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Der FCB-Star Valentin Stocker im privaten Gespräch über Werte, Leidenschaft und sein Leben neben dem Fussball. Im Interview erzählt Stocker, dass er das Outing eines schwulen Fussballer unterstützen würde.
Sie sagten mal: «Der Fussballer Stocker und der Mensch Stocker – das sind zwei verschiedene Personen.» Wie ist der Mensch Stocker?
Valentin Stocker: Nicht so erfolgsorientiert wie der Fussballer. Im Fussball werden wir nur am Erfolg gemessen – dafür leben und arbeiten wir Tag für Tag. Neben dem Rasen zählt für mich Qualität, nicht Leistung. Die beiden Stocker unterscheiden sich auch in Details: Der «Mensch» isst niemals Poulet und Spaghetti, denn das sieht der «Fussballer» oft genug. Ich bin ein Geniesser!
Verstehen Sie darunter auch, dass Sie Ihre Küche erst am nächsten Morgen aufräumen?
Diese Freiheit nehme ich mir heraus, seit ich nicht mehr bei den Eltern wohne. Wobei: Sie können mich gerne besuchen, ich bin sicher, es wäre alles tipptopp aufgeräumt (lacht).
Welche Eigenschaften muss ein Fussballer verstecken?
Jede Art von Schwäche – das geht gar nicht. Du musst immer so wenig Schwäche wie möglich zeigen. Dinge, die dich angreifbar machen, sind extrem verpönt in der Fussballwelt. Man sieht das nur schon an der Homosexualität.
Rein statistisch kann es nicht sein, dass es noch nie einen schwulen Nati-Spieler gab. Was wäre, wenn sich einer outen würde?
Für mich wäre das kein Problem, nicht im Geringsten. Im Gegenteil, ich würde ihn unterstützen.
Aber auf dem Spielfeld müsste der Betreffende mit Anfeindungen rechnen?
Wahrscheinlich wäre dies leider schon so. Wenn man Schwäche zeigt, dann muss man damit rechnen, gehänselt zu werden – ich sage das extra plakativ, denn ein Outing hat ja nichts mit Schwäche zu tun, im Gegenteil: Für mich persönlich würde es von Stärke zeugen.
Aber Sie würden trotzdem keinem Fussballer raten, sich zu outen?
Doch, ich schon. Wer diesen Schritt wagt, der hat meine höchste Anerkennung. Aber wir wissen ja, wie die Fussballwelt funktioniert: Es wäre ein schwieriger Weg.
Wird die Fussballwelt eines Tages toleranter werden?
Ich glaube nicht, dass sich jemals etwas ändern wird. Dafür ist zu viel Geld im Spiel. Es dürfte um nichts mehr gehen. Die Medien müssten sich vom Fussball entfernen. Und das wird nicht passieren.
Sie gelten auf dem Spielfeld als arrogant. Wollen auch Sie keine Schwäche zeigen?
Ja, so funktioniert das. Fussball ist ein Zirkus. Eine Bühne mit Regeln, denen jeder Beteiligte folgen muss. Ein paar können es besser. Ein paar weniger gut. Wer bestehen will, muss nach diesen Spielregeln leben.
Fällt Ihnen das manchmal schwer?
Es gibt Tage, da wird alles zu viel, da habe ich das Gefühl: Ich komme nicht mehr aus dem Strudel raus. Körperliche Probleme hat ein Fussballer eigentlich immer. Aber wenn auch noch mentale dazukommen, dann ist es an der Zeit, mit den Trainern und den Betreuern zu besprechen, wie es weitergeht. In so einem Moment hilft mir nur, einen Tag oder allenfalls zwei Tage etwas völlig anderes zu tun, quasi mein inneres System neu zu starten.
Was vermissen Sie in Ihrem Leben als Fussball-Profi?
Die langen Ferien zum Beispiel (lacht). Dann hätte ich auch nicht den Druck, dass in diesen wenigen Ferientagen alles perfekt sein muss, weil ich noch drei Wochen an einem anderen Ort anhängen könnte. Was ich auch vermisse: einen schönen Sonntagabend einfach mal beim Grillieren zu verbringen. Es ist schon vorgekommen, dass ich sogar
am 1. August in einem Hotel in Sion sass und nicht mit meinen Freunden feiern konnte. Aber ich will mich auf keinen Fall beklagen, ich bin gerne Fussballer und sehr zufrieden mit meinem Leben.
Welche Werte zählen für Sie im Leben neben dem Fussball?
Ich habe gern Harmonie. Ich schaue, dass Menschen um mich herum so glücklich wie möglich sind.
Wenn wir also Ihre Freundin fragen würden, wie es um Ihre Streitkultur stehe, würde sie sagen ...
... sehr schlecht! Ich stelle mich als Opfer dar und gebe nach (lacht).
Wie hat sich Ihr Leben verändert, seit Sie ein Star sind?
Ich habe natürlich plötzlich viele, viele Kollegen. Und merke dann, dass viele eben gar keine Kollegen sind. Immer dann, wenn es nicht läuft, merkt man, wer zu einem hält.
Wie merken Sie das?
Nur ein kleines Beispiel: Nach einem Sieg gegen Chelsea habe ich 300 Nachrichten auf dem Handy erhalten. Nach einem Sieg gegen Thun sind es vielleicht drei.
Lechzen Sie nach Anerkennung?
Ich brauche niemanden, der mich anhimmelt. Sondern Leute, die mich nehmen, wie ich bin.
Trotzdem: Sie sind überall begehrt, werden bewundert und verehrt. Verändern Sie sich da nicht automatisch? Oder können Sie sich dem entziehen?
Das ist tatsächlich schwierig. Wer Erfolg hat, eignet sich Selbstvertrauen an. Über die letzten Jahre habe ich mir ein Selbstvertrauen zu eigen gemacht, das mich nicht so schnell brechen lässt. Dazu kommt die finanzielle Sicherheit. Ein erfolgreicher Fussballer verdient so viel, dass er keine Existenzängste haben muss.
Welche Erfahrungen mit falschen Freunden mussten Sie machen?
Ich wurde auch schon angepumpt. Dann hoffe ich, dass ich mein Geld irgendwann wieder sehe. Falls nicht, dann ist das für die Freundschaft nicht so einfach.
Bringen Sie es übers Herz zu sagen: «Hey, Du schuldest mir noch was!»?
Keine Ahnung. Ich bin so naiv, dass ich ans Gute im Menschen glaube. Ich werde in meinem Leben wahrscheinlich noch ein paar Mal auf die Schnauze fallen deshalb. Vielleicht lerne ich es eines Tages noch. Vielleicht auch nicht.
Wie geht Ihre Freundin damit um, dass Sie berühmt sind?
Locker und humorvoll. Als wir uns vor vier Jahren kennen lernten, wusste sie nicht, wer ich bin. Das hat mir gefallen: Sie war am Mensch Stocker interessiert, nicht am Fussballer. Auch heute interessiert sie sich nicht besonders für Fussball.
Was sagt Sie zu den Liebesbriefen, die Sie sicher erhalten?
Das Interessante ist: Ich bekomme selten bis nie Liebesbriefe. Es sind eher Autogrammwünsche von kleinen Buben und Mädchen. Manche zeichnen mir was Schönes. Das ist genauso toll wie ein Liebesbrief.
Wann dachten Sie zum ersten Mal: «Ja, ich kann Profi werden»?
Als ich Nachwuchsspieler war und meinen ersten Profivertrag erhielt, sagte ich mir: «Jetzt versuche ich es einfach mal.» Danach reifte mit der Zeit das Bewusstsein: Ja, wenn es weiter so gut läuft, kann ich als Fussballer Geld verdienen.
War es Ihr unbedingter Wille?
Viele haben von Anfang an dieses Ziel, die arbeiten entsprechend und setzen sich unter Druck. Bei mir war es anders. Ich dachte nie, ich müsse unbedingt Profi werden. Erst später stellte ich mir die Frage: Soll ich schauen, ob es wirklich funktioniert und dafür die Schule zurückstellen? Ich habe sie mit «Ja» beantwortet. Das Bürofachdiplom habe ich immerhin gemacht. Aber das Handelsdiplom hätte ich als Profi nicht auch noch nebenbei bewältigen können.
Woher haben Sie den Biss, den es braucht, um es im Fussball nach oben zu schaffen?
Tatsächlich kommt man plötzlich in ein Umfeld, wo nur der Erfolg zählt. Ich hatte eine alles andere als einfache Zeit unter Trainer Christian Gross. Irgendetwas in mir drin liess mich diese Zeit durchstehen. Aber ich weiss nicht, woher ich die Energie dafür genommen habe.
Sind Ihre Teamkollegen vor allem Freunde oder Konkurrenten?
Im Moment vor allem Freunde. Ich habe den Konkurrenzdruck noch nie richtig gespürt, nicht mal in der Nati. Jetzt ist Tranquillo Barnetta der grösste Konkurrent auf meiner Position. Und er ist einer von denjenigen, mit denen ich am besten auskomme.
Sie sind jetzt 24. Was macht Valentin Stocker mit 45?
Zuerst will ich das Beste aus dem Fussball rausholen, damit ich mir später ein oder zwei Jahre Auszeit nehmen kann, um mir genau diese Gedanken zu machen. Wenn ich mich jetzt entscheiden müsste, dann würde ich gerne ein Restaurant führen. Und am liebsten selber kochen.