Am Samstag stürzt Lindsey Vonn und verletzt sich. Nur einen Tag später zelebriert sie eine wundersame Auferstehung aus dem Spitalbett.
Das Weltcup-Wochenende in Soldeu hat das Duell um den Gesamtsieg zwischen Lara Gut und Lindsey Vonn nur unwesentlich beeinflusst. Vorausgesetzt, die am Samstag erlittene Knieverletzung behindert die Amerikanerin in der finalen Phase des Winters nicht allzu sehr.
Das zähe Ringen um die grosse Kristallkugel liess keinen Verzicht zu. Pausieren lag nicht drin. Also biss Lindsey Vonn auf die Zähne. Trotz Schmerzen im havarierten Knie, in dem nach einer ersten Untersuchung eine Stressfraktur diagnostiziert wurde, stand sie am Tag nach dem Sturz im Super-G in der Kombination wieder am Start. «Mit den Schmerzen kann ich leben. Mehr macht mir die starke Schwellung des Knies zu schaffen», erzählte die Amerikanerin. «Aber ich bin eine Kämpferin und werde nicht aufgeben. Ich werde alles tun, um am Ende ganz oben zu stehen. Als Sportlerin bin ich im fortgeschrittenen Alter. Deshalb könnte es meine letzte Chance sein. Und diese will ich nutzen.»
Die schnelle Rückkehr quasi vom Rettungsschlitten, mit dem sie am Samstag zu Tale befördert worden war, auf die Piste hatte in den sozialen Netzwerken zu Reaktionen geführt, die Lindsey Vonn nicht nachvollziehen kann. Als Schauspielerin wurde sie hingestellt – oder als Simulantin. «Es ist für mich völlig unverständlich, dass sich Leute ohne Kenntnis der Sachlage solche Unterstellungen anmassen. Ich täusche mit Sicherheit keine Verletzungen vor.»
Den seit Saisonbeginn faszinierenden Zweikampf um den grossen Glaspokal werden, abgesehen von den noch nicht abzuschätzenden Sturzfolgen, wohl Nuancen entscheiden. Das taktische Gespür wird mehr denn je gefragt sein. Die beiden Protagonistinnen werden das Abwägen zwischen Risiko und kalkulierter Zurückhaltung in ihre Planungen mit einbeziehen (müssen). Der Grat ist schmal, das hat der Sturz von Lindsey Vonn am Samstag allen wieder vor Augen geführt.
Stehvermögen in diesem Zweikampf auf allerhöchstem Niveau ist zudem im physischen und psychischen Bereich gefordert. Das chargierte Pensum mit Starts in vier Disziplinen zehrt an den körperlichen Kraftreserven und am Nervenkostüm gleichermassen. Beide sind sie darauf bedacht, in der Öffentlichkeit jedes Anzeichen von Schwäche tunlichst zu vermeiden. Umso bemerkenswerter, dass sowohl die Tessinerin als auch die Amerikanerin das Korsett der ausschliesslich aufs Funktionieren getrimmten Spitzensportlerin zuletzt abgestreift und menschliche Züge gezeigt haben. Lara Guts kurze Wortmeldung und ihre versteinerte Miene nach Rang 16 im Super-G vorgestern in Soldeu sprachen Bände. Lindsey Vonns Reaktion auf das Ausscheiden in der ersten Abfahrt vor einer guten Woche in La Thuile, als sie Ski und Bindung mit einem Hammer traktierte, ebenso.
Acht Wettkämpfe stehen in diesem Winter noch im Programm der Frauen. Die Slaloms am nächsten Sonntag bei der Weltcup-Premiere in der Slowakei in Jasna und beim Finale in St. Moritz ausgeklammert, würden Lindsey Vonn und Lara Gut noch sechsmal gegeneinander antreten. Der Konjunktiv steht für den noch nicht gesicherten Start der Amerikanerin im Riesenslalom am kommenden Samstag in Jasna. «Ich weiss es noch nicht. Ich warte das Ergebnis der MRI-Untersuchung ab. Aber ich denke, die Verletzung ist keine grosse Sache.» Eine Knieverletzung als Fragezeichen. Auf wen die restlichen Aufgaben mit je einer Abfahrt und Kombination sowie je zwei Super-G und Riesenslaloms eher zugeschnitten sind, ist selbstredend nicht zu eruieren.
Bekannt ist dagegen, dass die Rennpisten praktisch die einzigen Berührungspunkte der beiden darstellen. Abseits der Wettkampfstätten haben sie sich nicht allzu viel zu sagen. Zu unterschiedlich sind ihre Charaktere. Lindsey Vonn liebt die grossen Auftritte auch ausserhalb der Sportwelt, Lara Gut zieht die Ruhe und Abgeschiedenheit vor. Verpflichtungen übers Berufliche hinaus stehen bei der Tessinerin nicht auf der Prioritätenliste. Gemeinsam ist ihnen nur ein Ziel: der Gewinn des Gesamtweltcups.