Die Schweizer Fans unterstützen ihre Mannschaft nach Kräften, am Ende bleibt aber wieder einmal die Enttäuschung.
Es ist halb sechs in der Früh. Noch sind ein paar «Allez, la Suisse»-Rufe von versprengten Spätheimkehrern zu hören, dann endlich ist Ruhe in der Rue Louis Baille im Stadtzentrum von Saint-Etienne. Doch schon drei Stunden später tönt es wieder kräftig durch die Gasse: «Hopp Schwiiz!» Jetzt sind es die Frühangereisten, die im Hauptort des Départements Loire einen grossen Fussballsamstag ankünden. In einer Stadt, die einst Mittelpunkt der Kohleförderung war.
Gegen die finanzstarken Pariser und Lyonnais ist zwar nicht mehr viel auszurichten, doch eine wahre Fussballstadt ist Saint-Etienne bis heute geblieben. Kein anderer EM-Austragungsort hat seine Liebe zum Fussball mit so viel Hingabe zelebriert wie Saint-Etienne. Welche Stadt könnte prädestinierter sein für einen Achtelfinal wie Schweiz gegen Polen?
Doch was ist denn hier los? Vor der Brasserie «Les poteaux carrés» bereitet sich Gérard auf einen strengen Tag mit trinkfreudigen Fans vor. Er putzt die Tische und holt die Stühle vom Stapel. Fünf, sechs grosse polnische Flaggen schmücken das Areal. Mögen Sie denn keine Schweizer, Gérard? Wo sind die Schweizer Fahnen? «Écoutez, ich bin überhaupt nicht gegen die Schweiz, aber uns wurden in der letzten Nacht alle Schweizer Fahnen geklaut.»
Eine Fandelegation aus Avenches stürmt in die Bäckerei «Chez Paul», bestellt Kaffee und Croissants. Marc, der eine rot-weisse Perücke trägt, sagt: «Wir sind für drei Tage hergekommen und wollen feiern. Ich bin sicher, die Schweiz gewinnt 1:0.» Und wer schiesst das Tor? «Xhaka. Er ist der Beste», sagt Marc. Hätte er geahnt, dass ausgerechnet Xhaka mit einem verschossenen Penalty zur tragischen Figur des Tages werden würde, die Festlaune wäre ihm wohl vergangen.
Natalie und Eveline sind guter Dinge, dass die Schweizer gewinnen und sie die Nati auch am Donnerstag beim Viertelfinal in Marseille unterstützen können. «Wir sind mit dem Auto nach Lyon gefahren, haben dort ein noch bezahlbares Hotelzimmer gefunden und sind am Samstag nach Saint-Etienne gereist», erzählt Natalie. Ihr Problem: Eveline hat noch keine Eintrittskarte. «Wir müssen uns auf dem Schwarzmarkt eine besorgen», sagt Natalie.
Auf dem Weg ins Stade Geoffroy-Guichard fällt Sebastian auf, weil er ein Shaqiri-Shirt trägt, aber englisch spricht. Ein Stoke-Fan etwa? «Nein, ich komme aus Exeter, das ist etwa vier Stunden von Stoke entfernt», sagt Sebastian. «Ich habe einen Schweizer Vater, deshalb bin ich für die Schweiz. Ich hoffe, dass wir gewinnen, befürchte aber, dass Lewandowski mit einer Schwalbe einen Elfmeter schindet.»