Mit Fabian Cancellara und Tom Boonen fehlen bei der Flandern-Rundfahrt und Paris–Roubaix die Dominatoren des letzten Jahrzehnts.
Die beiden Frühjahres-Classiques Flandern-Rundfahrt und Paris–Roubaix kannten in den vergangenen Jahren nur zwei Favoriten: Fabian Cancellara und Tom Boonen. Der 34-jährige Berner und der gleichaltrige Belgier teilten sich die Siege an den beiden grossen eintägigen Pflasterstein-Rennen seit 2005 mehrheitlich unter sich auf: Bei sechs der letzten zehn Austragungen der Flandern-Rundfahrt und gar sieben Mal in Roubaix stand am Ende einer der beiden als Gewinner auf dem Podest. Nicht in diesem Jahr: Sowohl Cancellara (gebrochene Lendenwirbel) als auch Boonen (Schulterverletzung) verpassen die Pavé-Klassiker nach Stürzen verletzt.
Die Absenz der beiden Ikonen dürfte die Anatomie der Rennen an diesem und am nächsten Sonntag markant verändern. Wurde in den vergangenen Jahren jede Pedalumdrehung Boonens und vor allem Cancellaras von der Konkurrenz mit Argusaugen beobachtet, so gibt es diesmal keine klaren Topfavoriten. Die Ausgangslage ist so offen wie schon lange nicht mehr, viele Fahrer wittern die Chance auf einen Coup. «Ich erwarte ein Schachspiel auf Rädern», sagt der Brite Geraint Thomas – einer der meistgenannten unter vielen Favoriten vor der Flandern-Rundfahrt am Ostersonntag.
Die Chance ist gross, dass es in Flandern einen neuen Sieger geben wird. Als einziger Teilnehmer hat der Belgier Stijn Devolder das Rennen schon gewonnen – in den Jahren 2008 und 2009. Obwohl Devolder nach Cancellaras Ausfall im Trek-Team die Leaderrolle übernommen und diese Woche an den Drei Tagen von De Panne als Gesamtzweiter gute Form bewiesen hat, gilt der 35-Jährige als Aussenseiter.
Stärker im Fokus steht die nächste Fahrergeneration, welche die Wachablösung bei dem Pavé-Klassiker lieber früher als später realisieren möchten. Dazu gehören insbesondere sprintstarke Puncher wie Alexander Kristoff, John Degenkolb oder Peter Sagan. Sie alle können auf einen exzellenten Endspurt vertrauen, das Tempo aber bei Bedarf auch für eine Weile im Alleingang hochhalten.
Zudem sind sie in der Lage, in den für Flandern typischen kurzen, aber steilen Steigungen (Hellingen) mitzuhalten. Während Sagan noch auf seinen ersten Sieg im einem grossen Klassiker wartet, haben Kristoff und Degenkolb die beiden letzten Austragungen von Mailand–Sanremo gewonnen. Der Norweger Kristoff setzte sich diese Woche auch bei De Panne durch und kann mit Gent-Wevelgem-Sieger Luca Paolini zudem auf einen hochkarätigen Tempomacher zählen.
Die Hoffnungen der Belgier konzentrieren sich in erster Linie auf Sep Vanmarcke und Greg van Avermaet. während Boonens Team Etixx-Quickstep mit dem letztjährigen Paris-Roubaix-Sieger Niki Terpstra, Zdenek Stybar, Matteo Trentin und Stijn Vandenbergh trotz Abwesenheit des langjährigen Captains mehrere heisse Eisen im Feuer hat.
Ein Schweizer Sieg ist nach Cancellaras Ausfall in den Klassikern nicht zu erwarten. Dank der beiden BMC-Profis Silvan Dillier und Stefan Küng sind die Perspektiven für den hiesigen Radsport für die Zeit nach Cancellara jedoch erfreulicher als auch schon – gerade was die Frühjahresklassiker angeht. Der Aargauer Dillier, der morgen als Edelhelfer für Teamcaptain van Avermaet vorgesehen ist, könnte in den kommenden Jahren insbesondere für die Flandern-Rundfahrt zu einem Siegeskandidaten werden. Der Thurgauer Neo-Profi Küng, der am Donnerstag im Zeitfahren von De Panne als Zweiter hinter Olympiasieger und Weltmeister Bradley Wiggins glänzte, dürfte in einer Woche bei Paris–Roubaix zu seinem Klassikerdebüt kommen. Einer allerdings hat es noch nicht so eilig mit dem Generationenwechsel: Für 2016 hat Cancellara nochmals eine Rückkehr aufs Pavé versprochen.