Tour de Suisse
Carapaz führte mit 15 einen Bauernhof auf über 3000 Metern – jetzt ist er der erste ecuadorianische Etappensieger an der Tour de Suisse

Richard Carapaz gewinnt die erste Bergetappe an der diesjährigen Tour de Suisse. Nun trägt er gelb und ist Topfavorit auf den Titel.

Raphael Gutzwiller
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Grosser Jubel bei Richard Carapaz nach seinem Sieg der 5. Etappe der Tour de Suisse.

Grosser Jubel bei Richard Carapaz nach seinem Sieg der 5. Etappe der Tour de Suisse.

Foto: Gian Ehrenzeller / EPA

Die Sonne brennt, die Beine sind blau, die Steigung ist steil. Der Anstieg in Richtung Leukerbad ist ein richtig mühsamer. Nur einem scheint das nichts auszumachen: Richard Carapaz. Der Mann aus Ecuador enteilt der Verfolgergruppe locker, überholt ohne Probleme den Zweiten Esteban Chaves und lässt auch dem führenden Jakob Fuglsang keine Chance im Schlusssprint.

Carapaz krönt sich mit diesem spektakulären Finale zum ersten ecuadorianischen Etappensieger an der Tour de Suisse überhaupt – und trägt sogleich neu das gelbe Leadertrikot. «Es ist alles perfekt aufgegangen. Die harte Arbeit hat sich gelohnt», spricht er mit einer fast etwas scheuen Stimme auf Spanisch in die Mikrofone.

Er ist längst nicht mehr der Unbekannte

2019 gewinnt Richard Carapaz den Giro d'Italia.

2019 gewinnt Richard Carapaz den Giro d'Italia.

Foto: Alessandro Di Meo / EPA

Der Rummel um seine Person scheint ihm noch nicht immer ganz geheuer. Als Carapaz 2019 erstmals von sich reden machte, war er ein unbekannter Radfahrer aus Ecuador. Völlig unerwartet holte er den Gesamtsieg am Giro d’Italia. Seither zählt der 28-Jährige zu den grossen Bergfahrern. Den Erfolg bestätigt er im Vorjahr mit dem zweiten Rang an der Vuelta a España. Und nun macht er an der Tour de Suisse auf sich aufmerksam. Klar ist: Carapaz mag kein Mann der lauten Worte sein, gewinnen will er dennoch. «Ich hatte eine gute Vorbereitung in Ecuador und fühle mich gut», sagt Carapaz, der die Tour de Suisse unter anderem als Vorbereitung für die Tour de France betrachtet.

Ein steiniger Weg an die Weltspitze

So schwierig der Zielanstieg in Leukerbad ist, der Weg von Richard Carapaz an die Rad-Weltspitze ist noch ein weit härter. Er wächst auf fast 3000 Meter über Meer in den Anden in der Nähe der kolumbianischen Grenze auf einem Bauernhof auf. Seine Begeisterung für den Radsport fand er einst auf einem klapprigen BMX. Mit 14 beginnt er mit ernsthaftem Training. Wenig später erkrankt seine Mutter an Brustkrebs. An ihrer Stelle muss sich Carapaz gemeinsam mit seinem Vater um den Hof kümmern. Und so steht Richard Carapaz jeden Tag um 4 auf, melkt die Kühe und kümmert sich um die Hühner, ehe er in die Schule geht. Am Nachmittag trainiert er auf seinem Rad, am Abend versorgt er die Tiere. Gleichwohl macht der talentierte Radfahrer schon als Jugendlicher einen Namen: «La Locomotora de Carchi» nennen sie ihn, benannt nach seiner Heimatregion.

Als seine Mutter wiedergenesen ist, geht der Traum von einer Profikarriere für Richard Carapaz erst so richtig los. Mit 15 macht er sich auf in Richtung Bogotá, der kolumbianischen Hauptstadt, um als Radsportler ausgebildet zu werden. Das Talent ist offensichtlich. Mit seinen 1,70 m bringt er die idealen physischen Voraussetzungen für einen Bergfahrer mit. Und dank seiner Trainings in der Heimat auf über 3000 Meter über Meer werden die roten Blutkörperchen stimuliert. Gut für einen Ausdauersportler.

In Ecuador ein Nationalheld

Trotz dieser Voraussetzungen misslingt der erste Versuch in Europa. 2013 versucht sich Richard Carapaz in Spanien. Er fährt einige grössere Rennen, fährt und erzielt beachtliche Resultate, fällt aber keinem Profiteam auf. Enttäuscht tritt er wieder die Heimreise an. Zwei Jahre später gewinnt er die Vuelta de la Juventud, die wichtigste Rundfahrt der U23-Kategorie in Kolumbien. Der Sieg öffnet ihm den Weg nach Europa – und zum Spitzenfahrer. In seiner Heimat ist er seit seinem Sieg am Giro 2019 ein Nationalheld. «Ich glaube, das ganze Land schaut den Giro. Auch wenn die Leute sehr früh aufstehen müssen», sagte er damals. Gut möglich, dass die Ecuadorianer nun auch die Schweizer Berge kennen.

Resultate

84. Tour de Suisse. 5. Etappe (Gstaad – Leukerbad, 172 km): 1. Carapaz 4:01:52. 2. Fuglsang gleiche Zeit. 3. Woods +0:39. Ferner: 14. Badilatti +4:04. 30. Frankiny 6:07. Dillier +8:45. 42. Mäder +9:37. 45. Thalmann +10:20. 50. Küng +10.20. 61. Hirschi +14:38. 85. 65. Thièry +19:09. 81. Schär +19:09. 85. Frank +19.09.

Gesamtwertung: 1. Carapaz 16:42:50. 2. Fuglsang +0:26. 3. Schachmann +0:38. 4. Alaphilippe +0:53. Ferner: 28. Badilatti +9:39. 30. Küng +10:17. 34. Mäder +11:36. 41. Thalmann +14:03. 45. Hirschi +15:23. 47. Dillier +16:07. 49. Frankiny +17.00. 58. Bissegger +20:38.