterbot ihren eigenen Streckenrekord beim Ironman Hawaii um über 18 Minuten.

Daniela Ryf unterbot ihren eigenen Streckenrekord beim Ironman Hawaii um über 18 Minuten.

BRUCE OMORI

Dominanz kann eine Bürde sein. Daniela Ryf (31) teilt dieses Schicksal mit vielen Himmelsstürmern: Wie weiter, wenn man alles gewonnen hat? Welches Ziel soll man sich noch setzen, wenn man unschlagbar zu sein scheint? Wozu die Qualen auf sich nehmen, die der Ausdauersport mit sich bringt? Wieso sich selber in der Mühle zermürben, die von den immer gleichen Routinen angetrieben wird: den gleichen Strecken, den gleichen Gegnerinnen, den gleichen Hotels und den immer gleichen Fragen?

Für kaum jemanden dürften diese Fragen zuletzt drängender gewesen sein als für Daniela Ryf. Am Sonntag gewinnt sie zum vierten Mal in Folge den Ironman Hawaii, die härteste Ausdauerprüfung des Sports: 3,86 km Schwimmen, 180 km auf dem Fahrrad, ein Marathon über 42,195 km zum Schluss.

Ryf absolviert das Rennen in 8:26:16 Stunden und verbessert ihre eigene Rekordzeit von 2016 um über 18 Minuten. Die zweitplatzierte Britin Lucy Charles, welche die beste je im Schwimmen erzielte Zeit realisiert und die bisherige Rekordmarke ebenfalls unterbietet, verliert über zehn Minuten auf Daniela Ryf, obschon sie zeitweise elf Minuten Vorsprung auf die Solothurnerin aufweist.

Feuerqualle verbrennt Ryf

Den Grundstein legt Ryf mit brillanter Leistung auf der Radstrecke, wo sie die bisherige Bestzeit der Schweizerin Karin Thürig um über 18 Minuten unterbietet. Natürlich spielt ihr in die Karten, dass es fast windstill und die Temperaturen mit unter 30 Grad verhältnismässig tief sind.

Wie nahe Erfolg und Elend, Triumph und Niederlage beieinanderliegen, erfährt Ryf am eigenen Leib. Zwei Minuten vor dem Start kommt sie mit einer Feuerqualle in Kontakt. «Es brannte extrem und ich hatte grosse Schmerzen», sagt Ryf. «Ich hoffte auf einen Kick, doch das Gegenteil war der Fall. Meine Arme spürte ich kaum mehr.»

Doch aufzugeben sei keine Option gewesen. «Nicht als Champion. Ich sagte mir: ‹Du musst ein Vorbild sein.›» Sie habe das Rennen beenden wollen, «selbst wenn ich dafür 15 Stunden gebrauch hätte.»

Ein Wermutstropfen bleibt

Doch Ryf erholt sich vom Rückschlag und nimmt den Marathon als Führende in Angriff. «Ich wollte ein Rennen zeigen, an das sich die Zuschauer erinnern werden. Es war eines der verrücktesten Rennen, das ich je erlebt habe. Von einem extremen Tief schaffte ich es in ein noch extremeres Hoch.»

Doch ein Wermutstropfen bleibt. So paradox es klingen mag: Gerne hätte sie die Laufstrecke mit Lucy Charles in Angriff genommen. «Wenn wir zusammen unterwegs sind, können wir noch schneller sein.»

Die Gefahr der Dominanz

Ryf ist vierfache Weltmeisterin, vierfache Weltmeisterin über die Halbdistanz. An der letzten EM waren nur sechs Männer schneller. Längst bewegt sie sich in eigenen Sphären. Sich in einem Sport, der von äusseren Bedingungen verfälscht wird, neue Ziele zu setzen, fällt ihr schwer. Ryfs Credo lautet deshalb: «Das bestmögliche Rennen unter den existierenden Umständen zeigen.»

Sie steckt in einem Dilemma: Wenn Leistungen nicht mehr mess- und vergleichbar, der stärkste Gegner das Selbst ist, werden Grenzen zur Maxime, von denen keiner weiss, wo diese liegen. Angetrieben vom Ehrgeiz, läuft Ryf Gefahr, sich permanenter Selbstüberforderung auszusetzen.

Anlass zur Hoffnung

Daniela Ryf hat den Ironman Hawaii als zweite Frau nach Rekordhalterin Paula Newby-Fraser (acht Erfolge) vier Mal en suite gewonnen. Auch Natascha Badmann war mit sechs Siegen auf Hawaii noch erfolgreicher, aber die Baslerin war bei ihrem letzten Erfolg 2005 38-jährig. Ryf wurde im Mai erst 31.

Ihr vierter Sieg gibt aus anderem Grund Anlass zur Hoffnung. Auf den Sieger der Männer, den Deutschen Patrick Lange, der in 7:52:39 als Erster unter der Marke von acht Stunden bleibt, verliert sie nur 34 Minuten. Bei den Männern hätte Ryf Rang 23 erreicht, auf der Radstrecke war sie so schnell wie der Sieger von 2013. Und sie absolvierte das Rennen schneller als Jan van Berkel, Sieger des Ironman Zürich. Daniela Ryf ist eiserner als mancher Mann.

Künftig die Männer als Richtwert

Die Zahlen bestätigen Daniela Ryf auch im Glauben daran, dass Männer künftig ihr Richtwert sind. «Die Frage, wie nahe ich an sie herankomme, ist gleichzeitig die Frage, wozu ich noch fähig bin. Im Ironman ist der Unterschied zwischen Mann und Frau nicht so gross. Denn Frauen können sehr lange Belastungen aushalten. Und: Je länger ein Rennen, desto geringer der Unterschied.» Sie glaubt, noch Luft nach oben zu haben.

Auch Daniela Ryf hat Grenzen. Auch sie wird den Ironman auf Hawaii wohl nie so schnell wie ein Mann absolvieren können. Doch die Frage, wie nahe sie den Besten noch kommen kann, wird ihr keine Ruhe lassen. Auf der Suche nach ihren Grenzen hat sie ein neues Ziel gefunden.