Der Engelberger Tobias Geisser (19) will sich bei den Washington Capitals den Traum von der NHL-Karriere erfüllen. Aber der ehemalige EVZ-Verteidiger muss sich in Geduld üben. Bei den Hershey Bears in der AHL gewöhnt er sich ans amerikanische Hockey.
Kürzlich machte ein Video der Hershey Bears die Runde. Darin ist zu sehen, wie die Zuschauer nach dem ersten Tor – passend zum Namen des Teams – massenhaft Teddybären aufs Eis werfen. Insgesamt 34 798 Stofftiere kommen so beim 6:3-Sieg gegen die Binghamton Devils zusammen, sie sind ein Weihnachtsgeschenk für benachteiligte Kinder. Die Aktion passt irgendwie zu diesem Klub, zu dieser Kleinstadt im Südosten des US-Bundesstaats Pennsylvania, die ein Paradies für Kinder ist. Hier hat die bekannte Schokoladenfabrik Hershey Company ihren Sitz, Gründer Milton Hershey liess Anfang des 20.Jahrhunderts die erste Siedlung im Ort bauen. Heute betreibt das Unternehmen einen Freizeitpark und bietet Touren durch die «Chocolate World» an.
Seit dieser Saison spielt der 19-jährige Verteidiger Tobias Geisser für die Hershey Bears, das in der AHL beheimatete Farmteam der NHL-Franchise Washington Capitals. Die Bears sind derzeit wenig erfolgreich, aber die Fans stört das kaum. 8000 bis 10 000 Zuschauer kommen zu den Heimspielen, was für die zweithöchste Liga in Nordamerika ein beachtlicher Wert ist.
Der Engelberger Geisser, der in der letzten Saison im EV Zug zum Stammspieler reifte, war 2017 in der vierten Runde von den Capitals gedraftet worden und hat im Frühling einen Einstiegsvertrag über drei Jahre erhalten. Washington ist derzeit eine der besten Adressen im Hockey. Die Organisation feierte dieses Jahr ihren ersten Stanley-Cup-Triumph, sie ist gespickt mit Superstars wie dem Russen Alexander Owetschkin und dem Schweden Nicklas Bäckström. Geisser sagt: «Die ersten Wochen im Training mit diesen Topspielern waren schon speziell.» Mehr als 60 Spieler absolvierten die Saisonvorbereitung mit den Capitals, vor dem NHL-Start wurden praktisch zwei Drittel aussortiert. Geisser fiel bereits dem ersten Kaderschnitt zum Opfer. «Ich habe gewusst, dass es in ersten Saison schwierig wird. Aber dass ich so früh in die AHL gehen musste, war schon eine leise Enttäuschung», räumt das Jungtalent ein.
Tobias Geisser will sich dadurch aber nicht von seinem Weg abbringen lassen. Im Gegenteil, langsam gewöhnt er sich an die amerikanischen Begebenheiten. «In der AHL sind die Zweikämpfe intensiver als in der Schweiz, man hat mit der Scheibe wenig Zeit und Raum. Auf dem kleineren Eisfeld muss man schnell denken und handeln», erzählt er. «Dafür wird meist einfacher gespielt. Als Verteidiger haut man den Puck auch mal ans Plexiglas, anstatt noch einen Pass zu versuchen.» Auch die Fahrten zu den Auswärtsspielen sind anders als in der Schweiz. Oft ist die Mannschaft fünf bis sechs Stunden mit dem Bus unterwegs und reist deshalb schon am Vortag im Spielort an. Die Wochenenden können besonders kräfteraubend sein, denn nicht selten werden drei Partien innerhalb von drei Tagen ausgetragen.
Der Konkurrenzkampf ist gross, alle Akteure wollen möglichst viel Spielpraxis sammeln und sich für einen Platz in der NHL aufdrängen. Geisser, ein bedachter und freundlicher junger Mann, muss sich in diesem Umfeld behaupten. Er sagt: «Ich will mehr Eiszeit erhalten und vermehrt in den Special Teams zum Einsatz kommen. Wichtig ist, geduldig zu bleiben.»
Hoffnung macht ihm die Entwicklung bei seinem Schweizer Teamkollegen und Mitbewohner Jonas Siegenthaler. Der 21-jährige Verteidiger aus dem Nachwuchs der ZSC Lions ist unlängst von Hershey in die Hauptstadt zurückbeordert worden, wo er bisher drei Spiele für die Capitals bestritten hat.
Gegenwärtig ist Geisser also allein in seiner Wohnung in Hershey. Einsam fühlt er sich nicht, es gibt ja allerhand zu tun: Training, Reisen, Spiele, Regeneration, Organisatorisches. Manchmal, gesteht er, vermisse er den EV Zug, der so etwas eine zweite Heimat für ihn ist. «Aber der Traum von der NHL ist grösser.» Für diesen Traum ist Tobias Geisser auch bereit, den Umweg über die Schokoladenstadt zu nehmen.