Dank dem Wechsel von Mario Balotelli zum FC Sion wird der Schweizer Fussball durch eine echte Attraktion bereichert. Das «Enfant terrible» lässt selten ein Fettnäpfchen aus – und ist nebenbei ein begnadeter Torjäger.
Wenige Minuten vor Ende der Transferperiode ist der Deal endlich unter Dach und Fach. Mario Balotelli unterschreibt beim FC Sion einen Vertrag für zwei Jahre. Nach zähen Verhandlungen mit seinem bisheriger Arbeitgeber Adana Demirspor ist der Wechsel Balotellis ins Wallis nun Tatsache.
Der Name Balotellis ist zweifellos einer der grössten Namen, der je in der Schweiz gekickt hat – wenn nicht sogar der grösste überhaupt. Mit Balotelli heuert ein Garant für Spektakel im Wallis an; ein «Enfant terrible», das auf und neben dem Rasen immerzu zwischen Genie und Wahnsinn oszilliert. Der robuste und abschlussstarke Stürmer hat seine Torjäger-Qualitäten bei seinen meisten Vereinsstationen sowie in der italienischen Nationalmannschaft etliche Male unter Beweis gestellt. Unvergessen bleibt sein Doppelpack im EM-Halbfinal 2012 gegen Deutschland – ebenso wie sein längst ikonischer Muskel-Jubel nach seinem sagenhaften zweiten Treffer.
Damals war Balotelli 21, der neue Stern am europäischen Fussballhimmel. Nun ist er 32 und heuert beim kleinen FC Sion an. Dass der fast unverschämt talentierte Goalgetter nicht die ihm zugedachte kometenhafte Karriere eingeschlagen hat, ist den zahlreichen Nebengeräuschen und Skandalen geschuldet, die sich von Beginn an wie ein Schatten über seine Laufbahn gelegt haben.
Als Sohn ghanaischer Einwanderer in Palermo geboren, gaben ihn seine Eltern zur Adoption frei. Adoptiert wurde er nie; die lombardische Pflegefamilie Balotelli zog ihn gross. Mit 18 erhielt er die italienische Staatsbürgerschaft, drängte sich durch sein augenfälliges Talent rasch als Teil der «Squadra Azzurra» auf – und kam ebenso flugs mit dem in italienischen Stadien schwelenden Rassismus in Kontakt. Trotz seiner exzellenten Fähigkeiten zog der exzentrische Eigenbrötler in trauriger Regelmässigkeit die Antipathie der Fans auf sich.
Ruhe kehrte auch nach seinem schier fluchtartigen Wechsel von Inter Mailand zu Manchester City 2010 nicht ein. Der schnell als Skandalnudel verschriene Balotelli reihte eine Eskapade an die andere. Einmal zog er in einem Vorbereitungsspiel gegen Los Angeles Galaxy einen verwegenen Trickshot einem sicheren Tor vor – und wurde von seinem fassungslosen Trainer Roberto Mancini prompt ausgewechselt.
Auch neben dem Rasen war ihm ein steter Platz in den Negativschlagzeilen sicher. Als er gemeinsam mit Freunden mit Feuerwerkskörpern herumexperimentierte, steckte er gleich sein Haus in Brand. Einen City-Jugendspieler bewarf er mit Dartpfeilen. Nach einem Verkehrsunfall mit seinem Sportwagen fragte ihn ein Polizist, weshalb Balotelli 5000 Pfund in bar in seiner Hosentasche trug. «Weil ich reich bin», so die kesse Antwort des Fussballstars.
Seiner Karriere erwies der Stürmer mit seinen Eklats einen gehörigen Bärendienst, wiewohl er seine Knipserqualitäten situativ immer wieder aufblitzen liess. Während bei den meisten Spielern die wachsende Erfahrung für gewöhnlich zur spielerischen Weiterentwicklung beiträgt, führte die Karriereleiter Balotelli mit fortschreitendem Alter immer weiter nach unten. Auch im Nationalteam spielt er keine Rolle mehr, obwohl Italien bei weitem über kein Überangebot herausragender Stürmer verfügt.
Nach kurzen Stationen bei der AC Mailand und dem FC Liverpool führte ihn der Weg vom damals – wie heute abermals – vom Schweizer Lucien Favre trainierten OGC Nizza. Seine Torquote konnte sich sehen lassen, Balotelli traf in 76 Ernstkämpfen gleich 43-mal, doch er verlor spätestens in der Saison 2018/19 seinen Stammplatz – und trug seine Wechselgelüste offen zur Schau.
Es folgten äusserst durchwachsene Jahre bei Olympique Marseille, Brescia Calcio und der AC Monza. In der abgelaufenen Saison in der Türkei stellte Balotelli seine vorzüglichen Fähigkeiten wieder unter Beweis. In 31 Partien für Adana Demirspor erzielte er 18 Treffer; im abschliessenden Ligaspiel gegen Göztepe Izmir netzte er gleich fünfmal ein, einmal traumhaft per Rabona. Eigentlich eine Empfehlung für höhere Aufgaben.
Doch nun folgt der Wechsel des 32-Jährigen zum FC Sion in die Super League. Eine im internationalen Vergleich unterdurchschnittliche Liga, für die der hochbegabte Angreifer eigentlich stark überqualifiziert ist. Dem möglichen Umzug in die Schweiz dürften indes nicht allein fussballerische, sondern vielmehr menschliche Motive zugrunde liegen. Sein Sohn kam 2017 in Zürich zur Welt. Von dessen in der Schweiz lebenden Mutter hat sich Balotelli inzwischen getrennt.