Im Final des Australian Open fordert Andy Murray Novak Djokovic (9.30 Uhr/SRF2). Offenbar hat der Schotte bei der Trainerfrage richtig entschieden.
Als Murray vor einem halben Jahr die Französin Amélie Mauresmo als Trainerin verpflichtete, war das Echo gewaltig und wenig positiv. In der Umkleide wurde der 27 Jahre alte Schotte von vielen Konkurrenten belächelt, hinter vorgehaltener Hand als Frauenversteher verspottet. Eine Frau, die einen Grand-Slam-Champion coachte – das war für die Ewiggestrigen unter den Tennis-Traditionalisten unvorstellbar. Doch schlimmer fühlte es sich für Murray an, dass sich sogar seine beiden langjährigen Vertrauten, der Assistenztrainer Dani Vallverdu und der Fitnesscoach Jez Green, gegen Mauresmo im Team stellten. «Es geht nicht darum, was andere denken», verteidigte Murray seine Entscheidung: «Ich vertraue ihr.»
Im Winter trennte er sich von beiden, nicht freundschaftlich. Vallverdu heuerte nun bei Tomas Berdych als Trainer an, und so wurde die Halbfinalpartie gegen den Tschechen beim Australian Open auf einmal sehr persönlich. Es ging extrem hitzig zu. Murray selbst schrie bei fast jedem Punkt mit wilder Grimasse in Richtung Vallverdu und sollte am Ende furios gewinnen. Dieser Sieg war eine Befreiung, in vielerlei Hinsicht – und könnte ihm heute zu seinem dritten Grand-Slam-Titel verhelfen.
«Viele Leute haben kritisiert, dass ich mit Amélie arbeite», hatte Murray danach vor den 15 000 Fans in der Rod-Laver-Arena und Millionen Fernsehzuschauern gesagt, «aber ich denke, wir haben hier bisher gezeigt, dass Frauen auch sehr gute Coaches sein können.» Er bekam tosenden Applaus von den Rängen und ein dankbares Lächeln von Mauresmo. «Es war eine mutige Entscheidung von dir, dass du mit mir arbeitest», fügte Murray an sie gerichtet hinzu, «und ich hoffe, ich kann dir das Vertrauen in ein paar Tagen zurückzahlen.» Die Chance ist zweifellos da, Murray steht in seinem achten Grand-Slam-Final und könnte dabei gar Geschichte schreiben. Er wäre der erste Spieler, der nach drei verlorenen Endspielen in Melbourne noch den Titel holt. Djokovic hat jedoch etwas dagegen – der serbische Weltranglistenerste, der für zwei von Murrays drei Finalniederlagen (neben Roger Federer) verantwortlich ist. «Meine Bilanz gegen Andy könnte natürlich ein kleiner psychologischer Vorteil sein», merkte Djokovic an, der nur eine der letzten acht Partien gegen Murray verloren hatte, «aber ich denke trotzdem, dass es keinen klaren Favoriten gibt.» Nicht nur, da Djokovic im Halbfinal gegen Stan Wawrinka grosse Probleme gehabt hatte, sondern weil sich Murray nach einem sehr schwierigen Jahr nun zum Saisonstart in Australien eindrucksvoll zurückgemeldet hatte.
Die Nachwehen einer schweren Rückenoperation und dass Ivan Lendl ihn nach zwei Jahren im Frühjahr unerwartet als Trainer fallen liess, brachten Murray lange aus dem Tritt, und auch Mauresmo konnte dann in Wimbledon nicht ad hoc Wunder wirken. «Uns fehlte in den ersten Monaten die Zeit, um an Änderungen arbeiten zu können», erklärte Murray, der im Herbst nur noch die Nummer neun der Welt war. «Viele haben Amélie dafür am Saisonende kritisiert, als wenn es ihre Schuld gewesen wäre, wie ich gespielt habe.» Besonders bitter stiess den Briten Murrays letzte Partie bei den Tour-Finals in London auf, als er mit 0:6 und 1:6 von Federer abserviert wurde. Danach begann in der Winterpause jedoch erst die echte Zusammenarbeit mit der Wimbledon- und Australian-Open-Siegerin von 2006. Mauresmo brachte Murray dazu, mehr Variabilität in sein Spiel zu bringen, das bisher extrem aufs Verteidigen und Kontern ausgelegt war. Und Murray merkte, dass er mit den Besten nicht mehr mithalten konnte und dringend etwas ändern musste.
Der Erfolg ist nun sichtbar. «Amélie hat einen fantastischen Job gemacht», lobte Murray, «ich spiele jetzt aggressiver, stehe weiter im Feld und beende Punkte schneller.» Und Murray ist vor allem mental wesentlich stärker geworden. Mauresmo überzeugte ihn, mit einem Psychologen zu arbeiten. Das hatte Murray bisher kategorisch abgelehnt, doch er vertraut Mauresmo. Durch sie gehört er nach dem Turnier nun wieder offiziell zu den «Grossen Vier», ob mit oder ohne Trophäe. Er hat es seinen Kritikern bewiesen, ist reifer geworden. «Andy war es sicher leid, sich immer wieder wegen mir rechtfertigen zu müssen», meinte Mauresmo, «und es ist immer besser, mit Ergebnissen als mit Worten zu antworten – und genau das macht Andy jetzt.»