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Im Final des US Open schlägt Novak Djokovic seinen Gegner Juan Martin Del Potro. Der Weg zu diesem Sieg beginnt in der Isolation: auf dem Gipfel des Montagne Sainte-Victoire.
Er nahm einen tiefen Atemzug. Durch seine Lungen strömte staubige, trockene Luft. Unendliche Stille, Einsamkeit. Zu seinen Füssen die Ebenen der Provence und in ihm drin: eine tief empfundene Zufriedenheit mit sich und der Welt. «Als wir nach drei Stunden den Gipfel erreicht hatten, setzten wir uns hin und bewunderten die Aussicht. Vor uns lag die Welt. Ich atmete die neue Inspiration ein und dachten an all die Emotionen, die das Tennis in mir weckt. Es fühlte sich an, als hätte ich einen neuen Atem für diesen Sport entdeckt.»
So schildert Novak Djokovic einen Tag im Juli 2018. Den Tag, an dem er mit seiner Frau Jelena in Südfrankreich einen Gipfel des Kalksteingebirges Montagne Sainte-Victoire erklommen hatte. Er hatte diese Isolation gesucht, die «Entkoppelung von der Welt», wie er es nennt. Wenige Tage nach seinem Halbfinal-Aus in Roland Garros wollte er die Welt aus anderer Perspektive sehen.
Es wird für Novak Djokovic, inzwischen 31-jährig, zweifacher Vater, Ehemann und einer der erfolgreichsten Spieler in der Geschichte seines Sports, so etwas wie der Gipfel der Erleuchtung. Er gewinnt danach in Wimbledon nach zwei Jahren der Baisse sein 13. Grand-Slam-Turnier, kurz darauf auch erstmals in Cincinnati und nun zum dritten Mal nach 2011 und 2015 durch ein 6:4, 7:6, 6:3 gegen Juan Martin del Potro die US Open.
Es ist eine Renaissance, die ihm nach den Jahren der Selbstfindung, geprägt von Verletzungen und erloschener Leidenschaft, nur wenige zugetraut haben. Er habe sich nie mit einer früheren Version seiner selbst verglichen. Sein Leben habe sich fundamental verändert. «Ich wurde zwei Mal Vater, ich war sechs Monate weg, hatte eine Operation. Ich habe in dieser Zeit viel über mich selbst gelernt.»
Novak Djokovic ist gewachsen. An sich, aber auch am Widerstand. Auch das eine Erkenntnis der letzten Monate, vielleicht hat sie ihn auf dem Gipfel in Südfrankreich ereilt, vielleicht auch schon viel früher. Doch sie scheint elementar. «Nein, ich war nicht immer glücklich, in ihrer Ära zu spielen», sagt er, darauf angesprochen, dass er sich Zeit seines Lebens mit Roger Federer und Rafael Nadal messen muss.
Doch seine Perspektive darauf hat sich verändert. «Die Rivalitäten mit Federer und Nadal haben mich geformt, sie haben mich gefordert und sie haben mich zu dem gemacht, der ich heute bin», sagt Djokovic, der mit dem 14. Grand-Slam-Titel nun auf einer Stufe steht wie sein einstiges Idol Pete Sampras. Bei den grossen Turnieren verlor er früher die wichtigen Spiele, stand im Schatten der anderen. «Ich musste herausfinden, was ich verbessern muss, um sie auch in den wichtigsten Momenten zu besiegen.» Das sei letztlich die wichtigste Periode für seine Entwicklung gewesen: «Ich verdanke meinen Erfolg deshalb auch ihnen.»
Roger Federer schaffte im hohen Alter von 35 Jahren eine Auferstehung, die ihm niemand zugetraut hatte. Rafael Nadals Karriere gleicht einer unendlichen Abfolge von Niedergang und Auferstehung. Nun schreibt auch Novak Djokovic ein solches Kapitel. Und er erfährt dabei wieder einmal nicht die Anerkennung, die ihm eigentlich zustehen würde.
Djokovics grosse Leistung besteht indes darin, dass er es nach all den Irrungen und Wirrungen um die Trainerwechsel, um das bisweilen verzweifelte Ringen um die Anerkennung der Öffentlichkeit, geschafft hat, wieder zu sich zu finden. Sich nicht von der Wahrnehmung anderer, sondern von seiner Intuition leiten zu lassen. Er spricht noch immer in grossen Bildern, wort- und gestenreich, eloquent, reflektiert, immer auch humorvoll. Doch heute wirkt es weniger inszeniert, und vielmehr authentisch.
Danach gefragt, was ihn die letzten Monate gelehrt hätten, sagte er: Dankbarkeit. «Ich habe immer versucht, mit beiden Beinen auf dem Boden zu bleiben.» Doch es brauche auch Opferbereitschaft und den Willen dazu, hart zu arbeiten. Er habe gemerkt, wie viel Leidenschaft er noch für das Tennis habe und wie sehr er den Sport liebe, sagte Novak Djokovic. Auch das ist so eine Erkenntnis von damals. Damals, als er auf dem Montagne Sainte-Victoire stand, die Welt zu seinen Füssen.