Ungetrübte Freude herrschte im Lager der Kroaten trotz Weltcup-Sieg Nummer 24 ihres Aushängeschildes nicht. Ivica Kostelic verliess den Zielraum humpelnd. Einmal mehr schmerzte das rechte Knie. Das Durchstrecken des Beins war nicht möglich.
Nach Kostelic’ Einschätzung unmittelbar nach dem Rennen wurde der Ende April operierte Meniskus während des einen Slalom-Laufs ein weiteres Mal in Mitleidenschaft gezogen. Eine erste MRI-Untersuchung in Krasnaja Poljana förderte noch keine gravierende Verletzung zutage.
Wie sehr ihn das neuerliche Pech in der Schlussphase des Weltcups behindern wird, weiss Kostelic aber frühestens nach einer weiteren MRI-Untersuchung heute im Baselbieter Kantonsspital Bruderholz. Die grosse Frage aus Schweizer Sicht: Ebnet die Verletzung des Titelverteidigers und Leaders seinem stärksten Gegenspieler und ersten Verfolger Beat Feuz den Weg zum sensationellen Gewinn der grossen Kristallkugel für den Weltcup-Gesamtsieger?
Steigerung in der Abfahrt
Eine kleine Kristallkugel stand für Feuz schon gestern auf dem Spiel. Noch musste er Kostelic den Vortritt lassen. Rang 2 in der Tages- und Gesamtwertung der Super-Kombination wertete der Emmentaler aber als Maximum. Die Aussichten, seiner im Verlauf des Winters kräftig angewachsenen Trophäensammlung den ersten Glaspokal hinzufügen zu können, waren für Feuz gut gewesen. Lediglich 16 Punkte Rückstand auf Kostelic hatte er vor der vierten und letzten Kombinationsprüfung aufgewiesen. Zur knappen Marge gesellte sich der Fakt, dass der Emmentaler seinen Gegenspieler Kostelic in der Abfahrt am Samstag um 2,67 Sekunden hinter sich gelassen hatte – eine Marge, die ihm mit Blick auf den einen Slalom-Lauf alle Möglichkeiten offengelassen hätte.
Doch Kostelic vermochte tags darauf auf der um rund 270 Meter und 14 Fahrsekunden verkürzten Abfahrtspiste die zeitliche Distanz entscheidend zu minimieren. Mit dem Plus von nur 1,52 Sekunden im Vergleich zu Feuz legte er den Grundstein zum Tages- und zweiten Gesamtsieg in Folge in der Kombinations-Wertung. Auf dem eisigen Slalom-Hang vervollständigte Kostelic sein Werk trotz des schmerzhaften und vielleicht folgenschweren Zwischenfalls mit klarer Bestzeit auf souveräne Weise und bestätigte den Ruf, der beste Kombinierer der Gegenwart zu sein. Drei der vier Wettkämpfe in diesem Winter entschied er für sich, einzig in Chamonix, wo es ihm nur zu Rang 7 gereicht hatte, war er der Favoritenrolle nicht gerecht geworden.
Auch Feuz, der das letzte Training und beide Abfahrten mit einem für den Slalom konzipierten Skischuh bestritt, erkannte die Überlegenheit des Kroaten neidlos an. «Als ich Kostelic’ Fahrt gesehen hatte, wusste ich, dass ich ein Wunder brauchen würde, um ihn zu schlagen», sagte der seit Samstag 25 Jahre alte Shootingstar nach seinem zehnten Podestplatz im laufenden Winter. «Ich habe heute das Maximum herausgeholt. Der Slalom stellte für die Nichtspezialisten enorm hohe Anforderungen. Hätte ich angegriffen, wäre ich nach zwei Toren ausgeschieden.»
70 Punkte Rückstand
Trotz der verpassten Kristallkugel kann Feuz auch in Bezug auf die Einsätze in den Kombinationen ein äusserst positives Fazit ziehen. Er darf für sich in Anspruch nehmen, den übermächtig scheinenden Kostelic bis aufs Letzte gefordert zu haben. Zudem sind die 300 Punkte, die ihm für drei zweite und einen dritten Rang gutgeschrieben worden sind, ein wichtiger Bestandteil des Portefeuilles, das es Feuz erlaubt, den Gesamt-Weltcup ins Visier zu nehmen. In dieser Wertung weist er nun 70 Punkte Rückstand auf Kostelic und 148 Punkte Vorsprung auf den drittklassierten Aussenseiter Marcel Hirscher auf. Für Feuz ist der ganz grosse Coup nicht mehr ferner Zukunftstraum, sondern ein realistisches Ziel.