Die Disziplin Sprint sollte den Langlauf für das Publikum attraktiver zu machen - mit Erfolg. Sprint-Spezialisten sind jedoch nicht erwünscht: «Unsere Sportart ist zu klein, um sich in zwei Disziplinen zu spalten», sagt FIS-Langlaufchef Vegard Ulvang
Der Weltcup der Langläufer macht dieses Wochenende im estnischen Otepää Station, wo zwei Sprintrennen ausgetragen werden. Die Stars der Szene fehlen allerdings zum grössten Teil. Eine Woche nach dem Abschluss der strapaziösen Tour de Ski gönnen sich Athleten wie Dario Cologna oder Petter Northug eine Wettkampfpause – um danach die Form im Hinblick auf die Weltmeisterschaften im Februar in Falun noch einmal gezielt aufzubauen.
Diese Absenzen sind bezeichnend für das strategische Dilemma, in dem die Langlauf-Sparte des internationalen Skiverbandes FIS steckt. Dieses äussert sich in einem wilden Nebeneinander verschiedener Rennformate und gründet in einem Kompromiss zwischen Tradition und Innovation.
Sowohl Sprint wie Tour de Ski sind vergleichsweise junge Wettkampfformen, die eingeführt wurden, um das Publikumsinteresse am Langlaufsport zu steigern. Die Grundidee der Tour de Ski besteht darin, in mehreren Etappen unterschiedlicher Länge und in beiden Stilarten den kompletten Athleten zu küren. In diesem Winter zum neunten Mal ausgetragen, sorgte das Etappenrennen für eine deutliche Steigerung bei den TV-Einschaltquoten für den Langlauf.
Der Trend zurück zum Allrounder
Der Sprint gehört seit der Jahrtausendwende zum WM- und Olympiaprogramm und hat mit seinem K.-o.-System dazu beigetragen, die Sportart für ein breiteres Publikum attraktiv zu machen. Mit Rennen mitten in Städten wie Düsseldorf oder Mailand wurde dabei die Zuschauernähe bewusst gesucht. Dies führte schliesslich unter den Langläufern zunehmend zu einer Spezialisierung – indem sich immer mehr Athleten gezielt auf den Sprint konzentrierten.
Diese Entwicklung soll nun wieder teilweise rückgängig gemacht werden. «Unsere Sportart ist zu klein, um sich in zwei verschiedene Disziplinen zu spalten», sagt der Norweger Vegard Ulvang, Präsident des FIS-Langlauf-Komitees. «Wir wollen unsere Stars in möglichst vielen Rennen am Start haben.» Um dies zu erreichen, hat die FIS die Anforderungen an die Sprintstrecken in den letzten Jahren erhöht, damit die besten Ausdauerathleten es auch im Sprint mit den schnellkräftigeren Spezialisten aufnehmen können.
Der Trend geht damit in Richtung Allrounder. Die meisten Nationen führen deshalb keine separate Weltcup-Sprintgruppe mehr. Ausnahmen sind die grossen Teams wie Norwegen oder Russland. «Wenn alle in der gleichen Gruppe trainieren, geht etwas verloren«, sagt der frühere Schweizer Sprinttrainer Tor Arne Hetland, der jetzt für den kanadischen Verband tätig ist. «Gerade für junge Athleten ist der Sprint ein guter Einstieg in den Weltcup.»
Für die Spezialisten wird die Luft jedoch dünn. «Der Langlauf wird auf diese Weise viele Nachwuchstalente verlieren», befürchtet der Bündner Christoph Schmid, der als Coach mehrere Sprintspezialisten betreut – darunter die beste Schweizerin Laurien van der Graaff. «Wer nicht die körperlichen Voraussetzungen mitbringt, um über längere Distanzen konkurrenzfähig zu sein, sieht keine Perspektiven mehr und wendet sich von der Sportart ab.»
Die Angst vor der skandinavischen Übermacht
Die beiden Schweizer Langlauf-Sprinter Eligius Tambornino und Martin Jäger haben dies getan – und im letzten Frühling zum Biathlon gewechselt. Ein Faktor bei diesem Entscheid war auch, dass beide die Skating-Technik gegenüber der klassischen klar bevorzugen, womit ein weiterer Problemkreis angesprochen ist. Weil die beiden Stilarten im Langlauf gleich gewichtet werden, werden auch die Sprints im Weltcup je zur Hälfte in freier und klassischer Technik ausgetragen. Bei den grossen Titelkämpfen wird – wie auch in den Rennen über 15 und 50 Kilometer – abgewechselt, was die Übersicht zuweilen auch für Langlauffans schwierig macht.
«Wäre es nicht sinnvoller, das gleiche Wettkampfformat immer in derselben Stilart auszutragen?», fragt Coach Schmid. Wäre der Sprint immer ein Skating-Rennen, liesse sich gleich das Problem lösen, dass bei den Männern der klassische Diagonalschritt im Sprint immer seltener zur Anwendung kommt. Da sich einerseits das Material entwickelt hat und andererseits die Athleten im Oberkörper immer athletischer werden, werden Klassisch-Sprints immer häufiger ohne Steigwachs, sondern nur noch mit Doppelstock-Stossen bewältigt. «Es gibt nicht überall genügend steile Anstiege, um die Athleten zum Diagonalschritt zu zwingen», sagt Ulvang.
Umstritten ist schliesslich, ob ein Spezialistentum zu einem breiteren internationalen Interesse am Langlauf führen könnte – dank Sprintstars aus anderen Nationen als dem derzeit die Sportart dominierenden Norwegen. «Der Sprint sorgt für mehr Vielfalt», sagt Christoph Schmid. Vegard Ulvang ist skeptisch: «Weil sich nur die Nationen mit einem hohen Budget ein eigenes Sprintteam leisten können, würde dies die skandinavische Übermacht nur noch verstärken.»