French Open
Schweizer Drama nach Drehbuch: Roger Federer erfüllt den Wunsch der Zuschauer

Nach seinem Sieg gegen Stan Wawrinka trifft Roger Federer im Halbfinal von Roland Garros auf Rafael Nadal. Der Klassiker des modernen Tennis findet noch einmal eine Neuauflage. Ganz nach dem Gusto der Zuschauer auf dem Court Suzanne Lenglen.

Simon Häring
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Nach 3 Stunden und 35 Minuten der Sieger im Schweizer Duell: Roger Federer steht zum 44. Mal mindestens in den Halbfinals eines Grand-Slam-Turniers.

Nach 3 Stunden und 35 Minuten der Sieger im Schweizer Duell: Roger Federer steht zum 44. Mal mindestens in den Halbfinals eines Grand-Slam-Turniers.

Keystone

Ganze drei Seiten widmet die französische Sportzeitung «L’Equipe» dem Schweizer Viertelfinal in Roland Garros, darunter die Titelseite. Einen Tag nachdem auch die letzten Franzosen ausgeschieden sind, taufen sie ihr Turnier, die French Open, kurzerhand in «Suisse Open» um.

Der Anlass: der Schweizer Viertelfinal zwischen Roger Federer und Stan Wawrinka. Obschon das Spiel erst um 14.00 Uhr beginnt, ist die Anlage bereits zur Mittagszeit überfüllt. Vor dem Court Suzanne Lenglen bieten selbst Spanier ihr Ticket für den parallel auf dem Court Philippe Chatrier stattfindenden Viertelfinal ihres Landsmanns und elffachen Siegers Rafael Nadal gegen Kei Nishikori zum Tausch an. Sie sollten recht behalten – Nadal fegte mit 6:1, 6:1, 6:3 über den Japaner hinweg und steht ohne Satzverlust in den Halbfinals.

Von weitaus grösserer Brisanz ist, wer ihn am Freitag herausfordert. Wawrinka, der Sieger von 2015, oder Roger Federer, der Paris-Triumphator von 2009, der vor vier Jahren auf dem gleichen Platz, gegen den gleichen Gegner und in der gleichen Runde letztmals in Roland Garros gespielt hatte.

Nicht erst seit jenem Tag sind ihre Lebenslinien untrennbar miteinander verbunden. Gemeinsam gewannen sie 2008 Olympia-Gold im Doppel, 2014 bejubelten sie den ersten Schweizer Davis-Cup-Sieg. Für die Zuschauer im Stadion unsichtbar, kommt es kurz vor dem Einlaufen in den verschlungenen Gängen des Stadions zum freundschaftlichen Handschlag.

Chouchou vs. Mann des Volkes

Beide Schweizer erfreuen sich in Paris grosser Beliebtheit, Federer als Künstler und «Chouchou», Wawrinka als Arbeiter und Mann des des Volkes. Doch an diesem Nachmittag sorgt ein unsichtbarer Handlungsbogen dafür, dass die Sympathien doch noch etwas mehr aufseiten Federers liegen. Das hat wenig mit Wawrinka zu tun, und auch nicht nur mit seinem Gegner.

Sondern der unstillbaren Sehnsucht nach einem Duell zwischen Federer und Rafael Nadal. Fünf Mal gab es das hier schon: ein Mal im Halbfinal, vier Mal im Final. Immer gewann der Spanier. Doch das letzte Kräftemessen auf Pariser Erde liegt schon acht Jahre zurück, und in Anbetracht dessen, dass Federer im August 38 wird und Nadal am Montag seinen 33. Geburtstag feierte, ist davon auszugehen, dass es hier nicht mehr oft zu diesem historischen Duell kommen wird.

Doch auch das «Derby Suisse» reisst von den Sitzen. Federer kann im Startsatz keine seiner vier Breakchancen nutzen, entscheidet aber das Tiebreak mit 7:4 für sich. «Roger, Roger»-Rufe gehen durchs Rund. Es ist ein Spiel auf Messers Schneide, bei dem Wawrinka, der in seinen vier Spielen zuvor über fünf Stunden mehr auf dem Platz gestanden hatte, erbitterten Widerstand leistet.

Während Federer auch im zweiten Satz keinen seiner drei Breakbälle nutzen kann, nutzt Wawrinka seine zwei ersten, schafft den Satzausgleich und geht im dritten Satz mit Break in Führung. Federer zeigt Anzeichen der Frustration, raunzt einmal an: «Hey, Linienrichter, bist du wachs?» Erst seine neunte Breakchance nutzt er, kann bei 4:5 aus Sicht Wawrinkas aber zwei Satzbälle nicht nutzen und wehrt bei 5:5 seinerseits zwei Breakchancen ab. Das Tiebreak gewinnt er mit 7:5.

«Roger, wir wollen dich gegen Nadal spielen sehen», wirft irgendwann einer ein. Und verrät damit auch den unsichtbaren Handlungsbogen, dem das Spiel an diesem denkwürdigen Tag folgt. Dann verfinstert sich der Pariser Abendhimmel, lautes Donnergrollen kündet ein Gewitter an, als das Spiel um 17.26 Uhr Ortszeit bei 3:3 im vierten Satz unterbrochen wird.

Der Klassiker im Halbfinal

Als es eine gute Stunde später weitergeht, werden «Les Suisses» mit einer stehenden Ovation empfangen, die Welle schwappt durch das Rund. Federer gelingt das Break zum 5:4, er wehrt zwar noch einen Breakball ab, serviert dann aber nach 3:35 Stunden zum 7:6, 4:6, 7:6, 6:4 aus. Er steht damit zum 44. Mal mindestens in den Halbfinals eines Grand-Slam-Turniers. Aber vor allem erfüllt Federer damit die Sehnsucht nach einem sechsten Duell zwischen ihm und Nadal in Paris.

Federer hat zwar die fünf letzten Spiele, auf Sand, aber er nur 2 von 15 Duellen gegen Nadal für sich entschieden, der letzte Sieg in Madrid liegt bereits über zehn Jahre zurück. In Paris hat er einige der brutalsten Niederlagen kassiert. Dennoch sagt er: «Was für eine Freude, auf Nadal zu treffen. Ich bin auch deshalb auf Sand zurückgekehrt, um gegen Rafa spielen zu können. Jetzt bekomme ich diesen Match. Ich glaube an meine Chance.»

Federer und Nadal geniessen nun zwei freie Tage, ihren Halbfinal bestreiten sie erst am Freitag. Die Pause wird die Vorfreude nur noch grösser machen. Auch am Freitag wird Federer von der Titelseite der «L’Equipe» grüssen. Vermutlich wird sie den Klassiker mit martialischen Worten anheizen. Letzmals war es: «Le Choc», der Schocker. Denn Drama ist zwischen Federer und Nadal vorprogrammiert.