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Nur ein Spiel bestritt die beste Tennisspielerin der Schweiz in den letzten zehn Monaten. Sie musste plötzlich sesshaft werden, trainierte praktisch nur noch. Wie Belinda Bencic mit der Unsicherheit umgeht, und welche Ziele sie sich für das nächste Jahr gesetzt hat.
Sie beginnen ihren Tag neuerdings mit einem Bad in einem eiskalten See, wie kam es dazu?
Belinda Bencic: Ich habe schon vor ein paar Monaten damit begonnen, zwei Mal in der Woche ins eiskalte Wasser, das ist eine gute Abhärtung und auch gut fürs Immunsystem. Und wenn der See irgendwann zugefroren sein sollte, gehe ich ins Eisbad.
Dafür war es sicher angenehm warm auf den Malediven, wo Sie kürzlich Ihre Ferien verbrachten...
Das waren die anstrengendsten Ferien meines Lebens. Ursprünglich wollte ich die Eltern und meine Freunde in der Schweiz besuchen, aber weil die Slowakei, wo ich lebe, auf der roten Liste war, hätte ich zwei Wochen in Quarantäne gehen müssen und hätte nicht trainieren können. Deshalb sind wir auf die Malediven ausgewichen. Ich habe in den letzten Monaten nur trainiert und brauchte eine Luftveränderung, um meine Batterien wieder aufzuladen.
Sie haben dort täglich trainiert. Täuscht der Eindruck, oder haben Sie inzwischen Freude gefunden an der Schinderei neben dem Platz?
Ich bin zwar fleissig und motiviert, aber es gibt schon Tage, an denen ich lieber nicht trainieren und auf der faulen Haut liegen will (lacht). Jeweils am Sonntag gönne ich mir dann eine kleine Auszeit.
Ihr Freund Martin ist gleichzeitig auch ihr Fitnesstrainer. Wie sehr hat Ihnen das geholfen?
Es hat extrem geholfen. Noch viel mehr als sowieso. Ich brauche jemanden, der mich antreibt, gerade in der Zeit, in der ich nicht Tennis spielen, und nur an der Fitness arbeiten konnte. Ich weiss nicht, wie es gekommen wäre, wenn ich nur für mich hätte trainieren müssen. Aber es gibt noch einen anderen Grund, weshalb die Malediven geeignet waren für einen Teil der Vorbereitung.
Erzählen Sie!
Wenn man den ganzen Tag an einem Traumstrand im Bikini rumläuft, will man am Morgen etwas gemacht haben, damit man sich in seinem Körper wohl fühlt (lacht).
Mit 16 ist Belinda Bencic die beste Juniorin der Welt. Mit 17 steht sie bei den US Open in den Viertelfinals. Mit 18 ist sie die Nummer 7 der Welt. Doch Verletzungen, Formbaissen und die Abnabelung von Trainer und Vater Ivan werfen sie weit zurück. Vor drei Jahren ist sie nur noch die Nummer 258 der Welt. Mehrfach wechselt sie den Trainer. Seit Herbst 2018 ist Vater Ivan wieder an ihrer Seite. 2019 erreichte Bencic bei den US Open erstmals die Halbfinals eines Grand-Slam-Turniers und stiess bis auf Rang 4 der Weltrangliste vor. Derzeit ist sie die Nummer 12 der Welt. Sie gewann bisher vier Turniere. Bencic lebt und trainiert meist in der Slowakei mit Fitnesstrainer Martin Hromkovic, der auch ihr Freund ist. (sih)
Sie haben in diesem Jahr praktisch nur trainiert und kaum Turniere gespielt. Wissen Sie, wo Sie im Vergleich zur Konkurrenz stehen?
Das ist für mich das Schwierigste an der Situation. Natürlich beschäftigt mich das, aber das muss man aushalten, und es geht allen gleich. Es ist schwierig, zu sagen, wo ich stehe. Ich weiss, dass ich körperlich gut in Form bin. Und ich habe Vertrauen in das, was ich mache. Inzwischen habe ich viel Erfahrung darin, wie ich mich vorbereiten muss. Und hier in der Slowakei habe ich gute Trainingsbedingungen.
Die Slowakei führte Anfang des Monats Corona-Massentests durch und ging in einen Mini-Lockdown. Wie erleben Sie die Situation?
Man fühlt sich nicht wirklich frei, aber es ist in Ordnung. Man darf nur mit einem guten Grund raus - also, um zur Arbeit zu gehen, oder zum Einkaufen. Überall gilt Maskenpflicht. Restaurants und Shoppingcenter sind geschlossen. Meine Grosseltern habe ich kürzlich zum ersten Mal seit vielen Monaten wieder gesehen, natürlich mit Abstand und grösster Vorsicht. Für Seniorinnen und Senioren war und ist nicht einfach, weil sie angehalten sind, sich möglichst in Quarantäne aufzuhalten. Zum Glück leben meine Grosseltern nicht in der Stadt, sondern in einem kleinen Dorf, wo sie nach draussen gehen können.
Auch Ihre Eltern und ihren Bruder haben Sie schon länger nicht mehr gesehen. Wann waren Sie zum letzten Mal in der Schweiz?
Das war im August, als ich im Interclub gespielt habe. Danach blieb ich etwas länger in der Schweiz und wir genossen den Sommer, es war unbeschwert. Ich lernte ein «anderes Leben» kennen. Die Reisen haben mir eigentlich nicht gefehlt. Wir gingen wandern, trafen Freunde und ich konnte Martin etwas die Schweiz zeigen, was mir grosse Freude bereitet hat. Das wollten wir im Winter wieder machen, doch dann kam die zweite Welle dazwischen. Meine Mutter hat uns im Herbst noch einmal besucht, meinen Bruder Brian habe ich schon länger nicht mehr gesehen. Und wegen der Reisebeschränkungen werde ich in diesem Jahr wohl nicht mehr in die Schweiz kommen können.
Also auch keine Weihnachten mit der Familie in der Schweiz?
Eigentlich wollten wir am 14. Dezember nach Australien fliegen, wo wir uns im Hotel zwei Wochen in Quarantäne begeben müssen, wir hätten also dort feiern wollen. Nun werde ich wohl in der Slowakei feiern, sicher mit meinem Freund Martin, vielleicht bei Omi.
Wissen Sie nun, wann Sie nach Australien reisen können?
Nein, wir haben noch keine Ahnung. Aber sicher nicht mehr dieses Jahr. Ich würde mir wünschen, dass wir bald Gewissheit haben. Wenn das Turnier stattfinden sollte, wird es extrem schwierig, weil die Vorbereitung vor Ort leidet.
Während bei den Männern im Herbst noch viele Turniere gespielt werden konnten, blieb der Kalender bei den Frauen leer. Weshalb?
Schwierig zu sagen, weshalb es bei den Männern besser geklappt hat. Zudem hätten wir Ende Jahr viele Turniere in China gespielt. Das hat sicherlich nicht geholfen. Aber ich verstehe die Organisatoren, dass sie sich in dieser Situation gut überlegen, welches Risiko sie eingehen möchten. Allerdings würde ich mir wünschen, dass die Kommunikation besser wird und wir Spielerinnen besser informiert werden. Die Situation ist auch für die WTA nicht einfach. Ich habe Verständnis dafür. Doch es ist nun Ende November, und wir wissen immer noch nicht genau, wie und wo die Tour wieder aufgenommen wird. Das macht die Planung für uns schon sehr schwierig.
Im Frühling spielten Sie in der Slowakei und Tschechien und im Sommer in der Schweiz immerhin Interclub. Wie erlebten Sie das?
Ich habe mich extrem gefreut, dass ich überhaupt spielen konnte und es sehr genossen. Ich habe schon früher gerne Interclub gespielt. Es war befreiend, wieder auf dem Platz zu stehen, und ich habe fast keinen Match verloren. Aber natürlich ist das nicht mit der WTA-Tour und Spielen dort zu vergleichen.
Für die French Open mussten Sie wegen einer Verletzung am Arm absagen. Was genau war passiert?
Es war eine muskuläre Verletzung, die mich schon in Rom behindert hatte. Es war nichts Schlimmes, aber es war es mir nicht wert, in dieser sowieso schon schwierigen Saison noch zu riskieren, dass es schlimmer wird. Es war einfach Pech, dass es gerade dann passiert. Ich hatte mir vorgenommen, in diesem Jahr besser auf Sand zu spielen. Das war fast mein einziges Ziel in diesem Jahr.
Welche Role spielte die zweite Corona-Welle bei der Entscheidung?
Es machte es sicher leichter. Aber ich war dennoch sehr enttäuscht: Musste es genau dann und dort passieren, wo ich mir Schwerpunkte gesetzt hatte? Aber es passt zu diesem schwierigen Jahr.
Als Sie im Herbst in Rom spielten, wurden Sie nach ihrer Niederlage in den sozialen Medien übel beschimpft. Teilweise sprechen die Nutzer sogar Drohungen gegen Sie aus. Wie gehen Sie damit um?
Ich glaube, das wurde in der Öffentlichkeit möglicherweise falsch verstanden. Seit ich 16 Jahre alt bin, erhalte ich nach jedem Match Dutzende solcher Nachrichten. Ich nehme das schon lange nicht mehr persönlich. Es sind frustrierte Wetter, die Geld verloren haben, und so ihren Frust abbauen. Mir geht es darum, ab und zu zeigen, was da an uns herangetragen wird. Manchmal muss ich schon leer schlucken, wenn ich diese Nachrichten lese. Das lässt mich bestimmt nicht kalt. Andererseits kann ich solche Menschen nicht ernst nehmen. Ich sehe aber nicht, wie man das Problem in den Griff bekommen könnte.
Einige Fluggesellschaften haben angekündigt, nur noch Passagiere zu befördern, die sich haben impfen lassen. Das betrifft auch Sie als Sportlerin. Wie beurteilen Sie das?
Ich kann mir vorstellen, dass einige Fluggesellschaften oder auch Länder eine Impfung verlangen. Das ist auch nachvollziehbar. Dann muss ich mich entscheiden, ob ich mich impfen lassen will. Ich kann diese Frage noch nicht beantworten. Ich müsste die möglichen Nebenwirkungen kennen. Besteht zum Beispiel das Risiko, dass ich dadurch krank werde? Ich habe aber gehört, dass die Impfung bei den Olympischen Spielen zum Beispiel freiwillig wäre.
Apropos Olympische Spiele: Treten Sie dort mit Roger Federer an?
Ich bin bereit, es liegt jetzt nur noch an Roger (lacht). Nein, es steht noch gar nichts fest, das ist für mich alles noch sehr weit weg. Doch neben den Grand-Slam-Turnieren bleiben die Olympischen Spiele eines meiner grossen Ziele – im Einzel und vielleicht auch im Mixed. Wenn wir gesund bleiben, dann würde ich gerne mit Roger antreten.
Dann wäre der Rummel um Sie selber wohl etwas weniger gross.
Das käme mir gelegen (lacht). Roger ist so locker, hat immer alles im Griff, das habe ich jeweils beim Hopman Cup hautnah miterlebt. Er schafft es immer, alle zu begrüssen. Ich bin schon überfordert, wenn zwei Leute gleichzeitig etwas von mir wollen (lacht). Aber Roger hat wohl auch erst lernen müssen, damit umzugehen. Mit 23 konnte er das wohl noch nicht. Ich könnte nicht so leben wie er.