Reiterin Nicole Geiger sagt über die Verschiebung der Paralympischen Spiele: «Habe ein lachendes und weinendes Auge»

Obwohl ihre Vorbereitungen bereits weit gediehen sind und sie sich in Bestform befindet, begrüsst die Aargauer Reiterin Nicole Geiger die Verschiebung der Paralympischen Spiele in Tokio um ein Jahr.

Simon Häring
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Nicole Geiger befand sich in einer blendenden Form.

Nicole Geiger befand sich in einer blendenden Form.

Bild: PluSport

Oft teilt ein Schicksalsschlag das Leben von Parasportlern in ein Davor und ein Danach. Bei Nicole Geiger aber blieben die Pferde auch nach ihrem Reitunfall im Jahr 1988, seit dem sie mit einer inkompletten Tetraplegie lebt, der unbestritten Lebensinhalt. Bereits nach sechs Monaten sass die Physiotherapeutin mit eigener Praxis wieder im Sattel. 2016 ging mit der Teilnahme an den Paralympics in Rio de Janeiro in der Disziplin Para-Dressage ein Traum in Erfüllung, 2017 gewann die heute 57-Jährige, die in Zeiningen AG lebt, bei den Europameisterschaften zwei Mal Bronze. Entsprechend gelassen nimmt Geiger nun die Verschiebung der Spiele hin. Angesichts der Umstände sei es für sie sogar eine Erleichterung gewesen.

Die Vorbereitungen auf die Paralympischen Spiele liefen aber schon lange. Es gibt nicht viele Sportarten, die so viel Vorbereitung verlangen wie das Reiten. Der Pferdesport verlangt von den Reitern, dass sie nicht nur für sich, sondern auch für ihre Pferde das Training und die Reise minutiös planen müssen. So beginnt für die Reiterin, das Pferd und das Team die über 30-stündige Reise von der Schweiz via Belgien nach Tokio bereits zehn Tage früher mit einer Quarantäne in Aachen. Vorbereitungen, von denen sie nun im kommenden Jahr profitieren werde. Vorbereitungen, von denen sie hoffentlich im kommenden Jahr profitieren könne.

Drei Siege und zwei zweite Plätze in dieser Saison

Dabei hätte sie durchaus Grund für Enttäuschung, denn Geiger und ihre Pferde – Amigo und Ry de Lafayette – waren in einer blendenden Form: Geiger gewann drei Prüfungen und belegte zwei Mal den zweiten Rang und hat damit die Selektionskriterien für die Paralympischen Spiele eigentlich schon fast geschafft, der Quotenplatz, den sie 2019 herausgeritten hat, gehört allerdings nicht ihr persönlich, sondern der Schweizer Delegation. Geiger sagt: «Ich habe ein lachendes und ein weinendes Auge. Aber es war nicht mehr denkbar und ich bin froh, dass man sich frühzeitig für eine Verschiebung entschieden hat. Es hätte ein schlechtes Bild auf die Spiele geworfen.» Nun habe sie zwölf Monate mehr Zeit, um an Details zu arbeiten, «man steht schliesslich nie still».

Geiger nahm 2016 in Rio de Janeiro an den Paralympischen Spielen teil.

Geiger nahm 2016 in Rio de Janeiro an den Paralympischen Spielen teil.

Bild: PluSport

Das Training ist eingeschränkt, zu ihren Pferden kann Nicole Geiger aber noch immer jeden Tag. «Die Pferde lebe in ihrer heilen Welt, denn sie mögen die täglich Routine. Und wenn ich bei ihnen im Stall bin, gibt es mir auch die Ruhe, die ich so sehr liebe.» Mehr gefordert ist sie im Alltag, beruflich muss sie sich einschränken und rechnet mit finanziellen Einbussen. Von ihren Patienten erfahre sie gerade in dieser Zeit enorm viel Wertschätzung. Der Umgang der Menschen miteinander sei von Respekt und Rücksichtnahme geprägt.

Nicole Geiger glaubt, dass sie auch wegen ihrer persönlichen Geschichte gelassener mit der Verschiebung der Spiele umgehen kann. Parasportler hätten alle gelernt, ihr Leben mit einer Beeinträchtigung zu gestalten, die sie nicht ändern könnten. Das ist es auch, was sie an den Wettkämpfen und am Sport derzeit am meisten vermisst: die Gemeinschaft. «Alle haben ein Schicksal, eine Geschichte, weshalb sie dort sind. Sei es von Geburt, oder weil später in ihrem Leben etwas Einschneidendes widerfahren ist.» Das ihr Leben in ein Davor und ein Danach geteilt hat. Geiger zieht diese Grenze weniger klar. Sie sagt: «Mich begleiten die Pferde und der Sport schon ein Leben lang.» Da sind zwölf Monate nur ein kleines Kapitel.