French Open
Arrogant, schnoddrig, unsicher: Warum Alexander Zverev oft aneckt

Alexander Zverev (21) mahnt zur Geduld, dabei ist er die Ungeduld in Person. Bei den French Open steht er nun zum ersten mal den Viertelfinals. Sein Gegner dort: der Österreicher Dominic Thiem.

Simon Häring
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Steht erstmals in den French-Open-Viertelfinals: Alexander Zverev.

Steht erstmals in den French-Open-Viertelfinals: Alexander Zverev.

KEYSTONE

Zuerst hatte er die Hände in den Himmel gereckt, die Augen weit aufgerissen, das Adrenalin muss durch seinen Körper gepumpt haben wie wohl nur selten zuvor. Dann klopfte er sich mit der Hand auf die Brust, auf jene Stelle, hinter der das Herz schlägt. Dann kniete Alexander Zverev nieder in den Pariser Sand. Zum dritten Mal in Folge hatte er sich in fünf Sätzen durchgesetzt, zum ersten Mal steht er in den Viertelfinals eines Grand-Slam-Turniers.

Er hatte sich diesen Jubel verdient, klar. Doch es gab auch Leute, die ihn als befremdlich empfanden. Alexander Zverev, 21-jährig, die Nummer 3 der Welt, war zum ersten Mal dort, wo er hingehört. Und vor allem dort, wo er sich selber sieht. Nicht mehr, nicht weniger.

Einziger Herausforderer von Rafael Nadal?

Rückblende. Vor dem Turnier gilt Zverev als Einziger, der Rafael Nadals elften Sieg in Roland Garros verhindern kann. Er gewann Turniere in München und Madrid, stand in Miami und Rom im Final, wo er im dritten Satz gegen Nadal eine 3:1-Führung verspielte. Die Jahreswertung führt er an – vor Nadal, vor Federer. Mit ihnen sieht er sich auf Augenhöhe.

Alexander Zverev steht zum ersten Mal im Viertelfinal an den French Open.

Alexander Zverev steht zum ersten Mal im Viertelfinal an den French Open.

KEYSTONE/AP/MICHEL EULER

Gerne streicht er Erfolge heraus, sie sind ja auch zahlreich. Doch auf den grössten Bühnen, da blieb er bisher immer unter den Erwartungen. Zverev sagt: «Es wird viel geschrieben, dass ich noch keinen Grand-Slam-Final oder was weiss ich erreicht habe. Aber ich bin erst 21-jährig und mache mir da weniger Sorgen als ihr.»

«Mein Hund mag mich»

Natürlich hatte der 1,98 Meter grosse Zverev damit nicht ganz unrecht. Aber es wirkte dann doch auch ein bisschen inszeniert, denn seine Geduld ist längst aufgebraucht. Jüngst wurde er in Rom gefragt, ob er noch an Persönlichkeit gewinnen müsse, um mit Federer und Nadal auf Augenhöhe zu sein.

Zverev tat, was er in solchen Momenten oft tut: Er fuhr sich durch das engelhafte Haar und machte sich gar nicht erst die Mühe, zu verbergen, was er von dieser Frage hielt, nämlich: gar nichts. Und er sagte: «Mein Hund mag mich. Wen kümmert es, was andere denken?»

Die Ambivalenz in Person

Schnoddrig, schnippisch, abweisend – so tritt er oft auf. Eine Annäherung fällt schwer. Und so richtig schlau wird man aus ihm nicht: Ist er unsicher? Ist er arrogant? Beides ist wohl Teil der Wahrheit. Diese Ambivalenz – sie zeigt sich auch auf dem Platz.

Mal stolziert er eitel und selbstsicher wie ein Pfau über den Platz. Im nächsten Moment wirkt er hilflos und abwesend. Misstrauisch beobachtet er dabei, was um ihn herum passiert. Überall sieht er Fallen.

Das hat viel mit seiner Geschichte zu tun. Zverevs Eltern, beide Tennislehrer und früher Profis aus Sotschi, kamen 1991 nach Deutschland. Bruder Mischa ist neun Jahre älter als er und ebenfalls Tennis-Profi, derzeit die Nummer 64 der Welt. «Sascha», wie der Jüngere genannt wird, ist auf der Tennis-Tour aufgewachsen, er kennt nichts anderes. Früh gilt er als grosses Talent. Und früh verfügt er über ein hochprofessionelles Umfeld: Manager, Physiotherapeut, Fitnesstrainer, Medienberater.

Ablehnend, aber auch witzig, charmant und gewinnend

Wer so ehrgeizig agiert, provoziert in der Öffentlichkeit Ablehnung. Zverev reagiert mit: Ablehnung. Auch das steht in Widerspruch zu dem, wie er eben auch sein kann: witzig, charmant, gewinnend. Wie dieser Tage in Paris, wenn er mit dem Journalisten Jonathan Pinfield schäkert.

Dessen britischer Akzent hat es Zverev dermassen angetan, dass er die Frage, ob es nun schon Liebe sei zwischen ihm und Roland Garros, so beantwortete: «Das hoffe ich. Aber sicher ist: Ich verliebe mich jeden Tag noch mehr in deinen Dialekt.»

Auf dem Platz lernt Alexander Zverev schnell. Neben dem Platz aber reibt er sich noch an Nebensächlichkeiten auf. Auch das dürfte ein Grund für die bisher magere Bilanz bei Major-Turnieren sein.

Viertelfinal-Duell gegen Dominic Thiem

Sein Gegner im ersten Major-Viertelfinal ist der befreundete Österreicher Dominic Thiem (24, ATP 8), der in Paris zuletzt zwei Mal in Folge die Halbfinals erreicht hat und der Einzige ist, der Titelverteidiger Rafael Nadal (32, ATP 1) in den letzten beiden Jahren auf dessen Lieblingsbelag hat bezwingen können.

Im Viertelfinal wartet nun der Österreicher Dominic Thiem auf Zverev.

Im Viertelfinal wartet nun der Österreicher Dominic Thiem auf Zverev.

KEYSTONE/AP/FRANCISCO SECO

Jener Nadal sagte jüngst, er verstehe nichts von Tennis, wenn dieser Zverev nie ein Grand-Slam-Turnier gewinnen sollte. Alexander Zverev, der Ungeduldige, bestreitet in Roland Garros erst sein zwölftes Grand-Slam-Turnier. Roger Federer zum Beispiel triumphierte erst im 17. Anlauf, kurz vor seinem 22. Geburtstag.

So lange will Zverev nicht warten. Er will schon am Sonntag die Coupe des Mousquetaires gewinnen. «Denn wenn du hier gewinnst, steht dein Name mit goldener Handschrift in den Geschichtsbüchern.»

Serena Williams lässt Duell der Diven platzen

Kurz nach 15.19 Uhr platzt das Duell, auf das die Tennis-Welt sich gefreut hatte: jenes zwischen Serena Williams, der 23-fachen Grand-Slam-Siegerin und aus der einjährigen Babypause Zurückgekehrten, und Maria Scharapowa, der Russin, die seit 14 Jahren auf einen Sieg gegen Williams wartet. Den zwei Diven im Frauen-Tennis.

Doch die Amerikanerin liess das Duell wegen einer Verletzung am Brustmuskel platzen. «Ich bin mehr als nur enttäuscht. Ich habe viel geopfert, um dabei zu sein», sagte Williams. Weitere Abklärungen sollen zeigen, ob ihre Teilnahme in Wimbledon gefährdet ist. Scharapowa trifft in den Viertelfinals auf die Spanierin Garbine Muguruza. (sih)