«Roger Federer wirkt wie jemand, der zur Erkenntnis gelangt ist, dass es so etwas wie Perfektion nicht gibt.»
Sie endete nicht so, wie er es sich erhofft hatte, die Tennissaison 2017. Auch nicht so, wie es alle erwartet hatten in dem Jahr, das für ihn begonnen hatte wie im Märchen, mit dem Sieg bei den Australian Open nach halbjähriger Pause.
Und auch nicht so, wie es das Drehbuch vorgesehen hatte. Die Halbfinal-Niederlage bei den World Tour Finals gegen den Belgier David Goffin ist ein Wermutstropfen in einer erfolgreichen Saison, seiner vielleicht besten überhaupt.
Roger Federer gewann sieben Turniere, erstmals seit viereinhalb Jahren einen Grand-Slam-Pokal, und er erfüllte sich den lange gehegten Traum vom achten Wimbledon-Titel. Das alles war schon einmal Gewohnheit, von 2004 bis 2007, als er in der Blüte seiner Karriere stand.
Zwar gehörte Federer seither immer noch zur Weltspitze, doch er war eben nur noch Teil davon. Diesmal ist alles anders. Weil vor zwölf Monaten kaum einer, auch er selbst nicht, ein Jahr wie dieses für möglich gehalten hätte.
Gefasst sei er, wenn auch enttäuscht, sagte Federer am Samstag nach dem abrupten Ende und erinnerte daran, wie unerwartet erfreulich das Jahr für ihn verlaufen sei. Die letzten Monate haben für viele Geschichten gesorgt. Über ihnen allen steht jene der Rückkehr Federers.
Doch viel wichtiger als die Siege sind ihm die unvergesslichen Momente, die er Menschen auf der ganzen Welt beschert.
Dass er das Jahr nicht als Nummer 1 der Welt beendet, obwohl er Nadal in vier Duellen vier Mal besiegt hat und auch ein Turnier mehr gewann, ist lamentabel, im Kern aber unbedeutend. Viel mehr gewinnt dadurch die erstaunlichste Entwicklung an Gewicht: Federer gelang die Loslösung vom Fremd- und Selbstbild des getriebenen, verbissenen und sturen Rekordjägers.
Die Metamorphose steht am Ursprung des Erfolgs, auch wenn sie nicht gewollt war. Sie begann mit dem radikalsten Schnitt in seinem Leben, als er im Sommer 2016, mit Knieschmerzen und lädiertem Rücken, beschloss, aus dem Hamsterrad auszusteigen und einen kompletten Neustart zu wagen. Es ermöglichte ihm eine nie da gewesene Aussensicht auf sein Leben.
Seither wirkt er befreit vom Trieb, sich selbst und der Welt beweisen zu müssen, dass er noch immer der Beste ist.
Roger Federer führt ein Leben ohne Skandale. Er ist bescheiden, nahbar, freundlich. Er hat die Gabe, seinem Gegenüber das Gefühl zu geben, der wichtigste Mensch auf Erden zu sein. Er ist erfolgreich und dazu auch noch unanständig reich.
Doch wer so perfekt scheint, stösst auch auf Ablehnung, weil Perfektion dem Naturell des Menschen widerstrebt. Eine Falle, aus der es kaum ein Entrinnen gibt. Doch die letzten Monate haben ihm ermöglicht, sich von dieser Sicht zu lösen.
Weil sich in Spielen wie jenem gegen Goffin auch seine Vergänglichkeit offenbart. An anderen Tagen erzeugt Federer die Illusion, perfekt Tennis zu spielen. Aber auch Roger Federer ist nicht perfekt. Es sei die Suche nach dem perfekten Spiel, die ihn antreibe.
Und doch wirkt er wie jemand, der zur Erkenntnis gelangt ist, dass es so etwas wie Perfektion nicht gibt. Ob bewusst oder nicht, es scheint ihn vom Anspruch an sich selbst befreit zu haben.
Wie weit ihn das tragen kann, hat ihm der Triumph in Melbourne vor Augen geführt, als er ohne Erwartungen siegte. Auch deswegen sagte Federer, wie sehr er sich bereits auf die Rückkehr freue.
Sie ist verbunden mit der zur Gewissheit gereiften Erkenntnis, dass die schönsten Dinge oft dann geschehen, wenn man sie am wenigsten erwartet. Und dem Wissen, dass jedem Anfang ein Zauber innewohnt. Er selber ist das beste Beispiel dafür.
Australian Open: Eine Rückkehr wie im Märchenbuch
Ohne grosse Erwartungen angetreten, gewinnt Federer nach halbjähriger Pause zum fünften Mal die Australian Open. Es ist der 18. Grand-Slam-Titel, der erste seit 2012. Auf dem Weg dorthin gewinnt er drei Fünfsätzer, unter anderem im Final gegen Nadal.
Indian Wells: Finalerfolg gegen Stan Wawrinka
Zum fünften Mal und erstmals seit 2012 gewinnt Federer in Indian Wells. Er bezwingt in den Achtelfinals erneut Rafael Nadal und im Final Stan Wawrinka, gegen den er 2014 im Final von Monte Carlo verloren hatte. Auf dem Weg zum Titel gibt Federer keinen Satz ab.
Miami: Federers drittes «Sunshine Double»
Wie 2005 und 2006 gewinnt Federer nach Indian Wells auch Miami, womit ihm das «Sunshine Double» gelingt. In den Viertelfinals wehrt er gegen Berdych zwei Matchbälle ab. Im Halbfinal steht er ebenfalls vor dem Aus. Im Final besiegt er Nadal aber klar.
Halle: Mit dem neunten Titel nach London
Nirgendwo gewann Roger Federer öfter den Titel als beim Rasenturnier in Halle, wo eine Zufahrtsstrasse nach ihm benannt ist. Auf dem Weg zum neunten Titel besiegt er drei Deutsche, im Final erteilt er Alexander Zverev beim 6:3, 6:1 gar eine Lehrstunde.
Wimbledon: Die Erfüllung des grossen Traums
Als Favorit angereist, wird Federer den Erwartungen gerecht. Erstmals bleibt er in Wimbledon ohne Satzverlust. Beim Final gegen Marin Cilic sitzen erstmals bei einem Grand-Slam-Titel alle vier Kinder in der Box. Mit acht Titeln ist Federer nun Wimbledon-Rekordhalter.
Schanghai: Vierter Streich gegen Nadal
Zum vierten Mal im vierten Duell 2017 setzt sich Federer gegen Erzrivale Rafael Nadal durch. Selten zuvor hatte er den Spanier derart dominiert wie beim 6:4, 6:3, bei dem er keinen Breakball abwehren muss. Trotzdem beendet er das Jahr in der Weltrangliste hinter Nadal.
Basel: Die Revanche gegen Del Potro
2012 und 2013 hatte Federer im Final der Swiss Indoors jeweils gegen den Argentinier Juan Martin Del Potro verloren. Diesmal setzt er sich nach verlorenem Startsatz durch. Für Federer ist es der siebte Titel des Jahres und der achte bei seinem Heimturnier.