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Für die Schweizer Parasportler geht es während der Coronakrise nicht nur darum, in Form zu bleiben, sondern auch um die Erhaltung der Gesundheit. Wie sie mit der Absage der Paralympischen Spiele umgehen.
Weil sie an Asthma leidet, gehört Celine van Till zur Risikogruppe und isoliert sich derzeit komplett, trainiert Zuhause auf einem Spinningvelo und an einer Kraftmaschine. Seit einen Sturz vom Pferd 1998 lebt die 28-jährige Genferin mit einem eingeschränkten Sehvermögen und Gleichgewichts- und Koordinationseinschränkungen. Die ehemalige Miss Handicap, die erst vor zwei Jahren zur Leichtathletik wechselte und dank Sponsoren vom Sport leben kann, sagt: «Ich muss dranbleiben beim Training, sonst verliere ich an körperlicher Mobilität.» An Motivation mangelt es ihr nicht, van Till sagt: «Ich habe noch sehr viel Schlimmeres erlebt.» Die Verschiebung der Spiele um ein Jahr habe sie schnell als Chance gesehen. Sowieso sagt sie: «Ich sehe immer das Positive.»
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Bereits seit ihrer Geburt lebt die 17-jährige Schwimmerin Nora Meister mit Arthrogryposis multiplex congenita – einer Versteifung der Gelenke und einer Hörbehinderung. Normalerweise trainiert sie bis zu acht Mal pro Woche, macht bis zu 20 Stunden im Wasser und an Land. Doch inzwischen sind die Bäder geschlossen, Meister kann derzeit nicht schwimmen. Das Schwimmen ist Meisters Leidenschaft, dass es auch noch gut ist für die Gesundheit ein willkommener Nebeneffekt. Denn ohne Bewegung würden sich ihre Sehnen stark verkürzen, die Folge: «Sie rostet ein». Das reduziert nicht nur die Beweglichkeit, sondern könnte auch Schmerzen verursachen. Das Schwimmen ist auch deshalb die optimale Sportart für Meister, weil es für die Gelenke weniger stark belastend ist als zum Beispiel das Laufen an Land. Im Wasser kann sie nicht nur schwerelos an ihre Grenzen gehen, sondern stärkt damit auch den Körper und kann ihre Träume verfolgen.
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Die Kunst besteht darin, einmal mehr aufzustehen, als hinzufallen. Das Zitat wird Winston Churchill zugeschrieben, und es ist Elena Kratter wie auf den Leib geschneidert. Kurz nach der Geburt litt sie unter Herz-Kreislaufproblemen, ein operativer Eingriff wurde notwendig, bei der ihr der rechte Unterschenkel amputiert wurde. Aufgewachsen im Kanton Schwyz, lag es auf der Hand, dass sie sich zunächst als Skifahrerin austobte. Erst mit Prothese, dann als einbeinige Athletin. Weil die Belastung zu gross wurde, wechselte die Orthopädietechnikerin, die ihre Prothese selber baut, 2019 zur Leichtathletik. Entsprechend sagt Kratter: «Durch die Verschiebung habe ich nun mehr Zeit. Diese möchte ich nutzen.» Getreu dem Motto: Hinfallen, aufstehen, weitermachen.
Es gibt nicht viele Sportarten, die so viel Organisation und Weitsicht verlangen wie das Reiten. Der Transport der Pferde, Unterbringung, Betreuung, Futter, Impfungen, Termin beim Hufschmied, die Erstellung von Reisedokumenten – all das muss minutiös geplant werden. Entsprechend weit fortgeschritten waren die Vorbereitungen auf die Paralympischen Spiele bei Nicole Geiger aus Zeiningen AG, die seit einem Reitunfalls 1988 mit einer inkompletten Tetraplegie lebt. Gleichwohl spricht die 57-jährige, die 2016 in Rio de Janeiro bei den Paralympics in der Para-Dressage teilnahm, von einer Erleichterung, dass die Spiele verschoben wurden. Und von den Vorbereitungen, die sie jetzt bereits getroffen hat, profitiert sie nun einfach im nächsten Jahr.
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Zeit für den Frühlingsputz und die Partnerin bei Roger Bolliger
Auch für den 45-jährigen Roger Bolliger kam die Verschiebung einer Erlösung gleich. Er sagt: «Die Situation beschäftigt mich sehr. Jetzt wird uns Menschen auf brutale Art und Weise aufgezeigt, wie winzig wir in diesem Kosmos sind. Und das nichts selbstverständlich ist.» Er hat das 2002 erfahren, als er bei einem Arbeitsunfall in einer Käserei sein rechtes Bein verlor. Früher betrieb er Kunstturnen und Faustball, der Sport sei für ihn «wie die Luft zum atmen». Also begann er mit dem Para Cycling, nahm 2016 in Rio de Janeiro an den Paralympics teil. Dass die Spiele in Tokio verschoben wurden, hat aber auch sein Gutes. «Ich habe den Frühjahrsputz gemacht, die Fenster glänzen», sagt Bolliger. Und auch seine Partnerin freut sich über mehr gemeinsame Zeit.
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Ende März feierte Sofia Gonzalez ihren 19. Geburtstag, anders als normal, nicht mit ihren Freundinnen und Freunden. Auch sie verbringt ihre Zeit Zuhaus, in Jongny in der Waadt, wo sie mit ihren Eltern und ihrer kleinen Schwester lebt. Nach der Geburt wurde bei Gonzalez der rechte Unterschenkel amputiert, Sport trieb sie trotzdem immer: Tanzen, Ski und Reiten. Ihre Erfüllung fand sie in der Leichtathletik, die Paralympics wurden ihr Ziel. Und doch nimmt sie die Verschiebung gelassen hin, sagt: «Wir Parasportler haben gelernt, wie man mit schwierigen Situationen umgeht.» Nur ein Problem hat Gonzalez: «Ich kann zwar draussen trainieren, aber nicht mit Spikes auf der Tartanbahn.» Dafür bleibt mehr Zeit für die Schule: Im Frühling will sie die Matur abschliessen.