«Sind wie eine Familie»: Bronze für Jérémy Desplanches und Noè Ponti – Weshalb die Schweiz plötzlich eine Schwimmnation ist

Nach Jérémy Desplanches gewinnt mit Noè Ponti über 100 Meter Schmetterling erneut ein Schweizer Schwimmer Bronze bei den Olympischen Spielen in Tokio. Das sind die Gründe für den Erfolg.

Simon Häring, Tokio
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Schwimmen ist neben Leichtathletik eine der Kernsportarten bei den Olympischen Sommerspielen - und historisch gesehen kein Garant für Schweizer Medaillenjubel. Seit den ersten Spielen der Neuzeit 1896 gab es nur eine einzige Medaille für die Schweiz – 1984 in Los Angeles durch Etienne Dagon über 200 Meter Brust. Nun lassen sich in Tokio gleich zwei Schweizer Bronze umhängen: Jérémy Desplanches über 200 Meter Lagen und Noè Ponti über 100 Meter Schmetterling. Auch die übrigen Schweizer Schwimmer liessen aufhorchen, sorgten gleich Reihenweise für starke Ergebnisse und schammen Landesrekorde. Die Frage drängt sich auf?

Weshalb ist die Schweiz plötzlich eine Schwimm-Nation? Markus Buck, Chef Leistungssport beim nationalen Verband Swiss Aquatics, antwortet:

Markus Buck ist Chef Leistungssport bei Swiss Aquatics.

Markus Buck ist Chef Leistungssport bei Swiss Aquatics.

Keystone

1. Der Lockdown als Medaillenturbo

Während sehr viel Schwimmer, unter anderem Jérémy Desplanches, der während des harten Lockdown in Frankreich zwei Monate auf Training im Becken verzichten musste, unter den Beschränkungen durch die Pandemie zu kämpfen hatten, fanden die Schweizer um Noè Ponti, Antonio Djakovic oder Maria Ugolkova fast schon paradiesische Umstände vor. «Wir in der Schweiz hatten den Vorteil, dass wir als Spitzensportler fast durchgehend normal trainieren konnten und das Becken nicht mehr mit Badegästen teilen mussten», sagt Markus Buck. Zudem seien viele der Alltagslasten bei seinen jungen Athleten weggefallen. «Ausser Trainings gab es nach der Verschiebung der Olympischen Spiele fast nichts mehr zu tun. Die Jungen konnten ein Jahr so trainieren, wie sie das nie zuvor gekonnt hatten. Das hat uns in die Karten gespielt», sagt Buck. Dazu komme, dass vor allem Ponti, Djakovic und Liess in einem Alter seien, in denen sie noch sehr grosse Fortschritte machen könnten. «Vor einem Jahr waren sie noch bei weitem nicht auf diesem Level.» Vom Lockdown profitierten aber nicht nur die Jungen, sondern auch die routinierte Maria Ugolkova. Die 32-Jährige schwamm bei den Olympischen Spielen ebenfalls Landesrekord.

2. Eine goldene Generation von Schwimmern

Bester Beweis dafür, dass die Schweizer Erfolge im Olympia-Becken von Tokio kein Zufall sind und auch nicht nur auf zwei Ausnahmetalente zurückzuführen sind, ist die Schweizer 4x200-Meter-Staffel. Bereits im Vorlauf pulverisierte sie den Landesrekord um fast fünf Sekunden und erreichten als erste Schweizer Staffel überhaupt einen Olympia-Final in dem sie in 7:06,12 Minuten noch einmal um eine halbe Sekunde schneller schwammen. Das Quartett um Antonio Djakovic, Noè Ponti, Roman Mityukov und Antonio Djakovic ist im Durchschnitt erst 21 Jahre alt. Markus Buck gibt zu: «Es gehört eine gehörige Portion Glück dazu, solche Talente zu haben. Talent ist schön und gut, du musst über Jahre hinweg extrem konsequent arbeiten. Neben Talent und Arbeit ist der dritte Faktor, dass man liefern können muss, wenn es zählt. Hier können wir vom Trainerteam uns auf die Schultern klopfen, weil wir die Jungs nicht unter Druck setzen und sie deshalb in eine Situation kommen, in der sie ihr Pulver zu früh verschiessen.» Seine jungen Schwimmer seien «unheimlich ambitioniert» und würden die richtige Einstellung mitbringen. Zudem sei die Schwimmwelt in der Schweiz sehr klein, «die Jungs kennen sich, seit sie Kinder sind». Dadurch entstehe eine positive Dynamik. Noè Ponti sagt:

«Wir sind wie eine grosse Familie und spornen uns mit unseren Leistungen gegenseitig an. Die Medaille von Jérémy hat mir sehr geholfen für mein Rennen.»
Die Schweizer Staffel um Roman Mityukov, Noè Ponti, Antonio Djakovic und Nils Liess (von links nach rechts) nach ihrer Final-Qualifikation.

Die Schweizer Staffel um Roman Mityukov, Noè Ponti, Antonio Djakovic und Nils Liess (von links nach rechts) nach ihrer Final-Qualifikation.

Patrick B. Kraemer / EPA

3. Jérémy Desplanches als leuchtendes Vorbild

Mit seinen bald 27 Jahren ist der Genfer Jérémy Desplanches der Senior im Schweizer Team. Als junger Erwachsener war er in der Schweiz ein sehr guter Schwimmer, international aber ein Nonvaleur. Das reichte ihm nicht, 2014 zog er nach Nizza an die Côte d'Azur nach Nizza, wo er unter der französischen Trainerkoryphäe Fabrice Pellerin, dessen Athleten bei den Olympischen Spielen 2012 in London gleich neun Medaillen gewonnen hatte, zum Weltklasseschwimmer reifte. Innerhalb von nur sieben Jahren verbesserte Desplanches seine Bestzeit über 200 Meter Lagen um über 6 Sekunden, letztmals im Olympia-Final. Desplanches ist vor allem auch deshalb ein Vorbild für den Schweizer Nachwuchs, weil er seinen Zielen alles unterordnet. Nach seinem Medaillengewinn in Tokio sagte er: «Ich war fünf Jahre von den Olympischen Spielen besessen. Bronze ist schön, aber ich habe nicht gewonnen.» Markus Buck sagt: «Diese Mischung aus Routine und jungen Wilden, die wir haben, ist extrem wichtig. Jérémy nimmt diese Rolle an, führt auch einmal ein Vieraugengespräch mit den Jungen und beruhigt sie, wenn sie sich zu sehr unter Druck setzen. Wir sind extrem froh und dankbar, dass wir Jérémy in unserem Team haben.»

Seinem Ziel, eine Olympia-Medaille zu gewinnen, ordnete Jérémy Desplnaches alles unter. Das macht ihn zum Vorbild.

Seinem Ziel, eine Olympia-Medaille zu gewinnen, ordnete Jérémy Desplnaches alles unter. Das macht ihn zum Vorbild.

Patrick B. Kraemer / EPA