In dieser Verfassung zählt Carlo Janka in jedem Speedrennen, auch heute, zu den Favoriten. Nach vierjähriger Durststrecke feilt er technisch und materialmässig an der Feinabstimmung. Vor allem am Start besitzt er noch grosses Potenzial.
Unübersehbar akzentuierte sich sein Problem im Super-G von Val Gardena. Janka verlor im Startabschnitt 0,71 Sekunden und wies am Ziel einen Rückstand von 0,68 Sekunden auf. Unterwegs war er schneller als Sieger Kjetil Jansrud – ein verschenkter Podestplatz. Oder gar Sieg?
Spätestens dort war auch für ihn klar: «Da braucht man nicht lange nachzuforschen, wo ich die Zeit einbüsste.» Warum das passierte, liess sich weniger einfach beantworten. «Liegts», so fragte sich Janka, «an den Schlittschuhschritten mit den langen Ski oder an den gebogenen Stöcken, durch die beim Abstossen die Kraft verpufft? Vielleicht haben wir diesem Aspekt im Sommer zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt.»
Schon in der Abfahrt von Beaver Creek hatte sich Ähnliches ereignet: Janka verlor im Startabschnitt auf eine halbe Minute 1,2 Sekunden – obwohl das Gelände total flach war. Oder gerade deswegen. Denn je flacher eine Piste vom Start weggeht, umso dramatischer ist die Konsequenz.
«90 Prozent von Carlos Rückstand handelte er sich am Start ein», ist Trainer Jörg Roten überzeugt. «Bei Tests, die wir im Herbst machten, verlor Carlo jeweils auf acht Sekunden drei Zehntel.» Wäre Janka ein Leichtathlet, sässe er bei einem 100-m-Sprint noch in den Startblöcken, während die andern schon zehn Meter weit sind.
Spezialmethoden mit Folgen
«Wir mussten etwas machen», sagt Roten, mit Betonung auf müssen. «Was man am Start verliert, ist schwer aufzuholen. Es ist schade, wenn einer gut Ski fährt, und das tut Carlo, und dann mit einer solchen Hypothek ins Rennen geht». Janka war nie ein brillanter Starter. Schon beim ersten seiner nun zehn Weltcup-Siege, beim Riesenslalom-Triumph im Dezember 2008 in Val d’Isère, gab es deswegen Diskussionen.
Janka wusste um seine Defizite und versuchte etwas «nachzuhelfen». Österreichs Ski-Chef Hans Pum intervenierte und verlangte eine Nachkontrolle von Jankas Start. Die Jury rang sich zu einem salomonischen Entscheid durch: «An der Grenze eines Schiebe-Starts, aber noch knapp regulär.» Beinahe wäre Janka einer Disqualifikation zum Opfer gefallen.
Für lange Zeit schien das Thema erledigt. Janka eilte von Sieg zu Sieg, wurde Weltmeister, Olympiasieger und Weltcup-Gesamtsieger. Danach traten andere Probleme in den Vordergrund, gesundheitliche und auch bezüglich Materialabstimmung. Heuer, wo er sich nach einem Materialwechsel wieder auf Augenhöhe mit der Weltelite befindet, rücken solche Details wieder ins Zentrum.
Janka ist kein Einzelfall
«Auch andere grosse Abfahrer hatten solche Schwierigkeiten», erzählt der 75-jährige Trainer-Übervater Karl Frehsner aus seinem riesigen Erfahrungsschatz: «Franz Heinzer war ebenfalls ein sehr schlechter Starter und verlor jeweils vier bis sechs Zehntel. Er hatte zwar einen ungemein kraftvollen Abstoss, der aber wegen mangelnder Koordination total verpuffte. Um das Problem zu beheben, betrieben wir grossen Aufwand.»
Frehsner erzählt eine Anekdote aus seiner Zeit als Trainer von Österreichs Star-Abfahrerinnen: «Mit Renate Götschl und Alexandra Meissnitzer habe ich einmal in Las Leñas einen ganzen Tag lang nur Startübungen gemacht. Sie mussten starten, ein paar Sekunden fahren und dann zu Fuss zirka 40 Meter den Hang raufsteigen.»
Götschl ärgerte sich laut Frehsner derart über diesen Drill, dass sie ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel anrief und klagte: «Jetzt hats dem Frehsner total ausgehängt. Mit dem kann ich nicht mehr zusammenarbeiten.» Worauf Schröcksnadel ihr beschied: «Frehsner ist und bleibt dein Trainer.» Und Frehsner drohte: «Von Buenos Aires fliegt jeden Tag ein Flugzeug nach Europa.»
Startschläfer mit riesen Erfolgen
Solcher Holzhammer-Methoden bedurfte es bei Janka nicht. Schon in Obersaxen hatte er geübt. Am Mittwoch gings zu viert mit Roten, einem Zeitnehmer und einem Video-Mann für einen Spezialdrill auf den Männlichen. Dort spulte er 15 oder 16 Start-Übungen ab. Eine erste Erkenntnis: «Mit etwas weniger stark gebogenen Stöcken funktioniert die Kraftübertragung besser.» Und die Stockstösse sollten wie bei den Langläufern möglichst nahe am Körper erfolgen.
Bezüglich Schlittschuh-Schritte gilt weiterhin: Üben, üben, üben. «Mit den Riesenslalom-Ski habe ich keine Probleme», stellt Janka fest. Nur mit den
20 Zentimeter längeren Abfahrts- oder den Super-G-Ski funktioniert es nicht wunschgemäss.
Einer, über den früher viele lächelten, ist Bode Miller, der oft am Start scheinbar kraft- und saftlos ins Starttor plumpste. Sonja Nef meinte einst: «Irgendwann schläft der am Start noch ein.» Dabei war er in Wahrheit mit einem extrem kräftigen zweiten Stockstoss einer der schnellsten Starter.
Trotz Verbesserungen besitzt Janka noch Steigerungspotenzial. Am Dienstag bei seiner Trainingsbestzeit stoppte man für ihn nur die 20. Startzeit, am Freitag bei der überlegen gewonnenen Kombi-Abfahrt sogar nur die 26. Wenn auch das noch passt, ist mit Janka wieder überall zu rechnen.