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Der ehemalige Olympiasieger im Fechten äussert sich zu politischen Gesten von Athleten an Olympischen Spielen.
Für jeden Athleten ist es ein unglaubliches Erlebnis, an den Olympischen Spielen teilzunehmen. Du bist Teil von etwas Grösserem, du bist bei einem Ereignis, das die Welt vereint – und das macht demütig. Bei den Olympischen Spielen sind wir alle gleich. Jeder hält sich an dieselben Regeln, unabhängig von sozialer Herkunft, Geschlecht, Rasse, sexueller Orientierung oder politischer Überzeugung.
Das erste Mal habe ich diese Magie 1976 bei den Olympischen Spielen in Montreal erlebt. Als ich ins olympische Dorf einziehen durfte, spürte ich, wie der olympische Geist in mir erwachte. Das gemeinsame Leben mit den Athletinnen und Athleten aus aller Welt öffnete mir die Augen für die einende Kraft des Sports.
Als Sportler sind wir Konkurrenten, aber im olympischen Dorf leben wir alle friedlich unter einem Dach zusammen.
Aber ein Vorfall hat meine erste olympische Erfahrung getrübt. Kurz vor der Eröffnungszeremonie schaute ich aus dem Fenster unseres Zimmers im olympischen Dorf, wo ich eine grosse Gruppe afrikanischer Sportler mit gepackten Koffern sah. Viele von ihnen weinten, andere liessen verzweifelt ihre Köpfe hängen. Ich fragte nach, was los war, und erfuhr, dass sie abreisen mussten, weil ihre Regierungen in letzter Minute beschlossen hatte, die Spiele aus Protest gegen die Apartheid-Politik Südafrikas zu boykottieren. Sie waren am Boden zerstört, dass ihr olympischer Traum nach so vielen Jahren harter Arbeit und Vorfreude im letzten Moment platzte.
Ihre Verzweiflung geht mir heute noch nahe.
Zu einem weiteren entscheidenden Moment kam es vier Jahre später, als ich die politische Ohnmacht des Sports beim Boykott der Olympischen Spiele in Moskau 1980 erleben musste. Als Vorsitzender der westdeutschen Athletenkommission lehnte ich diesen Boykott entschieden ab, weil er uns Sportler für etwas bestrafte, mit dem wir nichts zu tun hatten – die Invasion der Sowjetarmee in Afghanistan. Ich musste feststellen, dass die Sportorganisationen – wenn überhaupt – nur wenig politischen Einfluss hatten und wir Athleten auch im Sport sehr wenig mitreden konnten. Unsere Stimmen wurden weder von den Politikern noch von unseren Offiziellen gehört.
Das war eine sehr eindringliche Erfahrung.
Am Ende war das Nationale Olympische Komitee Westdeutschlands eines von vielen, das die Spiele boykottierte. Es ist kein Trost, dass wir letztendlich recht hatten: Dieser Boykott hat nicht nur die Falschen bestraft, sondern zeigte auch keinerlei politische Wirkung: Die sowjetische Armee blieb noch weitere neun Jahre in Afghanistan.
Tatsächlich löste der Boykott darüber hinaus den Gegenboykott der darauffolgenden Olympischen Spiele Los Angeles 1984 aus.
Diese beiden Erfahrungen prägen auch heute noch mein Denken. Sie haben mir deutlich gemacht, dass die zentrale Aufgabe der Olympischen Spiele darin besteht, die weltbesten Sportlerinnen und Sportler aus 206 NOKs in einem friedlichen sportlichen Wettkampf zusammenzubringen. Bei den Olympischen Spielen geht es nicht um Politik. Das IOC ist als zivile Nichtregierungsorganisation politisch neutral.
Weder die Vergabe der Spiele noch die Teilnahme daran stellen ein politisches Urteil über das Gastgeberland dar.
Die Olympischen Spiele werden vom IOC geführt, nicht von einer Regierung. Das IOC lädt die NOKs der Welt zu den Spielen ein, die Einladungen kommen nicht von der Regierung des Gastgeberlandes. Das Staatsoberhaupt des Gastlandes darf nur einen vom IOC vorgeschriebenen Satz sagen, um die Spiele offiziell zu eröffnen. Auch kein anderer Politiker darf eine Rolle bei den Spielen übernehmen, nicht einmal während der Siegerehrungen.
Bei den Olympischen Spielen geht es in erster Linie um den Sport. Die Athleten verkörpern vor allem die Werte Exzellenz, Solidarität und Frieden. Sie bringen Inklusivität und den gegenseitigen Respekt auch dadurch zum Ausdruck, dass sie sich auf dem Spielfeld und während der Zeremonien politisch neutral verhalten.
Manchmal muss dieser Fokus auf den Sport mit der Redefreiheit in Einklang gebracht werden, die alle Athleten auch bei den Olympischen Spielen geniessen. Aus diesem Grund gibt es Regeln für das Spielfeld und die Zeremonien, die diesen Sportsgeist schützen. Die einigende Kraft der Spiele kann sich nur entfalten, wenn wir alle diesen gegenseitigen Respekt und Solidarität zeigen.
Andernfalls verkommen die Spiele zu einer Art Marktplatz für Demonstrationen aller Art, die die Welt spalten, anstatt sie zu vereinen.
Die Olympischen Spiele können Kriege und Konflikte nicht verhindern. Sie können auch nicht alle politischen und sozialen Herausforderungen unserer Welt lösen. Aber sie können ein Vorbild für eine Welt sein, in der sich jeder an die gleichen Regeln hält und in der wir uns gegenseitig respektieren.
Sie können uns dazu inspirieren, Probleme freundschaftlich und solidarisch zu lösen.
Sie können Brücken bauen, die zu einem besseren Verständnis unter den Menschen führen. Und so können sie die Tür zum Frieden öffnen. Die Olympischen Spiele betonen die Gemeinsamkeiten der Menschheit und tragen zur Einheit in all unserer Vielfalt bei. Wie ich durch meine persönlichen Erfahrungen gelernt habe, lohnt es sich, Tag für Tag dafür zu kämpfen, dass die Olympischen Spiele diese Magie entfalten und die Welt in Frieden vereinen können.