Jens Voigt fährt heute Donnerstag (19 Uhr, Eurosport) in Grenchen um den Stundenweltrekord. Es gilt die 49,7 Kilometer zu schlagen. «Ich kann es schaffen», ist sich der 43-Jährige sicher. Es wäre der fulminante Abschluss seiner Karriere.
Jens Voigt hat eine ziemlich genaue Ahnung davon, was ihn erwartet. Vor 14 Jahren war er mit dabei, als sein damaliger Teamkollege Chris Boardman in Manchester mit Erfolg seinen letzten Stundenweltrekordversuch unternahm.
49,7 Kilometer beträgt der aktuell gültige Stundenweltrekord, aufgestellt vom Tschechen Ondrej Sosenka am 19.7.2005 in Moskau.
Die Entwicklung des Rekords – eine Auswahl:
1.5.1893: Henri Desgrange (Fr) 35,325 km in Paris
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18.8.1914: Oscar Egg (Sz), 44,247 km in Paris
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25.10.1972: Eddy Merckx (Be), 49,431 km in Mexiko
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27.11.2000: Chris Boardman (Gb), 49,441 km in Manchester
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19.7.2005: Ondrej Sosenka (Tsch),49,700 km in Moskau
Es gibt aber auch deutlich schnellere Versuche, die aber nur als Weltbestleistungen zählen, weil die Distanzen mit aerodynamisch ausgefeilten Spezialrädern und Sitzpositionen gefahren wurden.
Eine Auswahl:
19.1.1984: Francesco Moser (It), 50,808 km in Mexiko
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2.9.1994: Miguel Indurain (Sp), 53,040 km in Bordeaux
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22.10.1994: Tony Rominger, (Sz), 53,832 km in Bordeaux
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5.11.1994: Tony Rominger (Sz), 55,291 km in Bordeaux
7.9.1996: Chris Boardman (Gb), 56,375 km in Manchester
Am nächsten Morgen trafen sich Familie Boardman und Familie Voigt beim Frühstück. «Chris konnte vor lauter Schmerzen kaum gehen», erinnert sich Voigt.
Der Deutsche wagt sich heute, einen Tag nach seinem 43. Geburtstag, im Velodrome von Grenchen als erster Fahrer seit neun Jahren an den Stundenweltrekord. Bei 49,700 km steht die Bestmarke des Tschechen Ondrej Sosenka, aufgestellt am 19. Juli 2005 in Moskau. «Ich werde leiden wie noch nie zuvor», sagt Voigt.
Dabei sind ihm Schmerzen durchaus nicht fremd. 33 Jahre als Radsportler hat Voigt hinter sich, davon knapp 17 als Profi. Erst Ende August bestritt der Berliner, der wegen seiner offensiven Fahrweise und seiner zugänglichen Art beim Publikum zu den beliebtesten Fahrern gehörte, sein letztes Strassenrennen – um nun in Grenchen mit dem Weltrekordversuch einen spektakulären Schlusspunkt unter seine lange Karriere zu setzen.
Die Idee dazu kam ihm im Mai, als der Weltverband UCI die Regeln änderte und unter anderem Scheibenräder wieder zuliess.
Während Fabian Cancellara, der bereits seit einiger Zeit mit einem Rekordversuch geliebäugelt hatte, daraufhin sein Projekt vorläufig auf Eis legte, fand sein Teamkollege Voigt Gefallen daran. Erst recht, nachdem Tests im Juni in Roubaix zeigten, dass der Rekord in seiner Reichweite liegt.
Auch die Vorbereitungen in den letzten Wochen in Grenchen stimmen Voigt optimistisch. Auf den vor gut einem Jahr eröffneten Velodrome Suisse war seine Wahl gefallen, weil die Bahn in seiner Heimat Berlin in dieser Zeit bereits stark ausgebucht war. In Grenchen hingegen konnte er sich in Ruhe vorbereiten und sich an die Bahn herantasten.
«Die grössten Herausforderungen bestehen darin, immer auf der schwarzen Linie zu fahren und die Position dabei so aerodynamisch wie möglich zu halten», sagt Voigt, der zwar einst als Amateur oft, in den letzten Jahren aber kaum mehr auf der Bahn trainiert hatte.
Kein Schulfrei für die sechs Kinder
Voigt strebt heute eine Distanz zwischen 50 und 51 Kilometern an. «Wenn die 5 vorne steht, bin ich zufrieden», sagt der Fahrer, der mit einem nur leicht modifizierten Zeitfahr-Velo antritt, wie es sonst bei Trek auf der Strasse eingesetzt wird. «Die Zeit war zu knapp, um ein von Grund auf neues Velo zu entwickeln», sagt Trek-Techniker Jordan Roessingh.
Mit im Publikum weiss Jens Voigt heute auch seine Eltern und seine Schwester. Seine Frau Stephanie und die sechs gemeinsamen Kinder hingegen sind nicht in die Schweiz gereist. «Meine Frau wollte die Kinder nicht extra aus der Schule nehmen», sagt Voigt, der sich nach seinem Rücktritt auf mehr Zeit mit seiner Familie freut.
Im Moment ist seine Agenda allerdings prall gefüllt. Bereits am Samstag muss Voigt – das hat er einem Freund schon lange versprochen – bei einem Charity-Rennen in London wieder im Sattel sitzen. Egal, wie gross die Schmerzen nach der Stunde von Grenchen sind – und egal, ob es geklappt hat mit dem Rekord.
Damit es klappt, hat er sich nur eines vorgenommen: «Als Vollgas-Typ muss ich aufpassen, dass ich nicht zu schnell starte. In der zweiten halben Stunde will ich dann alles geben.»