Wimbledon
Eine Hoffnungsträgerin und viermal das Prinzip Hoffnung in Wimbledon

Fünf Schweizerinnen stehen im Wimbledon-Hauptfeld – so viele wie noch nie zuvor. Belinda Bencic ist nach einer schwierigen Phase wieder in Reichweite der Top Ten, sie führt die Schweizerinnen an. Für die anderen helvetischen Spielerinnen wäre das Überstehen der ersten Runde eine Überraschung.

Simon Häring
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Belinda Bencic trainiert bereits in London – die längere Turnier-Pause tut ihr gut.

Belinda Bencic trainiert bereits in London – die längere Turnier-Pause tut ihr gut.

keystone-sda.ch

Belinda Bencic ist ein gebranntes Kind, mehr als einmal schien ihre Karriere an einem seidenen Faden zu hängen. Nach einem kometenhaften Aufstieg, der sie mit 18 bereits in die Top Ten der Weltrangliste geführt hatte, rebellierte ihr Körper immer heftiger gegen die Belastungen: Einmal stoppte sie das Steissbein, dann das Handgelenk, schliesslich der Fuss. War eine Blessur ausgeheilt, tat sich eine andere Baustelle auf. Ein Teufelskreis, an dem Bencic nicht ganz unschuldig war.

Wie alle in Tennis-Zirkus lebt sie für Turniere und Spiele, für das Adrenalin auf der grossen Bühne – und weniger für das Training. Der Erfolg führt dazu, dass sie zu viele Turniere bestritt und zu wenig auf die Warnsignale des Körpers hörte.

Nach einer Operation fiel Bencic 2017 für fünf Monate aus und in der Weltrangliste bis auf Position 318 zurück. Ihr Stern, so schien es, war schon am Verglühen. Doch Bencic ist heute, sechs Jahre nach ihrem Junioren-Sieg in Wimbledon, eine andere. Seit einem guten Jahr arbeitet sie mit dem Fitnesstrainer Martin Hromkovic zusammen, der inzwischen auch ihr Freund ist.

Das Tennissspiel hat Bencic nicht verlernt, aber unter dem slowakischen Ex-Fussballer, der kurz vor Wimbledon einen Bachelor in Sportwissenschaften erlangte, ist sie zu einer Vorzeigeathletin geworden. Sie ist schneller, beweglicher und hat auch ein paar Kilogramm abgenommen. Das letzte Jahr wurde die 22-Jährige von Verletzungen verschont – und hat sich in der Weltrangliste bereits wieder bis auf Position 13 vorgespielt.

Vielspielerin Belinda Bencic

Bencic sagte in Madrid, wo sie zum zweiten Mal in diesem Jahr mit Naomi Osaka die damalige Weltnummer 1 besiegte, sie habe dazugelernt und gönne sich nun mehr Pausen. Bencic hat in diesem Jahr bereits 43 Partien bestritten – nur Kiki Bertens kommt auf gleich viele.

Die Schweizerin ist auch in diesem Jahr eine Vielspielerin. Weil sie sich auf Rasen derart wohl fühlt, die Saison aber nur kurz ist, liess sie sich dazu hinreissen, in beiden Wochen vor Wimbledon ein Turnier zu bestreiten. Am Sonntagabend verlor sie in Mallorca im Final dramatisch nach drei vergebenen Matchbällen, am Tag darauf hätte sie im über 1700 Kilometer entfernten Eastbourne bereits wieder spielen sollen.

Doch Regen führte zu Verschiebungen – und dazu, dass Bencic am Dienstag zwei Partien an einem Tag bestreiten musste. Im Hinblick auf ihre Ambitionen in Wimbledon, wo sie als Anwärterin auf den Turniersieg gehandelt wird, ist es sicher kein Nachteil, dass Bencic in den Achtelfinal scheiterte und nun bereits in London weilt.

Dort steht ihr eine Reifeprüfung bevor. Denn erstmals überhaupt geht sie derart gut klassiert und sorgenfrei in ein Grand-Slam-Turnier. 2018 erreichte sie zum zweiten Mal nach 2015 die Achtelfinals, wo sie der späteren Siegerin, Angelique Kerber, unterlag. Bencic ist an Position 13 gesetzt und damit das heisseste Schweizer Eisen – aber nicht das einzige.

Eine Premiere in Wimbledon

Mit Viktorija Golubic (WTA 83), Jil Teichmann (WTA 91), Timea Bacsinszky (WTA 93) und Stefanie Vögele (WTA 100) stehen vier weitere Schweizerinnen im Hauptfeld. Letztmals standen 2002 bei den US Open mit Martina Hingis, Patty Schnyder, Marie-Gaïané Mikaelian, Emmanuelle Gagliardi und Myriam Casanova fünf Schweizerinnen direkt im Hauptfeld eines Grand-Slam-Turniers.Zwei weitere Male komplettierten Qualifikantinnen ein Schweizer Quintett. Im Rasen-Mekka Wimbledon, dem ältesten Tennisturnier der Welt, ist es eine Premiere.

Allerdings wäre für alle ausser Bencic bereits das Überstehen der Startrunde ein Erfolg. Timea Bacsinszky hat nach zwei von Verletzungen geprägten Jahren zwar wieder den Anschluss geschafft, wartet auf Rasen aber seit zwei Jahren auf einen Sieg, Golubic hat in ihrer Karriere erst ein Spiel in Wimbledon gewonnen, Teichmann gibt ihr Debüt und Vögele hat in acht Anläufen in Wimbledon immer in der Startrunde verloren. So ruhen die Hoffnungen einmal mehr auf den Schultern von Bencic. Doch an diese Rolle hat sich die 22-Jährige längst gewöhnt.