Analyse
Peng Shuai: Der Rückzug des Frauentennis aus China ist historisch, doch ob die letzte Patrone sitzt, wird erst die Zukunft zeigen

Als Konsequenz des Umgangs mit den Vorwürfen der sexualisierten Gewalt gegen Tennisspielerin Peng Shuai zieht sich die WTA, die Profiorganisation der Frauen, aus China zurück. Das ist historisch. Aber nur dann nachhaltig, wenn andere dem Beispiel folgen.

Simon Häring
Simon Häring
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Der Umgang Chinas mit Peng Shuai, die einen ehemaligen Politiker des sexuellen Missbrauchs bezichtigt hatte, hat Konsequenzen.

Der Umgang Chinas mit Peng Shuai, die einen ehemaligen Politiker des sexuellen Missbrauchs bezichtigt hatte, hat Konsequenzen.

Ng Han Guan / AP

Steve Simon lässt Worten Taten folgen, die Women's Tennis Association, die Profiorganisation im Frauentennis, zieht sich vollständig aus China und Hongkong zurück, nachdem die frühere Nummer 1 im Doppel, Peng Shuai, Anfang November den früheren Vizepremierminister, Zhang Gaoli, in den sozialen Netzwerken des sexuellen Missbrauchs bezichtigt hatte. Seither lässt der Staatsapparat nichts unversucht, den Eindruck zu erwecken, es habe die Äusserungen nie gegeben, der 35-Jährigen gehe es gut.

Eine im November über Twitter verbreitete Videoaufnahme zeigt Peng Shuai (Zweite von rechts) beim Essen in Peking.

Eine im November über Twitter verbreitete Videoaufnahme zeigt Peng Shuai (Zweite von rechts) beim Essen in Peking.

(Hu Xijin/Twitter/via Reuters)

Das Internationale Olympische Komitee machte sich dabei zum Gehilfen, als dessen Präsident Thomas Bach im Vorfeld der Winterspiele in Peking mit Peng telefonierte, den mutmasslichen Übergriff bis heute mit keiner einzigen Silbe verurteilte, Chinas Umgang mit der dreifachen Olympia-Teilnehmerin nie kritisierte, das Narrativ füttert, Peng gehe es gut und keine Aufklärung der Vorwürfe forderte. Seine Losung: stille Diplomatie.

Die WTA lässt sich mit diesen inszenierten Beteuerungen nicht abspeisen, sondern bietet China die Stirn. Der Rückzug ist mutig und historisch. Die NBA und die Premier League hatten nach vergleichbaren Konflikten vor China gekuscht und für den Profit im Megamarkt ihre Werte verraten. Für die WTA keine Option: Sie steht in der Tradition der Gerechtigkeit und ging in den 1970er-Jahren aus dem Bestreben hervor, Frauen gleichzustellen.

Steve Simon erläutert den Rückzug aus China gegenüber CNN.

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Ein günstiger Zeitpunkt für den Rückzug

Das professionelle Frauentennis ist vom chinesischen Markt abhängig. 10 der 54 jährlich veranstalteten WTA-Turniere finden dort statt, ein Drittel der Einnahmen wird in China generiert. Konkret: Die WTA nimmt für die Wahrung der sexuellen Integrität von Shuai Peng in Kauf, zu implodieren. Andererseits ist der Zeitpunkt günstig, da im letzten Jahr pandemiebedingt ohnehin keine Turniere in China stattfanden. Andererseits ist der Zirkus traditionell flexibel gestaltet: Lizenzen werden teilweise sehr kurzfristig vergeben – in Länder, deren Spielerinnen gerade an der Spitze stehen.

Ob andere Sportorganisationen dem Beispiel folgen und sich aus China zurückziehen, so lange dort Menschenrechte missachtet, politische und religiöse Minderheiten unterdrückt, an den muslimischen Uiguren ein Ethnozid verübt wird und die Unabhängigkeit von Hongkong, Taiwan und Tibet negiert wird, bleibt indes abzuwarten. Obwohl weniger Turniere in China stattfinden, sind die Fesseln, von denen sich das Männertennis befreien müsste, stärker: Die staatlich kontrollierte Shanghai Juss Event Managent-Gruppe hält 10 Prozent der Anteile an der ATP Media Holding, über die das Männertennis die globalen TV- und Bildrechte vermarktet.

IOC-Präsident Thomas Bach in einem inszenierten Videotelefonat mit Peng Shuai, dessen Umstände des Zustandekommens unklar sind.

IOC-Präsident Thomas Bach in einem inszenierten Videotelefonat mit Peng Shuai, dessen Umstände des Zustandekommens unklar sind.

Ois/Ioc/ International Olympic C / EPA

Der ekelhafte Opportunismus des Thomas Bach

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass das chinesische Regime bisher gut damit gefahren ist, ähnliche Krisen einfach auszusitzen. Zu erdrückend ist die wirtschaftliche Macht des bevölkerungsreichsten Landes Welt. Der Schritt der WTA ist löblich und historisch, ob er die Tragweite besitzt, den Umgang mit China nachhaltig zu verändern, wird erst die Zukunft zeigen. Das Frauentennis hat die letzte Patrone im Magazin abgefeuert.

IOC-Chef Thomas Bach traf Zhang Gaoli im Juni 2016 in Peking. Gaoli wirkte im Organisationskomitee der Winterspiele 2022 mit.

IOC-Chef Thomas Bach traf Zhang Gaoli im Juni 2016 in Peking. Gaoli wirkte im Organisationskomitee der Winterspiele 2022 mit.

Doch so lange Organisationen wie das Internationale Olympische Komitee und dessen ekelhaft opportunistischer Präsident Thomas Bach, ein Selbstdarsteller vor dem Herrn, weiter mit Autokraten auf Kuschelkurs gehen und eigene Interessen stärker gewichten, wird die Patrone nicht sitzen. Wandel wird es nur dann geben, wenn andere dem Beispiel folgen.