Die Schweizer Sprinterinnen starten mit einem Feuerwerk in die Leichtathletik-Wettkämpfe der Olympischen Spiele. Die Tessinerin Ajla Del Ponte läuft in 10,91 Sekunden einen neuen Schweizer Rekord und Mujinga Kambundji kündet eine noch schnellere Zeit für den Halbfinal an.
Der TV-Reporter versucht es mit seiner Fragestellung gleich mehrmals: Das Olympiarennen der Frauen über 100 m zum Zweikampf zwischen Mujinga Kambundji und Ajla Del Ponte herauf zu stilisieren. Das Drehbuch der Vorläufe liefert dafür gute Argumente.
Zuerst setzt Kambundji mit der Egalisierung ihres Schweizer Rekords von 10,95 Sekunden eine Duftmarke, Minuten später stürmt Del Ponte erstmals in ihrer Karriere unter 11 Sekunden ins Ziel und entreisst ihrer Berner Teamkollegin die nationale Bestmarke um vier Hundertstelsekunden.
Lange war Mujinga Kambundji in der Schweizer Sprintszene unerreicht. Viermal gewann die 29-Jährige an internationalen Grossanlässen Bronzemedaillen - zuletzt 2019 an den Weltmeisterschaften in Doha über 200 m. Doch dann kam Corona und mit der Pandemie die Zeit der 25-jährigen Tessinerin Ajla Del Ponte. Zuvor stand sie stets im Schatten von Kambundji, Salomé Kora und Sarah Atcho.
Doch Del Pontes Entscheid, sich zuerst in Lausanne und nun seit 2019 in Holland dem Westschweizer Trainer Laurent Meuwly anzuschliessen, erwies sich als goldrichtig. Die Tessinerin steigerte ihre Sprintzeiten in neue Dimensionen, brillierte in der Diamond League und gewann im Frühjahr EM-Gold über 60 m in der Halle.
Auf einmal war Del Ponte auf Augenhöhe mit Kambundji, doch zum direkten Duell kam es selten. Denn während die vier Jahre jüngere Konkurrentin für sportliche Schlagzeilen sorgte, plagte sich die Bernerin wiederholt mit Verletzungssorgen herum. Einer der wenigen Direktvergleiche Ende Juni an den Schweizer Meisterschaften in Langenthal ging knapp an Kambundji.
Die Betonung des Zweikampfs ist also durchaus berechtigt und die Ausgangslage seit dem Olympiavorlauf so prickelnd wie noch nie. Del Ponte hat Kambundji den prestigeträchtigen Rekord entrissen, sie im direkten Duell aber noch nie bezwungen.
Aus dem Weg geht sie der Konfrontation nicht, wie sie in einem Interview im Sommer 2020 erklärt: «Ich denke, wir profitieren beide von einem direkten Duell. Das hilft uns, noch mehr ans Limit zu gehen und bessere Zeiten zu laufen.» Kambundji sagt, sie wolle einfach gewinnen, egal ob die Läuferin neben ihr nun Del Ponte oder anders heisse.
Zum direkten Duell kommt es vorerst auch in Tokio nicht. Am Samstag um 12.15 Uhr Schweizer Zeit starten die beiden Schweizerinnen in unterschiedlichen Halbfinals. Zuerst ist diesmal Ajla Del Ponte an der Reihe.
Zwei Gegnerinnen im ersten Halbfinal sind in diesem Jahr bereits schneller gelaufen. Eine davon muss sie überflügeln, um sicher in den Final zu kommen. Oder sonst darauf vertrauen, einen der zwei Startplätze zu ergattern, die über die Zeit vergeben werden. Mit der viert- und fünftbesten Zeit aller Startenden im Vorlauf ist eine doppelte Schweizer Finalbesetzung durchaus im Bereich des möglichen.
Kambundji hat im dritten Halbfinal auf dem Papier nur eine Rivalin, die 2021 bereits schneller lief: die Jamaikanerin Shelly-Ann Fraser-Pryce. Aber auch die Schweizerin kündet selbstbewusst an, dass der nationale Rekord vielleicht bald wieder ihr gehört.
«Der Vorlauf war gut, aber nicht perfekt. Ich kann noch schneller laufen.»
Zu wünschen wäre ihr der Vorstoss in den Final so oder so. In Doha reichte es ihr im Duell der Zeitschnellsten um genau fünf Tausendstelsekunden nicht. Einen solchen Frust will sich Mujinga Kambundji in Tokio ersparen. «Ein Olympia- oder WM-Final über 100 m steht definitiv noch auf meiner Liste. Ich glaube, es kommt gut, denn ich bin in einer besseren Form als in Doha.»
Auch Ajla Del Ponte wird ob ihrer Rekordmarke noch keine Champagnerkorken knallen lassen. Wenn sie nach dem Vorlauf sagt, «schauen wir mal, wie lange dieser Schweizer Rekord Bestand hält», dann denkt sie dabei nicht zwingend nur an eine Reaktion von Teamkollegin Kambundji. Denn wie erklärt die Tessinerin treffend: «Nach meiner Covid-Erkrankung im April habe ich das Selbstvertrauen verloren. Jetzt ist es definitiv zurück.»