Super League
Zwischen Genie und Wahnsinn: Der FC Sion holt mit Mario Balotelli einen grossen Namen des Weltfussballs

Dank dem Wechsel von Mario Balotelli zum FC Sion wird der Schweizer Fussball durch eine echte Attraktion bereichert. Das «Enfant terrible» lässt selten ein Fettnäpfchen aus – und ist nebenbei ein begnadeter Torjäger.

Dan Urner
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Spielt neu beim FC Sion: Mario Balotelli.

Spielt neu beim FC Sion: Mario Balotelli.

Gian Ehrenzeller / KEYSTONE

Wenige Minuten vor Ende der Transferperiode ist der Deal endlich unter Dach und Fach. Mario Balotelli unterschreibt beim FC Sion einen Vertrag für zwei Jahre. Nach zähen Verhandlungen mit seinem bisheriger Arbeitgeber Adana Demirspor ist der Wechsel Balotellis ins Wallis nun Tatsache.

Der Name Balotellis ist zweifellos einer der grössten Namen, der je in der Schweiz gekickt hat – wenn nicht sogar der grösste überhaupt. Mit Balotelli heuert ein Garant für Spektakel im Wallis an; ein «Enfant terrible», das auf und neben dem Rasen immerzu zwischen Genie und Wahnsinn oszilliert. Der robuste und abschlussstarke Stürmer hat seine Torjäger-Qualitäten bei seinen meisten Vereinsstationen sowie in der italienischen Nationalmannschaft etliche Male unter Beweis gestellt. Unvergessen bleibt sein Doppelpack im EM-Halbfinal 2012 gegen Deutschland – ebenso wie sein längst ikonischer Muskel-Jubel nach seinem sagenhaften zweiten Treffer.

Seine Jubelpose nach seinem zweiten Treffer im EM-Halbfinal 2012 gegen Deutschland ist längst legendär.

Seine Jubelpose nach seinem zweiten Treffer im EM-Halbfinal 2012 gegen Deutschland ist längst legendär.

Keystone

Damals war Balotelli 21, der neue Stern am europäischen Fussballhimmel. Nun ist er 32 und heuert beim kleinen FC Sion an. Dass der fast unverschämt talentierte Goalgetter nicht die ihm zugedachte kometenhafte Karriere eingeschlagen hat, ist den zahlreichen Nebengeräuschen und Skandalen geschuldet, die sich von Beginn an wie ein Schatten über seine Laufbahn gelegt haben.

In unserer Liga spielten Fussballer, die erst später zu Weltstars wurden, aber auch solche, die zum Ende ihrer Laufbahn in die Schweiz wechselten. Nachfolgend eine Auswahl von Topstars: Mohamed Salah war zwischen 2012 und 2014 beim FC Basel. Bei den Bebbi erzielte der Ägypter 20 Tore in 79 Pflichtspielen und lieferte 17 Assists. Seit 2017 schnürt der 30-Jährige für den FC Liverpool die Schuhe und gehört zu den besten Stürmern der Welt.
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Iván Zamorano bestritt zwischen 1988 und 1990 66 Partien für den FC St. Gallen und erzielte 39 Tore. Der Stürmer lief 69 Mal für die chilenische Auswahl auf und spielte nach den Espen für Klubs wie Sevilla, Real Madrid oder Inter Mailand.
Giovane Élber ist mit 133 Treffern hinter Robert Lewandowski und Claudio Pizarro der drittbeste ausländische Torschütze der Bundesliga. In Deutschland ging der brasilianische Stürmer für den VfB Stuttgart, Bayern München und kurz für Borussia Mönchengladbach auf Torejagd. Davor zauberte er bei den Grasshoppers (1991 - 1994, 59 Tore).
Der Weltenbummler Djibril Cissé streifte sich das Trikot von 11 Vereinen über, darunter auch zum Ende seiner Karriere jenes von Yverdon (2017 - 2018) in der Promotion League. Zu seinem grössten Erfolg gehört der Champions-League-Triumph mit dem FC Liverpool 2005. Der Stürmer lief 41 Mal für die französische Nationalmannschaft auf.
Mit Inter Mailand gewann Walter Samuel 2010 die Champions League. Der Innenverteidiger wurde insgesamt sechsmal italienischer Meister (5x Inter, 1x mit der AS Roma). Il Muro, wie er genannt wurde, wechselte 2014 mit 36 Jahren zum FC Basel. Der argentinische Nationalspieler (56 Einsätze) bestritt bei Rot-Blau noch zwei Saisons mit zwei Meistertiteln und beendete im Anschluss seine Karriere. Er ist derzeit Co-Trainer der argentinischen Nationalmannschaft.
Als rechter Aussenverteidiger absolvierte Gianluca Zambrotta 98 Länderspiele für Italien. Mit der Squadra Azzurra resultierte 2006 der Weltmeistertitel. Er kickte unter anderem für Juventus, Barcelona und Milan. 2013 stand er als 36-Jähriger ohne Verein da und wurde vom FC Chiasso verpflichtet. Fünf Partien absolvierte er für die Tessiner, wurde im November 2013 Cheftrainer. Im April 2015 wurde er entlassen.
Auch Gennaro Gattuso gehörte 2006 zur Weltmeisterequipe Italiens. Während 13 Jahren machte er sich beim AC Mailand mit kompromisslosen Tacklings einen Namen, gewann zweimal die Champions League und wurde zweimal italienischer Meister. 2012 unterschrieb er mit 34 Jahren beim FC Sion. Im Wallis absolvierte er 32 Partien erst als Spieler, dann als Spielertrainer. Im Mai 2013 wurde der Italiener von Christian Constantin entlassen. Aktuell ist er Übungsleiter beim FC Valencia.
Ailton erhielt wegen seiner Schnelligkeit der Spitznamen Kugelblitz. Bei den Grasshoppers war der brasilianische Stürmer dann auch blitzartig weg. Als 33-Jähriger kam er 2007 zu den Grasshopers zu 14 Pflichtspieleinsätzen, in denen er acht Mal einnetzte. Die erfolgreichste Zeit hatte Ailton zuvor bei Werder Bremen und dem Gewinn der Meisterschaft 2004.
Als zweifacher Champions-League-Sieger (Real Madrid), Weltmeister (1998) und Europameister (2000) wurde Christian Karembeu 2004 zu Servette transferiert. Der 53-fache französische Nationalspieler kam als 34-Jähriger bei den Grenats jedoch nur 14 Mal als Defensivspieler zum Einsatz.
Der 95-fache deutsche Nationalspieler Karl-Heinz Rummenigge war während seiner Laufbahn nur bei drei Vereinen unter Vertrag. Nach Bayern München und Inter Mailand liess er seine Karriere 1987 in Genf bei Servette ausklingen. Der Stürmer wurde 1980 mit Deutschland Europameister, gewann mit den Bayern zweimal den Europapokal der Landesmeister (heute Champions League) und hob zweimal die Meisterschale in die Luft. Bei Servette sicherte er sich 1989 mit 24 Treffern die Torjägerkrone in der Nationalliga A.
Günter Netzer dirigierte das Mittelfeld von Borussia Mönchengladbach, Real Madrid und zwischen 1976 und 1977 bei den Grasshoppers. Bei den Zürchern beendete der Europameister (1972) und Weltmeister (1974) seine Karriere. Der 77-jährige Deutsche lebt noch heute in der Schweiz.
1987 waren in der Ostschweiz alle aus dem Häuschen: Mit Marco Tardelli kam ein italienischer Weltmeister (1982), ein Europapokal-Sieger (1985, heute CL) und fünffacher italienischer Meister (mit Juventus Turin) zum FC St. Gallen. Den hohen Erwartungen konnte der damals 32-jährige Mittelfeldspieler nicht gerecht werden. Er kam nur sporadisch zu Einsätzen und beendete 1988 seine Karriere.

In unserer Liga spielten Fussballer, die erst später zu Weltstars wurden, aber auch solche, die zum Ende ihrer Laufbahn in die Schweiz wechselten. Nachfolgend eine Auswahl von Topstars: Mohamed Salah war zwischen 2012 und 2014 beim FC Basel. Bei den Bebbi erzielte der Ägypter 20 Tore in 79 Pflichtspielen und lieferte 17 Assists. Seit 2017 schnürt der 30-Jährige für den FC Liverpool die Schuhe und gehört zu den besten Stürmern der Welt.

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Eine Karriere voller Nebengeräusche

Als Sohn ghanaischer Einwanderer in Palermo geboren, gaben ihn seine Eltern zur Adoption frei. Adoptiert wurde er nie; die lombardische Pflegefamilie Balotelli zog ihn gross. Mit 18 erhielt er die italienische Staatsbürgerschaft, drängte sich durch sein augenfälliges Talent rasch als Teil der «Squadra Azzurra» auf – und kam ebenso flugs mit dem in italienischen Stadien schwelenden Rassismus in Kontakt. Trotz seiner exzellenten Fähigkeiten zog der exzentrische Eigenbrötler in trauriger Regelmässigkeit die Antipathie der Fans auf sich.

Galt einst als der neue Stern am Fussballhimmel: Mario Balotelli.

Galt einst als der neue Stern am Fussballhimmel: Mario Balotelli.

Matteo Bazzi / EPA

Ruhe kehrte auch nach seinem schier fluchtartigen Wechsel von Inter Mailand zu Manchester City 2010 nicht ein. Der schnell als Skandalnudel verschriene Balotelli reihte eine Eskapade an die andere. Einmal zog er in einem Vorbereitungsspiel gegen Los Angeles Galaxy einen verwegenen Trickshot einem sicheren Tor vor – und wurde von seinem fassungslosen Trainer Roberto Mancini prompt ausgewechselt.

Mit Dartpfeilen auf den Jugendspieler

Auch neben dem Rasen war ihm ein steter Platz in den Negativschlagzeilen sicher. Als er gemeinsam mit Freunden mit Feuerwerkskörpern herumexperimentierte, steckte er gleich sein Haus in Brand. Einen City-Jugendspieler bewarf er mit Dartpfeilen. Nach einem Verkehrsunfall mit seinem Sportwagen fragte ihn ein Polizist, weshalb Balotelli 5000 Pfund in bar in seiner Hosentasche trug. «Weil ich reich bin», so die kesse Antwort des Fussballstars.

Seiner Karriere erwies der Stürmer mit seinen Eklats einen gehörigen Bärendienst, wiewohl er seine Knipserqualitäten situativ immer wieder aufblitzen liess. Während bei den meisten Spielern die wachsende Erfahrung für gewöhnlich zur spielerischen Weiterentwicklung beiträgt, führte die Karriereleiter Balotelli mit fortschreitendem Alter immer weiter nach unten. Auch im Nationalteam spielt er keine Rolle mehr, obwohl Italien bei weitem über kein Überangebot herausragender Stürmer verfügt.

Mario Balotelli im Trikot der AC Mailand.

Mario Balotelli im Trikot der AC Mailand.

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Nach kurzen Stationen bei der AC Mailand und dem FC Liverpool führte ihn der Weg vom damals – wie heute abermals – vom Schweizer Lucien Favre trainierten OGC Nizza. Seine Torquote konnte sich sehen lassen, Balotelli traf in 76 Ernstkämpfen gleich 43-mal, doch er verlor spätestens in der Saison 2018/19 seinen Stammplatz – und trug seine Wechselgelüste offen zur Schau.

Starke Saison in der Türkei

Es folgten äusserst durchwachsene Jahre bei Olympique Marseille, Brescia Calcio und der AC Monza. In der abgelaufenen Saison in der Türkei stellte Balotelli seine vorzüglichen Fähigkeiten wieder unter Beweis. In 31 Partien für Adana Demirspor erzielte er 18 Treffer; im abschliessenden Ligaspiel gegen Göztepe Izmir netzte er gleich fünfmal ein, einmal traumhaft per Rabona. Eigentlich eine Empfehlung für höhere Aufgaben.

Mario Balotelli im Trikot des OGC Nizza, für den er zeitweise unter dem Schweizer Trainer Lucien Favre aktiv war.

Mario Balotelli im Trikot des OGC Nizza, für den er zeitweise unter dem Schweizer Trainer Lucien Favre aktiv war.

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Doch nun folgt der Wechsel des 32-Jährigen zum FC Sion in die Super League. Eine im internationalen Vergleich unterdurchschnittliche Liga, für die der hochbegabte Angreifer eigentlich stark überqualifiziert ist. Dem möglichen Umzug in die Schweiz dürften indes nicht allein fussballerische, sondern vielmehr menschliche Motive zugrunde liegen. Sein Sohn kam 2017 in Zürich zur Welt. Von dessen in der Schweiz lebenden Mutter hat sich Balotelli inzwischen getrennt.