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Ein New Yorker am Skirennen – geht nicht? Geht doch: Ein Besuch an der skiverrückten US-Ostküste.
Der Duft von gegrillten Chicken Wings ist verlockend. Der Wind verteilt ihn über die zwei grossen Tribünen des Zielstadions. Die Amerikaner lieben die Hühnerflügel selbst am Pistenrand. So weit, so normal also.
Sonst ist in Killington nichts gewöhnlich an diesem Wochenende. Der Ort in den Bergen von Vermont hat 800 Einwohner. Nun sind fast 20 000 Menschen hier. Mit dem Auto sind sie in fünf Stunden aus New York angereist. Von Boston dauert die Fahrt drei Stunden. Viele brauchten sogar noch länger. «Neun Stunden», erzählt Kevin. «Wir sind aus Pittsburgh.» Er ist gekommen, um Mikaela Shiffrin fahren zu sehen.
20 000 Zuschauer – dabei ist der Skisport, glaubt man den Kritikern in Europa, doch ein Produkt der Alpen. Eine Randsportart im weltweiten Vergleich. Wer das glaubt, sollte vielleicht mal nach Killington reisen. An der Ostküste der USA sind die Menschen skiverrückt.
Atle Skaardal, der FIS-Renndirektor im Frauenweltcup, sagt: «Wir sind erst zum zweiten Mal hier. Aber das Publikumsinteresse ist bereits riesig. Killington hängt so manchen etablierten Ort in Europa ab.» Er untertreibt. Mehr Zuschauer gibt es im Frauenweltcup ganz selten.
Die Ski-Begeisterung ist überall spürbar. Aber um wirklich zu erfahren, wie diese Euphorie an der Ostküste der USA wuchs, muss man mit einem sprechen, der dabei war, als es passiert ist. William Winston «Billy» Kidd wurde 1943 in Burlington in Vermont geboren. 1964 gewann er Silber an den Olympischen Spielen in Innsbruck im Slalom.
Er sagt: «In den 1950er-Jahren hat das Skigebiet Stowe internationale Skistars wie den dreifachen Olympiasieger Toni Sailer aus Österreich eingeladen, um zu trainieren. Für mich als kleiner Junge, der hier das Skifahren gelernt hat, war es ein Traum, mit meinen Idolen fahren zu können.»
Das Rennfieber stieg. Nicht nur bei Billy Kidd. Die ganze Region liess sich anstecken. «Plötzlich wurde der Skisport populär. Viele Kinder von der Ostküste träumten davon, durch die Welt zu reisen und Rennen zu fahren», erzählt der 74-jährige Kidd.
Ab 1930 wurde an der US-Ostküste Ski gefahren. Ein Boom setzte aber erst Mitte des 20. Jahrhunderts ein, als Skilifte gebaut wurden. «Ab diesem Moment wurde das Skifahren ein beliebter Freizeitsport für Familien», erzählt Sportreporter Bill Pennington von der «New York Times». Und je mehr Familien Skiferien machten, desto mehr Kinder gab es, die Rennen fahren wollten.
1970 wurde auf den Trend reagiert. In Burke Mountain entstand das erste Ski- Internat des Landes. Bis heute haben es 138 Absolventen ins US-Ski-Nationalteam geschafft, 33 nahmen an Olympischen Spielen teil und die berühmteste Schulabgängerin ist – genau: Mikaela Shiffrin. «Es ist unglaublich», sagt Billy Kidd und lacht: «Nun schlagen wir sogar euch Schweizer regelmässig.»
Das hat auch Bode Miller geschafft. Der mittlerweile zurückgetretene Superstar ist ein Kind der Ostküste. Doch in Killington kennen sie nicht nur die heimischen Stars. «This is Lara Gut!», schreit ein Kind, als die 26-Jährige den Zielraum verlässt. Die Lust auf Skisport ist riesig.
Bevor 2016 erstmals Rennen in Killington gefahren wurden, war der Weltcup-Tross 25 Jahre lang nicht mehr an der US-Ostküste. «Die Menschen hier lieben den Skisport. Sie haben Weltcuprennen verdient», sagt Shiffrin. FIS-Renndirektor Skaardal antwortet: «Ich hoffe, wir kommen künftig regelmässig.
Wenn Shiffrin fährt, gibt es kein Halten. «USA, USA», schreit das Publikum. Doch angefeuert werden alle. Die Amerikaner haben sogar ein wenig Schweizerdeutsch gelernt. An der öffentlichen Auslosung der Startnummern erklärte Simone Wild dem Moderator:
«Bei uns schreien die Fans: ‹Hopp Schwiiz!›» Als die Zürcherin dann im Rennen in den steilen Zielhang einbiegt, rufen die Fans: «hopp, hopp, hopp!» In Killington ist alles etwas anders. Nur die Chicken Wings sind lecker wie immer.