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Roger Federer bestätigt seine gute Form und feiert in Halle seinen zehnten Turniersieg. Einmal mehr beweist der Baselbieter mit seinem Finalsieg über den Belgier David Goffin, wie wichtiger er für das Rasen-Event im westfälischen Halle ist.
Schon in der Vormittagshitze drängten sich gestern die Zuschauermassen durch die schmale Roger-Federer-Allee in Richtung des Tennis-Stadions. Viele trugen Baseball-Kappen mit dem berühmten «RF»-Logo, andere hatten Schweizer Flaggen dabei oder Schilder gebastelt mit Federers Konterfei und der Aufschrift: «Psst, Genie bei der Arbeit».
Sie alle waren nicht ins westfälische Halle gekommen, um den Belgier David Goffin spielen zu sehen. Sie waren nur wegen ihm gekommen, Roger Federer. Und nicht nur zum Final. Die ganze Turnierwoche über pilgerten mehr als 100 000 Fans in die Idylle Ostwestfalens zu den «Federer-Festspielen».
Der Baselbieter ist auch mit seinen 37 Jahren immer noch die Lebensader des deutschen Rasen-Events, dem er sich für die Dauer seiner Karriere vertraglich verpflichtet hat. Die Veranstalter hatten daher tief aufgeatmet, dass es Federer nach mehreren kniffligen Matchs doch zum 13. Mal ins Endspiel geschafft hatte.
Roger Federer in Halle:
— Sportschau (@sportschau) 23. Juni 2019
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Ein Final ohne ihn funktioniert eben nicht. Und eine Niederlage wie im Vorjahr gegen Borna Coric ist im gefühlten Drehbuch schon gar nicht vorgesehen. Halle braucht den Titelsammler Federer, unbedingt. Und so titelte die Turnierzeitung «Matchpoint» dann auch bereits gestern mit «König Roger X.».
Die ersehnte Prognose sollte sich erfüllen. Als Goffins Vorhandvolley weit neben die Seitenlinie segelte, riss Federer schon im Spurt ans Netz glücklich die Arme empor. Es war ihm einmal mehr gelungen, in seiner beeindruckenden Karriere einen weiteren Rekord aufzustellen.
Mit dem 7:6 und 6:1-Sieg in nur 73 Minuten gewann Federer seinen zehnten Titel in Halle. Und zum ersten Mal glückte es ihm, bei einem Turnier in zweistelliger Anzahl zu triumphieren. Neben ihm ist das in der Profiära seit 1968 nur Rafael Nadal gelungen (zwölf Mal French Open und jeweils elf Mal Monte Carlo und Barcelona).
«Es fühlt sich toll an, das ist ein besonderer Moment in meiner Karriere», sagte er vor den 12 000 Zuschauern, die ihm frenetisch applaudierten: «Unglaublich eigentlich, ich kann es kaum fassen.» Es sind Augenblicke wie diese, die einem der besten Tennisspieler der Geschichte mit 20 Grand-Slam-Siegen und nun 102 Titeln insgesamt doch noch die Rührung ins Gesicht treiben können.
«Ich hätte vor 19 Jahren, bei meinem ersten Match hier, nie gedacht, dass ich mal hier stehe und zehn Titel gewonnen habe», staunte Federer kopfschüttelnd über sich selbst. Ein ganz spezieller Moment sei das, «der wird mir ewig bleiben».
Dabei mussten die Zuschauer zu Beginn um ihren Liebling zittern, denn Goffin erwischte den besseren Start ins Match und kam im fünften Spiel zu drei Breakbällen. Nutzen konnte er sie jedoch nicht. «Ich muss zugeben, dass David in den ersten zehn Spielen besser war als ich», sagte Federer, «den ersten Satz habe ich ihm gestohlen, aber danach lief es besser.»
Auch, weil der 28 Jahre alte Belgier, der auf Platz 33 der Weltrangliste abgerutscht ist, plötzlich Fehler über Fehler machte. Der langjährige Top-Ten-Spieler hatte sich während der Turnierwoche aus seinem Formtief herausgekämpft, doch gegen Federer fehlten ihm am Ende die Mittel. «Roger kann dich auf Rasen überrollen», meinte Goffin, «und er spielt auch mit 37 Jahren immer noch aggressiv, hat eine explosive Beinarbeit und schlägt fast besser auf als früher.» Und dann fiel ihm noch mit einem Augenzwinkern ein: «Ach ja, mehr Talent als ich hat er auch.»
Federer hatte im Tiebreak des ersten Satzes zu seiner Stärke zurückgefunden, danach wurde es eine Vorführung des Belgiers. Im Überschwang postete er sofort ein Foto samt Trophäe mit der Zeile: «Fühle mich wieder wie zehn.» Seine beiden Zwillingstöchter hatten ihn nach Halle begleitet, und nun konnte er süffisant verkünden: «Ich bin vor ihnen zehn geworden, sie werden es erst im Juli.»
Federer wirkte mit seinem zehnten Titel befreit, wie einem Jungbrunnen entstiegen. «Aber wenn ich morgen früh zu Hause aufwache, fühle ich mich alt», scherzte er: «Aber jetzt einfach jung.» Er wird hoffen, dass das Hochgefühl lange anhält, denn in einer Woche beginnt Wimbledon. Auch die Fans verliessen das Stadion so glücklich mit ihrem Happy End.
«Man wird von den Fans immer schnell als Super-Hero projiziert», meinte Federer, «dem kann man gar nicht gerecht werden. Ich will den Leuten im Stadion Freude machen, damit sie mit dem Gefühl nach Hause gehen, dass sie einen tollen Tag hatten.» Das war ihm an diesem Nachmittag tausendfach gelungen.
Belinda Bencic verpasste in Santa Ponça auf Mallorca ihren vierten Turniersieg auf WTA-Stufe knapp. Die Ostschweizerin unterlag im Final des mit 250 000 Dollar dotierten Rasenturniers der USAmerikanerin Sofia Kenin (WTA 30) nach drei vergebenen Matchbällen 7:6 (7:2), 6:7 (5:7), 4:6. Die Entscheidung fiel im vorletzten Game, als Kenin das einzige Break des dritten Satzes gelang. Im zweiten Satz konnte Bencic beim Stand von 5:4 zum Sieg aufschlagen, nach drei abgewehrten Matchbällen gelang Kenin aber das Rebreak und später der Satzausgleich. Für die 20-jährige gebürtige Russin war es der zweite Turniersieg. Die ärgerliche Niederlage dürfte Bencic noch eine Weile beschäftigen. Dennoch kann die 22-Jährige viel Positives aus Mallorca mitnehmen, wo das Turnier nach vier Jahren wohl zum letzten Mal stattfand. Die Form für Wimbledon scheint zu stimmen. Auf dem Weg in den Final bezwang Bencic unter anderem die Wimbledon-Titelhalterin Angelique Kerber, und mehr Siege als sie (32) hat im bisherigen Saisonverlauf einzig Ashleigh Barty (36), die neue Nummer 1, errungen. Viel Zeit, mit der ärgerlichen Niederlage zu hadern, bleibt Bencic nicht. Für die Flawilerin geht es, sofern sie ihre Pläne nicht ändert, direkt am WTA-Premier-Turnier in Eastbourne weiter, wo sie in der 1. Runde auf die russische Qualifikantin Veronika Kudermetowa
(WTA 59) trifft. (SDA)