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Wie gut Roger Federer und Stan Wawrinka mit ihrer eigenen Vergänglichkeit umgehen, entscheidet darüber, wie lange sie dem Sport noch erhalten bleiben. Dass sie mehr Rücksicht auf ihre Körper nehmen müssen, haben beide gelernt.
Wer kein Berufsoptimist ist, hat es als Tennisspieler auf Dauer schwer, denn nur einer reist am Ende einer Arbeitswoche als Sieger an die nächste Destination. Für alle anderen endet ein Turnier mit einer Niederlage.
«Ich habe viel gewonnen. Danach war es schwieriger, sich wieder ans Verlieren zu gewöhnen», sagte Roger Federer in dieser Woche in Dubai. «Entweder, man akzeptiert die Niederlagen und arbeitet weiter für seine Ziele, oder man wird wütend, traurig und enttäuscht.» Wie man damit umgehe, sei eine Frage des Charakters.
Das sind alle Turniersiege von Roger Federer:
Federer zeigte sich von seiner Niederlage gegen Jewgeni Donskoi überrascht und suchte nach Erklärungen. «Ich fühlte mich den ganzen Tag müde. Vielleicht hat mir etwas die Hingabe gefehlt. Es soll keine Ausrede sein, aber ich bin immer noch in den Anfängen meines Comebacks.»
Wichtig sei, dass die Blessur am Oberschenkel ausgeheilt sei. «Ich muss auch hier das Positive sehen.» Gewinnt er, wird er für Optimismus und Beharrlichkeit gelobt, verliert er, für seine Sturheit gerügt. Federer kennt diesen Mechanismus.
Schon vor dem Turnier an seinem Zweitwohnsitz hatte er zu bedenken gegeben, dass er erst im Frühsommer wisse, wo er wirklich stehe. Seit acht Monaten hat er nicht an zwei Tagen in Folge spielen müssen.
«Es ist noch immer ein Blick in den Nebel. Wie reagiert mein Körper, wenn ich öfter spiele? Wie gehe ich mental damit um?», stellt sich der Baselbieter selber Fragen. Er weiss, dass ihn diese bis zum Ende der Karriere begleiten werden. «Ich habe akzeptiert, dass ich kaum wieder die Nummer 1 der Welt werde», sagte Federer.
Nach dem Sieg bei den Australian Open habe er sich kaum bücken können, der Rücken war steif und beim vor einem Jahr operierten linken Knie müsse er ohnehin Vorsicht walten lassen, weil er es nicht richtig biegen könne, hatte Federer nach seinem Erfolg in Melbourne gesagt.
Roger Federers Weg zum Australian-Open-Turniersieg:
Zwar bestreitet er in der nächsten Woche das Masters-1000-Turnier in Indian Wells, hat aber bereits durchblicken lassen, dass er seine Sandsaison knapp halten dürfte und eine längere Pause macht. Pausen werden wichtiger, sorgen aber unweigerlich für Fragezeichen.
Ähnlich ergeht es Stan Wawrinka, der zwar als einer der besten Athleten im Tennis-Zirkus gilt, im März aber auch bereits seinen 32. Geburtstag begeht. Wie Federer laborierte der Romand in den Wochen nach den Australian Open an einer Verletzung.
Wie Federer stieg Wawrinka erst in der Woche vor Dubai wieder ins Training ein. Wegen einer Verletzung am Knie hatte er auf eine Titelverteidigung in Rotterdam verzichten müssen. Beim Versuch, in Dubai wie im Vorjahr den Titel zu gewinnen, scheiterte er bereits in der Startrunde.
Wie Federer dämpfte Wawrinka schon vor dem Turnier die Erwartungen. Nach einer durch eine Verletzung bedingten Pause sei es immer schwierig, abzuschätzen, wo man stehe. «Ich fühlte mich oft träge und langsam. Darum konnte ich von der Grundlinie nicht so viel Druck machen, wie ich das gerne getan hätte», resümierte Wawrinka nach der Niederlage.
Auch er übte sich in diesem Moment in der Disziplin des Zweckoptimismus: «Das Knie bereitet mir keine Sorgen mehr. Das ist das Positive, das ich von dieser Niederlage mitnehmen kann.»
Das sind alle Turniersiege von Stan Wawrinka:
Ganz neu sind die Fragen zum Vertrauen in den eigenen Körper sowohl für Federer als auch für Wawrinka zwar nicht, doch auf der Zielgeraden der Sportlerkarriere, auf der sich beide zweifellos befinden, werden sich diese unweigerlich akzentuieren.
Zu lernen, mit dieser Herausforderung umzugehen und allen Begleiterscheinungen, dem Frust, den bohrenden Fragen, den Zweifeln, vielleicht auch der Angst vor der eigenen Vergänglichkeit, wird elementar sein bei der Frage, wie lange die beiden dem Tennis noch erhalten bleiben.
Wawrinka und Federer sind auch nicht die Einzigen, die sich damit beschäftigen müssen. Gesundheitliche Probleme waren in Rafael Nadals Karriere ständige Begleiter. Die Liste der Blessuren ist lang und umfasst praktisch das gesamte Spektrum der Anatomie.
Trotzdem hatte der Spanier Erfolg. Gefährlich wurde es erst, als sich Zweifel festsetzten, die sich wie Narben ins Gedächtnis brannten. Nadal beschäftigte sich immer mehr mit sich selber und immer weniger mit seinem Spiel. Aus dieser Spirale zu finden, kostete ihn Monate.
«Ich hatte Probleme, meine Emotionen zu kontrollieren. Das war für mich ein neues Gefühl», sagte Nadal vor anderthalb Jahren in Basel. Zwischenzeitlich verlor er sogar die Freude am Tennis. Sie zurückzugewinnen, sei elementar gewesen.
Was Nadal nicht sagt, ist, dass er auch seine Haltung verändert hat. Es bringe nichts, sich mit einer Version früherer Jahre zu vergleichen. Seine Passion fürs Tennis sei ungebrochen. Etwas, das auch Federer und Wawrinka immer wieder sagen. Trotz oder gerade wegen der Zweifel und Sorgen.