Der Russe Daniil Medwedew (25, ATP 2) besiegt den Serben Novak Djokovic (34, ATP 1) mit 6:4, 6:4, 6:4 und gewinnt mit den US Open seinen ersten Grand-Slam-Titel. Er zerstört damit Djokovics Traum vom Gewinn aller vier Major-Turniere innerhalb eines Jahres.
Die Chance war vielleicht einmalig – und sie kommt vielleicht nie wieder. Mit den Australian Open, den French Open und Wimbledon hatte Novak Djokovic die ersten drei Grand-Slam-Turniere des Jahres gewonnen. Mit einem Sieg bei den US Open wäre er zum dritten Mann nach Don Budge 1938 und Rod Laver 1962 und 1969 geworden, der alle vier Major-Turniere innerhalb eines Kalenderjahres gewonnen hat - aber der erste, dem dies auf drei verschiedenen Unterlagen (Hartplatz, Sand und Rasen) gelungen ist. In New York wurde bis 1978, in Australien bis 1988 auf Rasen gespielt.
Doch es ist nicht der Abend des Novak Djokovic, der mit seinem 21. Grand-Slam-Titel auch Rafael Nadal und Roger Federer hinter sich gelassen hätte.
Der 25-jährige Russe Daniil Medwedew (ATP 2) setzt sich mit 6:4, 6:4, 6:4 durch, gewinnt im dritten Finalanlauf nach den US Open 2019 (Niederlage gegen Rafael Nadal) und Anfang des Jahres bei den Australian Open, wo er Novak Djokovic in drei Sätzen unterlegen war, seinen ersten Grand-Slam-Titel, als erster Russe seit Marat Safin 2005 bei den Australian Open.
Djokovic hatte auf dem Weg in den Final vier Mal den Startsatz abgegeben und war fast sechs Stunden länger auf dem Platz gestanden als der Russe. Vor der Partie sagte er: «Ich werde spielen, als wäre es das letzte Match meiner Karriere. Ich werde mein Herz, meine Seele und meinen Körper geben.» Doch die Last der Geschichte schien ihn zu erdrücken. Gleich im ersten Game nahm Medwedew Djokovic den Aufschlag ab. Bei eigenem Service gab er nur drei Punkte ab. Im zweiten Satz nutzte Djokovic keine seiner fünf Breakchancen, Medwedew nutzte seine Möglichkeit zum 4:2.
Und Djokovic, auf dessen Seite die Zuschauer an diesem Abend waren? Zertrümmerte ein Racket. Es blieb lange Zeit die einzige Gefühlsregung. Im dritten Satz ging Medwedew mit 4:0 in Führung und schlug beim Stand von 5:2 zum Match auf, als Djokovic, das erste und einzige Break gelang.
Vor dem letzten Seitenwechsel vergoss Novak Djokovic vor den Augen der Weltöffentlichkeit Tränen, so sehr lastete der Druck auf seinen Schultern.
Wohl nie zuvor war Novak Djokovic in der Gunst des Publikums so weit oben gestanden wie in diesem Jahr in New York. Unter Tränen sagte der Serbe in der Siegerzeremonie: «Mein Herz ist voller Freude. Obwohl ich nicht gewonnen habe, bin ich der glücklichste Mann der Welt. Ich fühlte etwas, das ich noch nie zuvor in New York gefühlt hatte. Danke, ich liebe euch.» Später sagte Djokovic: «Diese Liebe und Energie hätte ich nicht erwartet. Daran werde ich mich immer erinnern. Deshalb bin ich in Tränen ausgebrochen. Dieses Gefühl ist so stark, wie wenn ich den 21. Grand-Slam-Titel gewonnen hätte. Die Zuschauer haben mein Herz berührt.»
Es ist ein Ausgang, mit dem kaum jemand gerechnet hätte: Novak Djokovic gewinnt in dieser Nacht zwar nicht den Titel, dafür aber viele Herzen.
Novak Djokovic wirkte in den Jahren seiner Dominanz oft unantastbar, unschlagbar, mechanisch. Niederlagen wie diese erlauben ihm, sich von seiner verletzlichen Seite zu zeigen. Er sagte: «Es war eine Erlösung, als es vorbei war. Mental und emotional war es belastend. Gleichzeitig fühlte ich Traurigkeit, Enttäuschung und Dankbarkeit gegenüber den Zuschauern.»
Daniil Medwedews Erfolg mag in dieser Deutlichkeit überraschen, doch der Erfolg an sich hatte sich über Jahre abgezeichnet. Im Herbst 2019 hatte er Turniere in Cincinnati, St. Petersburg und Schanghai gewonnen, stand dazu in Washington im Final und erreichte bei den US Open sein erstes Grand-Slam-Finale, wo er Rafael Nadal nach einem 0:2-Satzrückstand noch an den Rand einer Niederlage drängte. Über den Jahreswechsel hatte er 12 Spiele in Folge gegen Spieler aus den Top Ten gewonnen und dabei Djokovic, Rafael Nadal, Dominic Thiem und Stefanos Tsitsipas bezwungen. Die Serie endete im Final der Australien Open, wo er Djokovic unterlag.
Seit 2018 hat Daniil Medwedew 11 Turniere auf Hartbelägen gewonnen, stand 17 Mal im Final und hat 146 Siege gefeiert – mehr als jeder andere. 2020 gewann er den Final der acht Jahresbesten und besiegte auf dem Weg dorthin die Nummern 1 (Djokovic), 2 (Nadal) und 3 (Thiem) der Welt. Das war zuvor erst einem Spieler gelungen - David Nalbandian 2007 in Madrid. Nun ist Medwedew der grosse Spielverderber der Geschichte. Rod Laver und Don Budge bleiben die einzigen Männer, die alle vier Grand-Slam-Turniere innerhalb eines Kalenderjahres gewinnen konnten.
So unscheinbar Medwedew wirkt, so extrovertiert tritt er zuweilen auf. Bei den US Open 2019 hatte er erst einen Balljungen beleidigt, sich mit dem Schiedsrichter und dann auch noch mit dem Publikum angelegt. Von diesem Moment an war er bei jeder Aktion gnadenlos ausgebuht worden. Im Platzinterview bedankte er sich sarkastisch für die Unterstützung. Statt auf die Fragen einzugehen, wandte er sich an die Zuschauer und sagte: «Nur dank euch bin ich noch im Turnier. Ich war am Ende meiner Kräfte. Doch ihr habt mir die Energie gegeben, mich zurückzukämpfen. Danke!»
Medwedew entschuldigte sich später und gelobte Besserung. Neben dem Platz sei er ein sehr ruhiger Typ. «Ich habe keine Ahnung, weshalb die Dämonen aus mir herausbrechen, sobald ich Tennis spiele», sagte er der «New York Times». Vor allem als Junior habe er sich damit immer wieder in Schwierigkeiten gebracht. Aber auch später. Unvergessen ist, wie er 2017 in Wimbledon nach einer Niederlage der Schiedsrichterin Münzen vor den Stuhl warf und ihr damit Bestechlichkeit vorwarf. Im Jahr davor war er in Paris wegen rassistischen Verhaltens disqualifiziert worden.
Medwedew gilt als selbstkritisch und sehr intelligent, sei ein begnadeter Schachspieler. Bevor er sich auf die Tenniskarriere konzentrierte, besuchte er Mathematik- und Physikstunden für Hochbegabte. Nach dem Umzug in eine französische Tennisakademie lernte er innerhalb weniger Monate Französisch. Bereits mit 22 Jahren heiratete er. Heute lebt Medwedew mit seiner Frau Daria in Monte Carlo und trainiert in der Nähe von Nizza. Er ist gereift, und weiss sein Temperament inzwischen weit besser zu zügeln.
PS: Daniil Medwedew hat gleich doppelten Grund zur Freude. Er feierte am Tag seines grössten sportlichen Erfolgs seinen dritten Hochzeitstag.