So befreit hat man Lara Gut-Behrami schon lange nicht mehr erlebt: Nach WM-Gold im Riesenslalom gibt es für sie kein Halten. Vor einer Woche, nach Gold im Super-G, war das noch ganz anders. Woran liegt das?
Als sie losrennt, lächelnd, nur mit einem Ziel, ist es, als habe jemand an der Uhr gedreht. So emotional, so frei hat man Lara Gut-Behrami schon lange nicht mehr erlebt. Sie sprintet in Skischuhen. Mutter Gabriella weint, als die Tochter sie erreicht. Es ist Freude pur.
Wie damals, als Lara Gut mit 16 Jahren in St.Moritz ins Ziel stürzte und ihrer ersten Weltcup-Abfahrt trotzdem Dritte wurde. Nun ist sie Weltmeisterin im Riesenslalom. Dazwischen liegen 13 Jahre.
Natürlich: Es gab immer Mal wieder Momente der öffentlichen Freude, aber es wurden weniger. Das öffentliche Leben als Sportlerin hat Schattenseiten. Gut-Behrami erlebte einige. Sie sagt:
«Das ganze Drumherum hat mich früher sehr viel Energie gekostet.»
Und – so hatte man den Eindruck – manchmal auch das Lachen. Sie sagt: «Es ist nicht so, dass ich das blockiere oder versuche, es zu kontrollieren. Heute habe ich mich einfach so gefühlt. Vor einer Woche nicht.»
Damals wurde Lara Gut-Behrami Weltmeisterin im Super-G. Die Bilder könnten unterschiedlicher nicht sein. Am Donnerstag vor einer Woche wirkte sie gequält trotz Titel. Nun befreit und glücklich.
Vor einer Woche ging die WM für Lara Gut-Behrami weiter. Am Samstag stand die Abfahrt auf dem Programm. Die Medienarbeit, die Fotoshootings mit der Medaille, eine kleine Feier mit Swiss-Ski am Abend, das alles kostete Kraft. Sie errichtete ein Schutzschild, um den Fokus zu behalten. Sie sagt:
«Zuerst Ski fahren, dann nach Hause gehen und es geniessen. Das ist mein Weg.»
Gut-Behrami hat das Gleichgewicht gefunden. Nach Bronze in der Abfahrt fuhr die 29-Jährige für zwei Tage nach Udine. Dort besitzt sie mit Ehemann Valon Behrami ein Haus. Sie sagt: «Ich habe es genossen, daheim zu sein, mein normales Leben zu führen. Das werde ich jetzt auch bis Dienstag tun.»
Schon nach der Abfahrt war sie befreit, als lasse sie eine Last hinter sich. Zumindest den Teil, der abseits der Piste stattfindet.
Cortina d’Ampezzo verlässt Lara Gut-Behrami mit drei Medaillen. Und mit weiteren Superlativen in einer Karriere, die schon viele kennt. Die Tessinerin ist die erste Schweizerin seit 20 Jahren, die im Riesenslalom eine Medaille gewinnt. 2001 wurde Sonja Nef ebenfalls Weltmeisterin.
Sie ist erst die zweite Schweizerin, die Weltmeisterin im Super-G wurde, nachdem Maria Walliser 1987 diesen Titel errang. Und sie ist die erste Schweizerin seit Vreni Schneider 1989, die an einer WM drei Medaillen gewinnt.
Die Liste der Erfolge von Lara Gut-Behrami ist lang und doch hat Gold im Riesenslalom einen besonderen Stellenwert für sie. «Ich habe schon immer davon geträumt, im Riesenslalom eine Medaille zu gewinnen», sagt sie. Ihr Vater und Trainer Pauli sagt: «Diese Goldmedaille hat für sie eine grössere Bedeutung als jene im Super-G. Weil der Riesenslalom die Basis für alle anderen Erfolge ist.»
Nach ihrem Kreuzbandriss an der Heim-WM 2017 in St. Moritz kämpfte Gut-Behrami lange darum, im Riesenslalom zu alter Stärke zu finden. Vor ihrer Verletzung war sie in dieser Disziplin schon einmal eine Siegfahrerin, mit der Krönung in der Saison 2015/16, als sie den Gesamtweltcup gewann.
Sie sagt: «Ich habe gewusst, ich muss wieder stark sein im Riesenslalom, ich muss wieder meinen Schwung aufbauen.» Dann komme der Rest von alleine.
Der Weltmeistertitel ist eine Belohnung für ihren Durchhaltewillen. Im Super-G stand Gut-Behrami bereits 2018 wieder auf dem Podest. In der Abfahrt vor einem Jahr. Im Riesenslalom gelang es ihr vor gut drei Wochen.
Andere hätten sich vielleicht umorientiert, den Riesenslalom etwas vernachlässigt. Sie glaubte an ihren Weg. Sie sagt: «Wenn man gut Ski fährt, fällt alles so leicht.» Und die Basis für gutes Skifahren wird im Riesenslalom gelegt.
Als Gut-Behrami in Cortina ins Ziel kam und sah, dass sie in Führung liegt und wusste, dass ihr Traum von der Medaille im Riesenslalom wahr wird, setzte sie sich auf den Schnee und sah zu, wie Nina O'Brien weit zurückfiel. «Ich war so müde vor dem Start in den zweiten Lauf», sagt sie. «Ich musste aufpassen, dass ich in der Pause nicht einschlafe.»
Dann stand nur noch Mikaela Shiffrin oben – und Gut-Behrami auf. Nur zwei Hundertstel war die US-Amerikanerin langsamer als Gut-Behrami. Shiffrin gewann Silber. Bronze ging an die Österreicherin Katharina Liensberger.
Gut-Behrami riss die Arme in die Höhe. Es war der erste von vielen emotionalen Momenten, die folgten. Und als sie dann so losrennt und lacht, wünscht man ihr mehr solche Augenblicke der Freude.