Mit einer neuen Meldestelle will Swiss Olympic junge Sportlerinnen und Sportler künftig besser vor Übergriffen schützen. Auch in die Prävention investiert der Dachverband des Schweizer Sports.
Systematische Unterdrückung, verbale Misshandlungen, Athletinnen, die dadurch Essstörungen entwickelten und in Einzelfällen sogar suizidal wurden. Es ist ein erschreckendes Sittenbild des Schweizer Sports, das die «Magglingen-Protokolle» zeichnen, die «Das Magazin» im Herbst 2020 veröffentlichte.
Acht ehemalige Turnerinnen berichteten darin, wie sie im Leistungssportzentrum des Schweizerischen Turnverbands in Magglingen für ihren Traum vom Erfolg im Spitzensport durch die Hölle gingen.
Die Recherche löste Bestürzung aus, hatte aber auch zur Folge, dass sich die Sportministerin Viola Amherd der Sache annahm. Zudem wurden drei unabhängige Untersuchungsverfahren eingeleitet. Die Konsequenz: Fabien Martin, der 2017 Cheftrainer geworden war und zuvor während über zehn Jahren als Assistent gewirkt hatte, wurde entlassen. Béatrice Wertli, die neue Direktorin des Turnverbands, entschuldigte sich bei den Betroffenen.
Nun schafft Swiss Olympic, der Dachverband des Schweizer Sports, dem 81 nationale Sportverbände angegliedert sind, eine nationale Meldestelle für Ethikverstösse im Sport. Ab dem 1. Januar soll die neue, bei Antidoping Schweiz angeschlossene Organisation Swiss Sport Integrity ihre Arbeit aufnehmen. Geleitet wird die Ethikabteilung von Markus Pfisterer, der zuletzt Geschäftsführer des Radverbands Swiss Cycling gewesen war.
Seit 2016 musste jeder Sportverband eine Ethikverantwortliche stellen und eine Meldestelle betreiben. Vor allem in kleineren Verbänden führte das zu kaum bewältigbaren Herausforderungen und Interessenkonflikten, wie Swiss Olympic vor Publikation der Magglingen-Protokolle feststellte. Als Sofortmassnahme wurde eine vorübergehende Anlaufstelle geschaffen, bis die Swiss Sports Integrity per 1. Januar 2022 ihre Arbeit aufnehmen kann.
Swiss Sports Integrity steht allen offen, die einen Missstand melden wollen: Athletinnen, Eltern, Betreuern, Lehrern. Die Meldestelle bietet daraufhin eine Erstberatung an, prüft das Eintreten auf die Meldung und bringt den Missstand bei Bedarf bei den Strafverfolgungsbehörden zur Anzeige. Der betroffene Verband wird angehört und ein Schlussbericht zuhanden der Disziplinarkommission erstellt. Diese befindet dann über Sanktionen.
Erfahrungen im Umgang mit ethischen Fragen hat Swiss Olympic bereits im laufenden Jahr gesammelt – mit einer breit angelegten Umfrage bei den Inhabern einer Swiss-Olympic-Card und der provisorisch errichteten Anlaufstelle. Bis Mitte September seien dort 34 Meldungen eingegangen, wobei zwei tatsächliche Verstösse festgestellt worden seien. Das Budget von Swiss Sport Integrity wird um 0,5 Millionen auf 5 Millionen Franken erhöht, wovon aber ein Grossteil auf die Dopingbekämpfung entfällt.
Aufgestockt werden soll mit drei neuen Mitgliedern auch der Stiftungsrat der Organisation. Diese werden an der nächsten Sitzung des Schweizer Sportparlaments im November bestimmt. Dieses muss auch noch dem Ethikstatut zustimmen, das für alle Schweizer Sportverbände Gültigkeit hat und Voraussetzung für die Schaffung der Meldestelle ist. Das dürfte reine Formsache sein. «Die Verbände wurden konsultiert, bisher sind keine Einwände eingetroffen», sagt Roger Schnegg, Direktor von Swiss Olympic.
Die Meldestelle stosse auch bei anderen nationalen Olympischen Komitees auf Interesse. Mit Finnland, Australien und Kanada bestehen erst in drei anderen Ländern ähnliche Modelle zur Meldung von Missständen. Auch in den Niederlanden, Österreich und weiteren skandinavischen Ländern wird Swiss Sports Integrity mit grossem Interesse verfolgt, sagt Schnegg.
Neben der Aufdeckung, Verfolgung und Sanktion von Missständen im Sport will Swiss Olympic vor allem in der Prävention ansetzen, auch im Wissen darum, dass es auch künftig zu Verstössen kommen wird. Aus diesem Grund hat Swiss Olympic die Kampagne «Are you OK?» lanciert.
Man will damit auf Situationen im Sportumfeld aufmerksam machen, die belastend oder verletzend sein können. Die Kernbotschaften lauten: «Sprich darüber, wenn es sich falsch anfühlt», und: «Hol dir Support».
Damit Fälle wie jene im Turnverband bereits im Keim erstickt werden können. Und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.