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«Such dir besser einen anderen Sport!» Wie oft hat Ramon Zenhäusern diesen Satz als Kind gehört. Schon damals war er überdurchschnittlich gross gewachsen. Trotzdem wollte er Slalom fahren. Eine blöde Idee, befanden die Trainer. Mit so langen Beinen könne er unmöglich schnell genug um die Stangen tanzen.
Heute gewann der zwei Meter grosse Mann aus Bürchen im Wallis olympisches Silber im Slalom. Seine einstigen Kritiker sitzen nun vermutlich ganz still irgendwo zu Hause.
Die kollektive Ablehnung bewirkte beim Sturkopf, als den sich Zenhäusern selbst beschreibt, das Gegenteil. Erst recht wollte er Slalom-Profi werden. Als Bub war er Fan von Didier Plaschy. Auch dieser ist Walliser. Zenhäusern reiste mit dem Fanklub an die Rennen seines Idols. Plaschy gewann in seiner Karriere zwei Weltcup-Slaloms. Als grosser Bewunderer schaute Ramon Zenhäusern ihm zu und träumte davon, irgendwann selbst solche Erfolg zu feiern.
Zu Hause in Bürchen begann Ramon Zenhäusern seinen Plan, es allen zu zeigen, umzusetzen. Vater Peter trainierte seinen Sohn und verbrachte Stunden mit ihm auf der Piste. Er war der Erste, der an seinen Sohn glaubte.
Der Zweite war ausgerechnet Didier Plaschy. Nach dem Ende seiner Karriere wurde er Trainer im nationalen Leistungszentrum West in Brig und Zenhäusern hatte es zum Eignungstest geschafft. So kreuzten sich ihre Wege. Plaschy wurde zum Mentor und sein ehemaliger Fan zum Schüler. «Ramon ist mit seiner Grösse ein spezieller Fall», sagte Plaschy dem «Walliser Boten» und erklärte die frühe Arbeit so: «Am Anfang stand die Frage: Kann aus einem Würfel eine Kugel werden, die rollt? Fast alle sagten: Nein, geht nicht. Heute stelle ich fest, wir haben aus dem Würfel Ramon Zenhäusern eine Kugel gemacht, die verdammt schnell rollen kann.»
Doch wie ist möglich, dass aus einem ungelenken Riesen ein Olympia-Medaillengewinner wird? Plaschy sagt: «Sie müssen sich Zenhäusern als Seiltänzer vorstellen, der mit seinen Ski quer auf dem Seil steht und ständig die richtige Balance zum Ziel hat.» Diese braucht es bei einem Fahrer mit Zenhäuserns Grösse am dringendsten. Er kann mit seinen langen Beinen zwar vom Hebelprinzip profitieren und Tempo erzeugen. Sobald er aber nicht mehr ganz zentral über dem Ski steht, wird er wegkatapultiert. Das unsichtbare Seil für den Seiltanz führt bei Zenhäusern mitten durch seine Skischuhe. Bis er den Balanceakt beherrschte, brauchte es sehr viel Zeit und Geduld.
Zenhäusern ging surfen, fuhr Kickboard und lief Schlittschuh. Zudem hatte er gemerkt, dass ihm Kickboxen hilft, die Beinarbeit zu verbessern. Er übte und übte im Gegenwind, der ihm von den Kritikern ins Gesicht blies. Und heute beherrscht er den Seiltanz.
Plaschy ist überzeugt, dass Zenhäusern schneller fahren kann als alle, wenn ihm Läufe ohne Balanceverlust gelingen. Dies bestätigt Daniel Yule. Der Schweizer, der in dieser Weltcupsaison zweimal auf das Podest fuhr, sagt: «Mich erstaunt Ramons Medaille überhaupt nicht. Im Training fährt er Luca Aerni und mir regelmässig um die Ohren.»
Zenhäusern selbst erklärt die jüngsten Erfolge – kurz vor den Winterspielen hatte er im City-Event in Stockholm seinen ersten Weltcupsieg gefeiert – als Puzzle, bei dem nun alle Teile am richtigen Ort sind. Sein Weg war eine Suche nach Einzelteilen, die oft lange dauerte. Doch sobald ein Teil passt, fällt es nicht mehr weg. «Bei mir ging es nie schnell, dafür stetig vorwärts», erklärt der 25-Jährige. Längst hat er bei Swiss Ski Trainer, die voll an ihn glauben. Er lobt die Arbeit von Thierry Meynet und Matteo Joris, und trotzdem nimmt sich Zenhäusern manchmal die Freiheit, zurück zu Plaschy zu gehen. Als die Schweizer Techniker in der Saisonvorbereitung nach Neuseeland reisten, trainierte er mit seinem Mentor in Saas-Fee.
Es war ein nächstes Teil. Genau wie die Arbeit mit Silvan Zurbriggen. Auch er ist Walliser und Slalom-Silbergewinner an der WM 2003 in St. Moritz. Zenhäusern und Zurbriggen, der seine Karriere 2015 beendet hatte, telefonieren oft und tauschen sich aus. So auch heute zwischen den zwei Läufen. «Ich will mich ganz einfach bei allen bedanken, die meinen Weg unterstützen», sagt Zenhäusern. «Bei mir wird es vermutlich noch ein wenig dauern, bis ich glaube, dass ich wach bin und Silber kein Traum ist.»
Trotzdem kommt Ramon Zenhäusern immer wieder auf seinen Vater und Didier Plaschy zurück. «Sie waren die Einzigen, die von Anfang an immer an mich geglaubt hatten.» Peter Zenhäusern ist heute gelegentlich an Rennen seines Sohnes dabei. Er berichtet dann für ein Walliser Lokalradio. Ratschläge gibt er aber schon lange nicht mehr. Seine Arbeit ist getan. Lieber widmet er sich nächsten Projekten, die von vielen nur belächelt werden. So bildet er Trainer im Ski-Niemandsland Nordkorea aus.