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Nach seiner Finalniederlage in Indian Wells kommt Roger Federer nur zu fünf Stunden Schlaf. Doch statt ans nächste Turnier nach Miami zu reisen, fliegt er nach Chicago. Er hat Verpflichtungen.
Fünf Stunden Schlaf bekommt Roger Federer (36) in der Nacht auf Montag. Mehr liegt nicht drin. Dabei war er am Tag davor bei seiner ersten Niederlage in diesem Jahr noch 2:42 Stunden auf dem Platz gestanden. Doch in Federers Leben gibt es kaum Zeit, durchzuatmen. Da steht er um 06.30 Uhr auf dem Rollfeld des Jacqueline Cochran Regional Airport in Thermal: gähnend, müde, mit Augenringen.
Während seine Familie mit Frau Mirka und den vier Kindern direkt nach Miami weiterreist, fliegt Federer nach Chicago. Verpflichtungen. Dort findet im Herbst die zweite Auflage des Laver Cups statt, für Federer eine Herzensangelegenheit. Und ein Geschäft. Das zeigt auch ein Blick auf die Liste der Mitreisenden: Manager Tony Godsick, dessen Mitarbeiter Alessandro Sant’Albano, Severin Lüthi. Und ein Journalist der «New York Times».
Noch einmal lässt Federer die letzten Stunden rekapitulieren. Spricht von der Enttäuschung der ersten Niederlage nach 17 Siegen. Aber auch davon, dass er viel Glück gehabt habe, dass er überhaupt einen dritten Satz erzwungen habe. Dann schweifen die Gedanken in die Zukunft: «Für den Laver Cup habe ich immer Energie. Ich spiele zwar nicht mehr so viel, aber wenn ich etwas mache, dann tue ich das mit Leidenschaft und Hingabe.»
Nach dem Start nimmt Federer sein Morgenessen ein: Burritos, Haferflocken, Orangensaft. Er ist weit gereist, doch in Chicago war er noch nie. Um 08.30 Uhr zieht er sich in eine separate Kabine zurück, zieht den Vorhang und versucht, 45 Minuten zu schlafen. Manager Godsick: «Er wäre sowieso früh aufgestanden, er hat ja vier Kinder. Wenn sein Leben nicht hektisch ist, ist es nicht sein Leben. Roger kennt es nur so.» Später sagt Federer, der Trip sei für ihn nicht anstrengend, weil er Spass daran finde.
Eine Stunde vor der Landung auf dem Midway International Airport gehen die Vorbereitungen in die finale Phase, mit einem Quiz. NFL-Team? «Bears.» NHL-Team? «Blackhawks.» Baseball-Team? «Cubs.» Was noch? «White Sox», sagt Federer triumphal. Er ist vorbereitet auf das Abenteuer Chicago. Auf die mediale Mühle, die Fans, die Selfies und Autogramme.
In seinem Kinderzimmer hingen einst Poster von Pamela Anderson. Aber auch eines von Michael Jordan. Die Chicago Bulls tragen ihre Heimspiele im United Center aus, wo im September auch der Laver Cup über die Bühne geht. «Hier zu spielen, wo einst Scottie Pippen und Michael Jordan aufliefen, ist für mich etwas sehr Spezielles», wird Federer später beider Stippvisite in der 23 500 Zuschauer fassenden Halle sagen. Dort, wo er auch auf Fussball-Weltmeister Bastian Schweinsteiger trifft, der inzwischen in Chicago spielt und am Tag zuvor erstmals Vater geworden ist. Mutter ist Ex-Tennisspielerin Ana Ivanovic.
Es ist kurz vor 13.00 Uhr Ortszeit. Federer zieht sich vor der Landung noch einmal um. Auf dem Rollfeld wartet ein schwarzer Mercedes, auf der Rückbank sitzt Tennis-Legende John McEnroe. «Gut, dich zu sehen», gibt sich Federer überrascht. Immer ist eine Kamera dabei, immer lauscht ein Mikrofon mit. Alles durchgetaktet, alles dokumentiert. Das Mittagessen? Auch das ist inszeniert. An der Seite von McEnroe, Rod Laver und Nick Kyrgios gibt es Pizza Chicago-style.
Später trifft Federer Scottie Pippen, derihn durch das United Center führt. «Es ist wie eine mehrstöckige Torte», sagt er über die Arena. «In Europa gibt es das weniger. Ich hatte Gänsehaut.» Eine halbe Stunde später sitzt Federer vor den Medien. Er trägt jetzt einen Anzug,neben ihm sitzt Chicagos Bürgermeister,Rahm Emanuel. Von Müdigkeit ist keine Spur zu sehen. Der Laver Cup, das dreitägige Kräftemessen zwischen dem Team Europa und der Restwelt, dürfte wohl erneut ausverkauft sein. So lange Federer spielt, ist der Laver Cup ohnehin ein Selbstläufer.
«Wir sind bei Sonnenaufgang und schönem Wetter aufgebrochen. Hier in Chicago ist es kalt und eine ganz andere Atmosphäre», sagt Federer, als er am frühen Abend Richtung Flughafen fährt. «Das ist das Schöne am Reisen. Du siehst verschiedene Orte, triffst Menschen. Ich liebe es, noch immer», sagt der 36-Jährige. Dann steigt er ins Flugzeug. Nächster Halt: Miami.